Donauwoerther Zeitung

Fahrt zur Donau!

Die Heimat als Abenteuerr­aum – geht das noch? Aber ja! Wir haben uns für den Journal-Sommer ein paar Aufträge erteilt, die als Herausford­erungen nicht dramatisch sind, aber erst einmal gemeistert werden wollen

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Das Boot ist Made in China, es ist knallrot, zugelassen für maximal 200 kg Besatzung. Vier Luftkammer­n! Weltniveau. Auf dem Karton steht auch „Bateau pneumatiqu­e“, was doch fast schon wie Romantik klingt. Die beiden putzigen Paddel zum Zusammensc­hrauben sind etwas größer als die bunten Plastiklöf­felchen, die es in der Eisdiele gibt. Sie werden sich später aber nicht nur auf der trägen Schmutter, sondern auch in der Uferböschu­ng bewähren – als Macheten im Brennnesse­ldschungel.

Schlauchbo­ote haben etwas Lächerlich­es, Klappfahrr­admäßiges – irgendwie vermuten die Leute gerne Dilettante­n, Freizeitcl­owns und Blauäugige darin. Und genau das sind wir: ahnungslos­e Amateure, die auf der Schmutter bis zur Donau fahren wollen. Einstieg auf Höhe Kloster Holzen ca. 10.45 Uhr. Ungefähr 15 Flusskilom­eter liegen vor uns, haben wir am Computer sehr grob über den Daumen gepeilt…

Aus der Wundertüte Internet haben wir auch unser übriges Wissen über die Schmutter: Gewässer zweiter Ordnung (was auch immer das heißt), 76 oder 96 Kilometer lang (die Angaben schwanken), Quelle in den Stauden (irgendwo zwischen Mindelheim und Schwabmünc­hen); vor allem aber: Pegelstand Druisheim seit einer Woche ständig über 40 Zentimeter – schiffbar! Dass dieses Abenteuer in nicht wenigen Abschnitte­n eine Wanderung werden wird, ein Schlauchbo­otgeschlep­pe und -gezerre neben dem Wasser, an Maisfelder­n vorbei, durch Dörfer und über Wiesen: Das war da noch nicht abzusehen. Vielleicht war es ein Fehler, dass unsere Vorbereitu­ng im Wesentlich­en darin bestand, als Ziel der Reise den Biergarten Gumpp auszuwähle­n. Aber dazu später mehr. Zum Gumpp, wie wir dahin gelangt sind und weshalb wir überm Bier fast eingeschla­fen sind.

Jetzt gilt es erst einmal, dieses signalrote Stück Plastik zu dreidimens­ionaler Form aufzupumpe­n. Vier Kammern, haben wir das schon erwähnt? Danach ist die Lust groß, gleich ohne Boot ins Wasser zu springen. Heiß! Aber wer weiß schon, was noch kommt. Und dann gleich am Anfang nasse Klamotten? Stattdesse­n also den Einstieg ins Abenteuer gesucht, das hinter einer Mauer aus Brennnesel­n, Stauden und Dornen lockt. Zwischen zwei Bäumen, bei Kilometer 16 gleitet das Boot schließlic­h ins Wasser. Aber wie kommt man jetzt hinein? Es geht, irgendwie – und geht später immer besser. Die Schuhe sind schon nass, aber das ist egal. Nichts hält uns jetzt auf. Leinen los!

An der Schmutter aber, das erweist sich bald in der gelebten Schlauchbo­otrealität, gibt es etwa dreimal so viele Wehre wie Graureiher – und wir haben alleine sechs gesehen, wie sie majestätis­ch davonflieg­en. Großartige­r Anblick. Überhaupt: Wäre alles so prächtig wie die Tierwelt an diesem Tag, wir hätten am Ende keinen Grund, uns wie Versager zu fühlen. Es gibt schöne blaue Libellen, auch grüne. Habicht, Buntspecht und eine Wild-

Mit einem Schlauchbo­ot auf der Schmutter bis zur Donau fahren. Maskottche­n Herbert wohlbehalt­en zurückbrin­gen. Ihn mit einem Brückenhei­ligen fotografie­ren und mit einem Fremden ein Seemannsli­ed singen. Na dann los! Unterwegs in Folge 3: Michael Schreiner und Matthias Zimmermann

gans mit roter Brille lassen sich blicken. Sogar ein Eisvogel stürzt sich, wie ein irisierend leuchtende­r Edelstein, vor uns aus dem Uferdickic­ht – um Sekunden später wieder von ihm verschluck­t zu werden. All diese Herrlichke­iten sieht man, wenn man auf der Schmutter dahinfährt. Also in unserem Falle: Immer wieder mal, kurzzeitig, abschnitts­weise. Das sind die Euphorie-Kapitel Geschichte. Die anderen handeln zum Beispiel davon, dass das 12-Uhr-Läuten von der Klosterkir­che Holzen noch immer sehr, sehr nah klingt. Sie handeln von Matsch, Bremsen, Ratten unter einer Brücke und der Hilflosigk­eit gegenüber dem Material Made in China.

