Als Hollywood aufhörte, vor den Nazis zu kuschen
Kino Nach der Machtübernahme gab es zunächst einen schmutzigen Deal zwischen der US-Traumfabrik und den Deutschen. Statt auf Prinzipien setzten die Studios lieber auf Profit. Dann kam der Krieg. Und Charlie Chaplin
Adolf Hitler war ein großer Filmfreund. Allabendlich ließ er sich ins Reich der Fantasie entführen. Hollywood-Produktionen schätzte der „Führer“ganz besonders; amerikanische Filme waren den deutschen in Sachen Aufwand und handwerkliche Professionalität überlegen. Allerdings wurden sie auch unverhohlen zu Propagandazwecken genutzt. Das gefiel Hitler weitaus weniger, da sich die Stimmungsmache meist gegen Deutschland richtete. Doch das änderte sich, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen.
In seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch „Der Pakt“enthüllt der amerikanische Historiker Ben Urwand erstmals das Beziehungsgeflecht zwischen der Filmindustrie und der NS-Regierung. Urwand weist nach, dass der Mythos vom Antifaschismus Hollywoods nur zum Teil der Wahrheit entspricht, denn bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs ließen sich die großen Studios auf einen schmutzigen Deal mit den Nazis ein. Damit befanden sie sich zwar in prominenter Gesellschaft, denn von IBM bis zu General Motors stellten auch andere US-Konzerne Profit über Prinzipien; aber Kinofilme sind keine Ware wie Büromaschinen oder Motoren, sie vermitteln Werte, Ideen und Kultur. Hinzu kommt, dass viele Gründer und Chefs der wichtigsten Produktionsfirmen – William Fox (Fox), Louis B. Mayer (MGM), Adolph Zukor (Paramount), Harry Cohn (Columbia), Jack und Harry Warner (Warner Bros.) – aus Europa emigrierte Juden waren.
Detailliert belegt Urwand, wie der Einfluss der Nazis an der amerikanischen Westküste immer größer wurde. Ihr Druckmittel war rein wirtschaftlicher Natur: Deutschland war schon damals einer der wichtigsten Absatzmärkte für Hollywood. Die Drohung, das nationalsozialistische Regime werde die deutschen Vermögen sämtlicher amerikanischer Produzenten konfiszieren und ein Embargo gegen US-Produktionen verhängen, führte zu einer bizarren Verschiebung der Machtverhältnisse: Einflussreichster Mann in der „Traumfabrik“war nun der deutsche Konsul von Los Angeles. Es gelang ihm nicht nur, das Bild Deutschlands in den Filmen freundlicher zu gestalten, er unterband sogar ganze Produktionen.
Das erste Exempel hatte die Nazis bereits statuiert, als sie noch gar nicht an der Macht waren. „Im Westen nichts Neues“lief 1930 gerade mal eine Woche in den deutschen Kinos. Auf Druck des Auswärtigen Amts war die Verfilmung von Erich Maria Remarques gleichnamigem Antikriegsroman bereits um ein Drittel gekürzt worden, aber SA-Mitglieder sorgten mit Stinkbomben und Tumulten dafür, dass die Vorführungen reihenweise abgebrochen wurden. Der Film war eine Produktion von Universal Pictures, dem ersten großen Hollywoodstudio, dessen Gründer der 1884 nach Amerika ausgewanderte Jude Carl Laemmle aus dem oberschwäbischen Laupheim war. Er hatte großen Anteil daran, dass viele Juden rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten; trotzdem war er bereit, auf Druck der Nazis diverse Universal-Filme zu ändern und keine Fortsetzung zu „Im Westen nichts Neues“zu produzieren.
Auch Fox, United Artists und RKO versicherten umgehend, bei Filmen mit Bezug zu Deutschland eng mit dem deutschen Konsul in Hollywood zusammenzuarbeiten. Dessen erklärte Aufgabe wiederum war es, die Studios für das deutsche Nationalgefühl zu sensibilisieren und Projekte mit „Hetzfilm“-Problematik bereits im Keim zu ersticken. Das einzige Unternehmen, das sich zunächst querstellte, war Warner Bros. Als es sich weigerte, die vom Konsul inkriminierten Passagen in einem Drama über britische Soldaten in einem deutschen Kriegsgefangenenlager („Captured“) zu entfernen, hatte dies empfindliche wirtschaftliche Einbußen zur Folge. Die Erkenntnis, dass die Nazis ihren Drohungen Taten folgen ließen, war den anderen Studios eine Lehre: Erst verschwanden die Anfeindungen aus den Filmen, dann die jüdischen Figuren, zuletzt die jüdischen Schauspieler. Dass die deutschen Dependancen der Hollywoodfirmen schließlich auch einen Großteil ihrer jüdischen Vertriebsmitarbeiter entließen, ist da kaum noch überraschend. 1938 erstellten die Nazis eine Schwarze Liste und verlangten ein Beschäftigungsverbot für insgesamt sechzig Filmschaffende, allen voran Emigranten wie Fritz Lang und Ernst Lubitsch.
Welche tiefgreifenden Folgen die Kooperationsbereitschaft Hollywoods hatte, zeigt das Beispiel des Anti-Nazi-Films „The Mad Dog of Europe“, den ein unabhängiger Produzent 1934 herstellen wollte. Die deutsche Regierung übte enormen Druck auf die großen Studios aus, den diese prompt weitergaben; das Projekt wurde eingestellt. Das gleiche Schicksal widerfuhr der Verfilmung des Romans „It Can’t Happen Here“(„Das ist bei uns nicht möglich“, 1935). Sinclair Lewis entwirft hier das Szenario eines faschistischen Amerikas, das Parallelen zur NS-Diktatur trägt. MGM sicherte sich zwar die Kinorechte, aber das Drehbuch wurde nie verfilmt. In der bizarrsten Fußnote dieses düsteren Kapitels der Filmgeschichte spielt ebenfalls Metro-GoldwynMayer die Hauptrolle: Weil ausländische Gewinne ab 1933 in Deutschland bleiben mussten, vergab das Unternehmen Darlehen an einheimische Firmen; im Gegenzug erhielt MGM Anteile, die im Ausland verkauft werden durften. Viele jener Betriebe gehörten zur Rüstungsindustrie; auf diese Weise half Hollywood bei der Finanzierung der deutschen Kriegsmaschinerie.
Als die Nazis 1939 Polen angriffen und bald darauf amerikanische Filme in Deutschland verboten wurden, brauchte Hollywood keinerlei Rücksicht mehr auf deutsche Befindlichkeiten nehmen. In den Jahren 1942 bis 1945 befasste sich über die Hälfte der 1500 Produktionen mit dem NS-Regime oder dem Zweiten Weltkrieg. Der Mythos vom antifaschistischen Hollywood basiert allein auf dieser Zeitspanne. In der Dekade zuvor waren die Studios Hitlers willige Kollaborateure.
Die Nazis ließen ihren Drohungen Taten folgen
Ben Urwand: Der Pakt. 320 S., 29,95 ¤
Theiss Verlag,