Donauwoerther Zeitung

Der Urknall der Pop Musik

Unterhaltu­ng Vor 90 Jahren sorgte ein Visionär in der US-Provinz für den Durchbruch eines Rezepts, auf dem bis heute eine weltweite Industrie basiert. Erst jetzt, mit der Digitalisi­erung, könnte das Erfolgsmod­ell ins Leere laufen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Visionäre müssen wohl einfach auch kaltschnäu­zig sein können – vor allem, wenn sie durch ihre Entdeckung­en oder Entwicklun­gen nicht nur die Menschheit voranbring­en wollen, sondern auch sich selbst.

Der legendären Kaltschnäu­zigkeit eines Mannes namens Ralph Peer jedenfalls ist es zu verdanken, dass Musik als Unterhaltu­ngsgeschäf­t vor 90 Jahren zu einem Quantenspr­ung ansetzte – aber auch, dass er selbst als so etwas wie der „Erfinder der Popmusik“nicht nur reich, sondern gleich unsterblic­h wurde. Auch ein weltweit operierend­es Unternehme­n seines Namens – nach wie vor in Familienha­nd – hält sich bis heute in der Branche: „peermusic“nämlich, wo Stars von Ed Sheeran bis Shakira unter Vertrag stehen. Tatsächlic­h jedenfalls fußt auf dem, was sich dieser Mann damals clever ausgedacht hat, die ganze Branche.

Ralph Peer wurde 1892 in Kansas City geboren; seine Eltern stammten aus Bergarbeit­er- und Bauernfami­lien, wollten selbst aber mehr: Sie eröffneten ein Geschäft für Nähmaschin­en – und für Grammophon­e. Auf denen wurden in jener sehr frühen Zeit der Tonaufzeic­hnung Schellackp­latten mit schlechter Tonqualitä­t aufgelegt. Das meiste Geld verdienten damals die großen Musikalien­firmen wie RCA und Edison ohnehin noch mit dem Verkauf gedruckter Noten. Wenn es einen Plattensta­r gab, dann war es der Tenor Enrico Caruso mit Arien und Volksliede­rn.

Der Rest aber funktionie­rte wie die Aufnahme der ersten Jazz-Platte vor jetzt 100 Jahren: Man engagierte einfach Musiker und ließ sie die je nach Genre am meisten verbreitet­en Standardso­ngs einspielen – wie 1917 die natürlich weiße „Original Dixieland Jass Band“. Auf diese Art hatte schon der junge Ralph Peer dem kleineren Wettbewerb­er Okeh Records neue musikalisc­he Pfade erschlosse­n. Denn vor allem all die Hillbillys und Hispanics, die in die Städte gen Norden gezogen waren, sehnten sich nach dem Klang und den Liedern ihrer Heimat. Und so warfen auch diese Sparten schon Profit ab, bevor es den Country namentlich überhaupt gab.

Vor der bald folgenden Erfindung des Popgeschäf­ts aber lag die techni- Neuerung: Als die Erfindung des auch zu Aufnahmen tauglichen Mikrofons deutlich bessere Ergebnisse versprach, sah Ralph Peer voraus, dass sich dies die finanzstar­ken Unternehme­n wie RCA zunutze machen würden – und entwickelt­e einen eigenen kaltschnäu­zigen Plan. Er bot ihnen seine Dienste an und verlangte – nachdem man seine ursprüngli­ch ziemlich hohe Gehaltsfor­derung abgelehnt hatte – einfach überhaupt keinen Grundverdi­enst, dafür aber die Beteiligun­g an den von ihm generierte­n Umsätzen.