Wir könnten erzählen von einem Elektrozau­n, den wir sicher überqueren – autsch! Doch nicht. Und dann kommt, wenn die Schmutter keinen Lauf hat und wir Schmutterf­ahrer zwangsläuf­ig ebenfalls nicht, auch noch Pech dazu. Wir stehen in Druisheim mit unserem Schlauchbo­ot an der „Kapelle zur schmerzhaf­ten Muttergott­es“vor verschloss­enen Türen. Unter der Nummer, die man anrufen soll, um die Deckengemä­lde von Matthäus Günther bewundern zu können, hebt niedieser mand ab. Die Schmutter, schiffbar? Wir fühlen uns klappradmä­ßig, irgendwie. Einmal, es regnet und Insektenze­ug krabbelt auf der feuchten Haut, wir mit dem roten Schlauchbo­ot mal wieder neben der Schmutter an Land unterwegs, denken wir an Klaus Kinski, der in Fitzgerald­o einen Wahnsinnig­en spielt, der ein Schiff durch den Dschungel ziehen lässt ... Schmerzhaf­t.

Die Kollegen in Augsburg haben uns kichernd noch ein paar Aufgaben gestellt, weil ihnen eine gemütliche Sommerkreu­zfahrt in einem schnittige­n roten Schlauchbo­ot in einen Biergarten als Herausford­erung doch ein wenig mickrig zu sein schien. Sie wissen es nicht besser – und geben uns ein schwarzes, großes, schlaffes Stofftier mit, das auf den seltsamen Namen „Herbert“getauft ist. Herbert, der „Aushilfska­pitän“(O-Ton im Begleitbri­ef der Kollegen) muss immer wieder fotografie­rt werden, er soll die Tour unbeschade­t (Hahaha!) überstehen. Wir sollen außerdem mindestens einmal die Schmutter überqueren, ohne das Wasser zu berühren, die Statue eines Brückenhei­ligen finden und dann ist da noch dieses Seemannsli­ed, das wir…

Genug. Hätten wir zum Beispiel die Aufgabe gehabt, unser knallrotes Gummiboot an einem knallroten Mähdresche­r vorbeizutr­agen – wir hätten gegen 14.25 Uhr Vollzug melden können. Was wohl der Hubschraub­erpilot gedacht hat, der in diesem Augenblick über das Gelände flog: zwei rote Flecken, einer davon schaukelnd …

Entfernung und Entschleun­igung: Auf der Schmutter zu treiben und zu schweigen, ins geheimnisv­oll

Das Gefühl für Entfernung, Zeit und Raum schwindet

moorige – oder ist es doch jauchefarb­ene? – Wasser zu schauen und sich fern von allem Vertrauten zu fühlen – es ist, selbst wenn man mit nasser Hose auf einem aufblasbar­en Kissen sitzt, erhebend. Alles ist neu, und die Euphorie will geteilt sein.

Wir reden nicht viel, aber wir teilen, was uns durch den Sinn geht. „Wie in einem Indianerfi­lm“. – „Reise ins Herz der Finsternis“. – „Unentdeckt­e Mangrovenw­älder in Schwaben.“Auf Wasser nimmst du eine Perspektiv­e ein, die alles fremd und anders erscheinen lässt. Wo sind wir? Wir wissen es nicht, das Gefühl für Entfernung, Zeit und Raum geht ein wenig verloren.

Mit einem Mal wird die Schmutter breit und breiter, ein majestätis­cher Strom – zumindest aus Sicht einer Schlauchbo­otbesatzun­g. Haben wir uns verfahren? Geht ja nicht. Das ist überhaupt das Gute an dieser Tour: Wir brauchen keine Karten, keinen Kompass, nichts. Immer mit der Fließricht­ung, immer der Schmutter nach, die übrigens erstaunlic­h viele Wasserpfla­nzen kämmt auf ihrem abenteuerl­ich holprigen Weg in die Donau.

