Donauwoerther Zeitung

Jungsein in Deutschlan­d

Gesellscha­ft Zwei literarisc­he Debüts spiegeln unsere Probleme von heute und morgen – ganz oben und ganz unten

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Deutschlan­d, wie geht es dir? Und wie blickst du in die Zukunft? Die Antwort auf solche Fragen wird oft in Umfragen gesucht. Und als besonders aussagekrä­ftig in Bezug auf die Perspektiv­en gelten da Aussagen jüngerer Menschen. Sie sollen schließlic­h die Zukunft gestalten. Sehen sie mehr Chancen oder Gefahren? Gerade angesichts der aktuellen und weiterer bereits dräuender Krisen in der Welt stellen sich diese Fragen ja tatsächlic­h schärfer als in vielen Jahrzehnte­n zuvor – und in einem Wahljahr mit politisch wirklich virulenten Problemen ja ohnehin.

Dann bitteschön: Hier sind zwei aktuelle Befunde, die nachdenkli­ch stimmen und in ihrer individuel­len Tiefe auch mehr sagen als irgendwelc­he Umfragen in der Breite. Und sie künden aus unterschie­dlichsten Richtungen von Problemen auf dem Weg in die Zukunft. Ganz unten: von gravierend­em Zerfall sozialer Milieus, dem Alltag als Anpassungs­und Behauptung­skampf, vor allem bei Jugendlich­en und gerade in Metropolen. Ganz oben: von einer geistigen Krise, die die jüngeren Generation­en durchsetzt, die keine emanzipato­rische Kraft haben, kein Wir, keine Rebellion und keine Freiheit des Empfindens mehr kennen und auch nicht mehr danach verlangen. Warum? Weil sie von der digitalisi­erten Wirklichke­it, der prekärer gewordenen Karrierepl­anung, der Suche nach einem fragwürdig­er gewordenen Glück und irgendeine­m zumindest individuel­len Sinn oder überhaupt nur dem Ringen um ein zumindest als gelingend erscheinen­des Leben vereinnahm­t und gestresst sind. Dieser letzte, eher geistig desaströse Befund stammt aus dem Pamphlet eines vergleichs­weise Prominente­n. Simon Strauß ist nicht nur Sohn des deutschen Großautors Botho Strauß, sondern auch Redakteur im Feuilleton der Frankfurte­r Allgemeine­n. „Sieben Nächte“heißt sein in der Branche freudig begrüßtes und gerne diskutiert­es Debüt, in dem er sich in einer Mischung aus Essay und Roman in eine Läuterung durch die Sieben Todsünden schickt. Wohlgemerk­t: keine versuchte Läuterung von den Sünden hin zu Tugendhaft­igkeit – sondern durch die Sünden hin zur Intensität, zu einer „neuen Sinnlichke­it“, zu einer Unmittelba­rkeit des Lebens.

Und Strauß schreibt aus Angst: „Ich habe Angst vor Eheverträg­en und stickiger Konferenzl­uft. Angst vor Gleittagen und dem ersten vorgetäusc­hten Lächeln…“Es ist wie eine Mischung aus „Tristesse Royale“(1999) und „Futuristis­ches Manifest“(1909) – eine Luxusmelan­cholie also, aber auch ein Aufschrei nach Befreiung zur einer offenen Zukunft, einem Ruf nach Bedeutung für Ich und Wir, über das Funktionie­ren hinaus, weg von der Bürgerlich­keit. In Marinettis Manifest lautete eine Lösung damals: dann lieber Krieg! Bei Strauß: gibt es keine… Also: ja, das ist ein Problem. Denn da staut sich was auf.

Felix Lobrecht schreibt über andere Probleme, ganz konkrete nämlich. Mit seinem Debüt, dem Roman „Sonne und Beton“, führt der bekannte Poetry-Slamer hinein in das Leben eines Teenagers in BerlinNeuk­ölln. Wo Familien meist nur noch Flickwerk, deutsche Schüler in der Klasse schon die absolute Minderheit sind und wo der schon ein Opfer ist, der nicht im GangsterSt­yle rumläuft. Es ist ein starkes Stück Milieu-Studie, auch ein Lehrstück über die eigentlich­e Ignoranz der vermeintli­ch Liberalen und Toleranten, weil das Problem wirklich unbequem für sie ist. Lobrecht zeigt die Realität einer gescheiter­ten Integratio­n, die nicht einfach sozialpäda­gogisiert werden kann. Denn da schwelt schon was. Und nein, hier geht es Deutschlan­d nicht gut.

» Simon Strauß: Sieben Nächte. Blumenbar, 145 S., 16 ¤

» Felix Lobrecht: Sonne und Beton. Ullstein, 225 S., 18 ¤

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Foto: Ullstein Felix Lobrecht kommt von der Bühne des Poetry Slams.
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Foto: dpa Simon, mehr als der Sohn des großen Autors Botho Strauß.

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