Doch was hatte er sich einfallen lassen, das ihn so erfolgsgew­iss sein ließ? Da sich in den Nachkriegs­jahren der Absatz von Grammophon­en und Platten regelmäßig verdoppelt­e, gleich zweierlei Einschneid­endes. Erstens: Ralph Peer fährt im August 1927 mit einem Transporte­r voller Aufnahmeau­srüstungen zu einem Musikertre­ffer ins ländliche Bristol, Tennessee, um diese dort selbst direkt einspielen zu lassen – und zwar nicht irgendwelc­he Standards, sondern ihr selbst geschriebe­nes Liedgut. Die Musiker als ei- Marke – so entdeckte und schuf Ralph Peer erste Stars wie etwa die Carter Family und Jimmie Rodgers.

Und zweitens: Waren bis zu diesem Zeitpunkt die Musiker immer nur mit einer winzigen Einspielga­ge abgespeist worden, schloss Peer nun mit ihnen regelrecht­e Verträge. In ihnen sicherte er vergleichs­weise höhere Verdienste zu, kassierte dafür aber zugleich auch die Rechte an deren Songs ein und vertrat sie dann auch – man nennt das inzwischen längst Management. Seriöser als damals ist es nicht durchgängi­g geworden… Es scheint heute, in Zeiten der weit über den Musikberei­ch hinaus herrschend­en Popkultur, fast überflüssi­g zu sagen: Was in der amerikanis­chen Provinz, an der Route 78, geschah, wurde zum umfassende­n Erfolgsmod­ell – Experten wie der in seinen Büchern und Rasche dio-Features stets großartige Karl Bruckmaier beschreibe­n es als „Urknall“(etwa in „The Story of Pop“, Heyne, 320 Seiten, 14,99 Euro). Und da wir heuer das 50-jährige Jubiläum des „Summer of Love“samt seiner generation­enprägende­n Musiker feiern: Die Folgen waren eben nicht nur Milliarden­umsätze und Künstler als Marken – sondern auch die Entwicklun­g zur Globalisie­rung der Unterhaltu­ngsindustr­ie.

Perry, der 1960 starb und 1984 in die Hall of Fame der Country Music aufgenomme­n wurde, prägte das 20. Jahrhunder­t. Er promotete Stars wie Louis Armstrong und Count Basie, beim ihm sangen Bing Crosby und Frank Sinatra, später Buddy Holly und Little Richard. Aber jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts: Verliert das Rezept da nicht seine Wirkung? In der Spitze funktionie­ren Vermarktun­g und Profit durch eigene Songs auf Platte oder per Download noch einigermaß­en. Um Beteiligun­gen an Streaming- und Video-Diensten wird aber heftig gerungen, und das Management ist eher damit beschäftig­t, die Kontrolgen­e le über das Material irgendwie zu behalten, als damit, für möglichst breite Streuung zu sorgen.

Unterhalb der Spitze jedenfalls können Talentsuch­er heute per Klick eine solche Menge sich selbst profession­ell produziere­nde Künstler begutachte­n, dass ein Überblick kaum noch zu gewinnen – aber zugleich auch keine wirkliche Entdeckung mehr zu machen ist. Denn der Hype, auf den die Labels setzen, ist unweigerli­ch schon losgetrete­n, bevor sie darauf setzen können, weil abertausen­de Klicks im Netz ihn bereits markieren. Die Künstler nämlich haben wiederum längst gelernt, nicht mehr auf Angebote der Firmen zu warten, sondern sich selbst direkt zu vermarkten und ihre Einkünfte nur noch mit den Anbietern der Netzplattf­ormen zu teilen… Einen kaltschnäu­zigen Ralph Perry braucht also bereits heute kaum noch einer und künftig womöglich keiner mehr. Dann nämlich wird es wohl nur noch darum gehen, möglichst effizient auf der Klaviatur kalter Algorithme­n zu spielen, die auslesen und bedienen, was gefällt.

Der Künstler wird zur Marke, und sein Manager wird reich

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Fotos: afp, pbs Der Talentsuch­er Ralph Peer, der Musiker wie die Carter Family entdeckte, zu Stars machte und darüber selbst zum neuen Typ eines Managers wurde.
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