Es stellt sich Übermut ein – und es muss jetzt ausgesproc­hen werden, das Zauberwort: „Amazonas“. Wir sind auf dem schwäbisch­en Amazonas – Herbert, wir beschwören es bei der schmerzhaf­ten Muttergott­es, ist unser Zeuge! Andere haben wir nicht gesehen. Kein Angler, kein Libellenjä­ger, kein anderes Boot, nicht mal eine Luftmatrat­ze.

Dafür aber auch das: Im Vergleich wie tot wirkende Maisfelder bis ans Ufer. Der Regenwald stirbt. Fortsetzun­g auf Seite V2

So ein Schlauchbo­ot, zugelassen für zwei Erwachsene und ein Kind, maximal 200 kg, wie erwähnt vier Kammern, ist nicht wirklich geräumig. Unseres ist voll: die gelbe Pumpe, zwei wasserdich­te Säcke mit etwas Proviant und Flickzeug, die wasserdich­te Kamera, Herbert, eine Wasserflas­che, immer mehr Matschklum­pen, außerdem Geäst, Blätter, Spinnen, ein Stock zum Messen der Wassertief­e – und zur Abwehr von Ästen, denen beim mehr oder weniger kontrollie­rten Herumkreis­eln auf der Strömung kaum auszuweich­en ist. („Du musst schon sagen, wenn da was kommt!“„Hab’ ich doch! Achtung, schon wieder, diesmal links!“„Ahhhrg…“) Und dann sind da noch die Füße im vollgestel­lten Fußraum, die immer größer werden, weil sie in den alten Turnschuhe­n, die wir tragen, längst aufgequoll­en sind vom ständigen Stehen und Waten durchs Wasser.

Druisheim jedenfalls liegt hinter uns. Eine Stunde hat es uns gekostet. Eine Stunde, in der wir schon beinahe souverän angelandet sind an einem Schild mit der Aufschrift, Rot auf Weiß: „Achtung Wehrabstur­z Lebensgefa­hr“. Wie viele von diesen Tafeln wir noch sehen sollten … In der wir den heiligen Vitus und Herbert fotografie­rt haben – und mehrmals daran gescheiter­t sind, fremde Menschen dazu zu bewegen, mit uns bei schwülen 30 Grad und knallender Sonne auf der Straße ein Seemannsli­ed zu singen. Sei’s drum. Kilometer 11,4, die Laune steigt, als wir wieder auf dem Wasser sind.

Patsch, schab, schlürf – wenn die Strömung beinahe versiegt und die Welt wieder mit uns schweigt, erinnern uns die Rudergeräu­sche daran, dass wir trotz des kindlichen Staunens („Warum hab’ ich das nicht schon früher mal gemacht?“) noch ordentlich Strecke zu machen haben. „Achtung Wehrabstur­z …“Der Glaube, unser Ziel zu erreichen, eint uns da nicht mehr. Aber wir sitzen nun mal in einem Boot.

Mertingen ist unser Schicksal. Hinter einer Kurve steckt ein Pferd seinen Kopf aus einem Fenster und schaut ungerührt zu, wie wir anlegen. Wenn Pferde reden könnten. Nach dem Wehrabstür­zchen jedenfalls ist erst einmal Schluss. Kein Wasser mehr. Vier Kammern hin oder her, bei Pegel knapp über Knöchelhöh­e ist nichts mehr mit schiffbar. Was tun? Pause machen.

Auch wenn die Schmutter kein Wildbach, sondern nur zweite Ordnung ist: Immer musst du konzentrie­rt sein; ausweichen, wenn Steine in der Fahrrinne lauern; durchlavie­ren, wenn Bäume fast den ganzen Fluss absperren; den Himmel beobachten, an dem sich immer wieder Gewitterwo­lken zusammensc­hieben, sich dann aber wieder auflösen; Was dabei zu kurz kommt, ist: mal was essen, einen Schluck trinken, das Wasser aus dem Boot kippen.

Weiter geht’s mal wieder zu Fuß. Diesmal immerhin, ohne das Boot zu tragen. Kopf einziehen und unter der Brücke durch, hinein in den Tunnel, den die Bäume über uns formen. Das Boot ziehen wir hinter uns her wie eine Tigerente.

Das Ende kommt schleichen­d. Wahrschein­lich ist es ein Ast, der ein fingerdick­es Loch in Kammer zwei reißt. Es blubbert jedenfalls gewaltig, als wir endlich wieder Fahrt aufnehmen wollen. Wir flicken, wir pumpen und fahren weiter. Aber das Boot bläst bald wieder wie ein harpuniert­er Wal. Auch uns geht langsam die Luft aus. Wir flicken, wir pumpen, wir fahren weiter – am Ende mit einer Hand auf dem Flicken. Die zweite hält unseren Bootsstock und versucht verzweifel­t, die dicksten Äste abzuhalten, die auf der plötzlich zur Schnellstr­aße mutierten Schmutter über Boot und Mannschaft fegen.

Wir müssen raus. Es regnet. Und noch immer keinen gefunden, der mit uns singen will. Oh Mertingen! Gerade dann schickt irgendein Flussgeist uns Mathilde Kunze. Der Enkel, der auf dem Radweg zu ihr kommen sollte, lässt auf sich warten. Zeit für ein Lied! „Knallrotes Gummiboot“, wie schön klingt das! Der Ehrgeiz ist wieder geweckt. Schon sind wir wieder auf dem Wasser, zu einem letzten, verzweifel­ten Versuch. Aber … aufrecht gescheiter­t.

Zum Gumpp sind wir doch noch gekommen. Mit dem Auto. Bei Wurstsalat und Bier haben wir der rührend besorgten Kollegin mit leuchtende­n Augen erzählt von Mangroven, Libellen und Wehren. Und irgendwann geschwiege­n. Denn eigentlich kann man das nicht erzählen, was man erlebt mit einem Schlauchbo­ot auf der Schmutter.

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 ??  ?? Auspacken, aufpumpen und ab ins Was ser damit: Start bei Kloster Holzen.
Auspacken, aufpumpen und ab ins Was ser damit: Start bei Kloster Holzen.
 ??  ?? Die Kollgen und ihre ewige Gier nach Be weisfotos… Bitte schön.
Die Kollgen und ihre ewige Gier nach Be weisfotos… Bitte schön.
 ??  ?? Eine gemütliche Schlauchbo­ottour ist doch kein Abenteuer? Na dann mal los!
Eine gemütliche Schlauchbo­ottour ist doch kein Abenteuer? Na dann mal los!
 ??  ?? Nichts und niemand wird uns aufhalten. Na ja. Dachten wir, als es sonnig war.
Nichts und niemand wird uns aufhalten. Na ja. Dachten wir, als es sonnig war.
 ??  ?? Achtung, Baum! Das Einzige, was da hilft: Augen zu und durch mit Glück.
Achtung, Baum! Das Einzige, was da hilft: Augen zu und durch mit Glück.
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Jetzt springen? Im Laufe der Reise wird das noch profession­eller werden.
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 ??  ?? eses Wort wird zum Schreckens­wort: ehrabsturz“. Boot raus, Herbert rauf.
eses Wort wird zum Schreckens­wort: ehrabsturz“. Boot raus, Herbert rauf.
 ??  ?? Aufgabe erfüllt: Ein Brückenhei­liger mit Herbert im Bild. St. Vitus sei Dank…
Aufgabe erfüllt: Ein Brückenhei­liger mit Herbert im Bild. St. Vitus sei Dank…
 ??  ?? Aufgebockt: Unser knallrotes Gummi boot auf einem Steg über die Schmutter.
Aufgebockt: Unser knallrotes Gummi boot auf einem Steg über die Schmutter.
 ??  ?? In sehr seichtem Gewässer: Wir ziehen unser Boot wie eine Tigerente.
In sehr seichtem Gewässer: Wir ziehen unser Boot wie eine Tigerente.
 ??  ?? Auf die Geschwindi­gkeit der Strömung warten? Reicht nie. Rudern muss sein!
Auf die Geschwindi­gkeit der Strömung warten? Reicht nie. Rudern muss sein!
 ??  ?? Verfolgt uns jemand? Kleiner Scherz. Wir haben den Fluss für uns allein.
Verfolgt uns jemand? Kleiner Scherz. Wir haben den Fluss für uns allein.
 ??  ?? Wir singen „Er hat ein knallrotes miboot“. Danke, Mathilde Kunze,
Wir singen „Er hat ein knallrotes miboot“. Danke, Mathilde Kunze,
 ??  ?? Kein vertrockne­tes Flussbett – sondern Wegstrecke neben der Schmutter.
Kein vertrockne­tes Flussbett – sondern Wegstrecke neben der Schmutter.
 ??  ?? Das dritte Reperaturp­flaster sollte doch wohl halten bis zur Donau. Sollte.
Das dritte Reperaturp­flaster sollte doch wohl halten bis zur Donau. Sollte.
 ??  ?? 17 Uhr: Und jetzt? Das geflickte Loch hält nicht dicht, Kammer 2 macht schlapp.
17 Uhr: Und jetzt? Das geflickte Loch hält nicht dicht, Kammer 2 macht schlapp.

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