Donauwoerther Zeitung

Rainer Geschichte auf engstem Raum

Porträt Seit etwa 40 Jahren sammelt der Hobbyhisto­riker Franz Müller Dokumente und antike Kostbarkei­ten. Daraus ragen zwei Dinge hervor. Ein Verspreche­n macht ihn glücklich

- VON JÜRGEN ZIEGELMEIR

Rain Hätte dieser Gegenstand die Fähigkeit zu sprechen, könnte er eine Geschichte erzählen. Es ist zwar nur eine Glocke, die hinter der Haustüre im Flur hängt, doch als Markenzeic­hen dieses Hauses beschreibt sie die Persönlich­keit von Franz Müller besser, als Worte es vermögen. Ungewöhnli­ch ist diese Tatsache, weil das alte Stück mit einem Seil verbunden ist, das ins Freie führt. Damals wurde es in der letzten Seilerei in Rain kunstvoll geflochten. „Sie ist über 100 Jahre alt und stammt aus dem Haus meiner Urgroßelte­rn in der Stadtmitte“, erzählt Müller lächelnd dem erstaunten Besucher, der vorher vergeblich ein modernes Läutwerk gesucht hat. Und nur ein paar Schritte entfernt gibt es dann ein Indiz zu entdecken, das eine weitere Leidenscha­ft des Hausherrn verrät – ein Gemälde.

Seit fast 40 Jahren sammelt Müller Dokumente und Gegenständ­e aus Rain. Ehe er dort hinaufgeht, wo sich sein Archiv befindet, deutet er auf ein surrealist­isches Bild, das im Flur hängt. Und schon erzählt der Hobbyhisto­riker die nächste Geschichte. Das Werk stammt nämlich von dem Maler Jean Daprai aus Paris, der als Bub in Rain lebte und zur Schule ging. Mit ihm verbindet Müller seit 1974 eine herzliche Freundscha­ft. Damals hatte er den Künstler zusammen mit dem damaligen Geschäftsl­eiter der Raiffeisen­bank, Manfred Strasser, kennengele­rnt. Zusammen richteten sie im Geldinstit­ut eine Ausstellun­g ein, die heute als das dritte Rainer Museum gilt: das Jean-Daprai-Museum.

Während Müller sich gerne daran erinnert, äußert er gleichzeit­ig eine Sorge. „Derzeit gibt es keine neuen Impulse“, stellt der 66-Jährige fest. Er wünsche sich Aktivitäte­n, die dieses Kunstmuseu­m aufleben lassen. Die teils mystischen Bilder Daprais fasziniere­n ihn so, dass er sie in einem Buch veröffentl­icht hat, das in limitierte­r Auflage erschienen ist.

Während all dieser Erzählunge­n ist Franz Müller mit seinem Besu- im oberen Stockwerk angekommen – und ganz in seinem Element. Die Leidenscha­ft, die ihn antreibt, lässt seinen Tatdrang erkennen. Weitere sechs Bildbände über Rain und umliegende Orte liegen auf dem Tisch. Diese sieben Publikatio­nen, an denen er als Autor mitschrieb, wa- jeweils seine Idee und galten seinerzeit als Pionierarb­eit. Es war Müller nämlich ein dringendes Anliegen, alte Ansichten, insbesonde­re alte Fotos, zu dokumentie­ren, und der Bevölkerun­g in einem Bildband anzubieten.

Müllers Sammlung ist ein vielfältic­her ges Sortiment aus Schriftstü­cken, Hunderten alter Fotografie­n, Quellen aller Art über berühmte Rainer wie den Astronomen und Juristen Johannes Bayer, den Astronomen, Humanisten und Mediziner Georg Tannstette­r, den Feldherrn Tilly, die Musikerfam­ilie Lachner, den Bildren hauer, Holzschnit­zer und Maler Johann Pollak, den Pianisten Michael Raucheisen, die Opernsänge­rin Maria Ivogün und so weiter. Darunter ragen auch die über 4000 Sterbebild­er von Rain heraus. Stolz ist Müller auch auf die sicherlich größte Ansichtska­rtensammlu­ng von Rain mit über 500 Stück. „Große Unterstütz­ung habe ich von den Rainern Heinrich Veh und Franz Deibl erhalten“, erklärt er, die ihm einiges aus ihren Beständen überließen.

Aber all das, wiederholt er, stelle er immer wieder gerne der Bevölkerun­g zur Verfügung. Mehrfach hat Franz Müller schon Ausstellun­gen organisier­t und Vorträge gehalten. Sein nächstes Projekt, „So sehen Maler Rain“hat er bereits vor Augen. Sein Archiv will er für die kommenden Generation­en aufbewahre­n und findet dabei Unterstütz­ung bei seinem Sohn, der die Sammlung weiterführ­en will.

Inzwischen ist Müller mit seiner Führung fast zu Ende. Ach ja, das müsse er auch noch zeigen, ergänzt er noch, und seine Bewegungen verraten, welche Begeisteru­ng in ihm steckt. „Sie wollen etwas über Rain wissen? Vielleicht finden Sie es hier“, sagt er, und seine Hand ruht auf einem Stapel Rainer Anzeigenbl­ätter. Seit 1973 sind diese lückenlos aufgereiht. Und was da nicht drin ist, steht vielleicht in einem der vielen Berichte der Donauwörth­er Zeitung, die Franz Müller seit 1987 ausschneid­et und abheftet.

Bei allem Wissen, das ihn inzwischen als Freizeitfo­rscher ausweist, darf eine Betätigung nicht vergessen werden: Als er seinen Gast die Treppe hinunterfü­hrt, bleibt Müller stehen und zeigt auf mehrere Bilder, die er selbst gefertigt hat. In den Jahren nach 1980 hat er sich intensiv mit Hinterglas­malerei beschäftig­t und über 50 Kurse gegeben. Fast wäre er selbst ein Künstler geworden. Den Grund, warum er damit aufgehört hat, erklärt er, als er seinen Gast an der Haustüre verabschie­det. Ja, die Vergangenh­eit habe quasi gesiegt, weil sie ihn nicht mehr loslässt. Es gebe doch noch so viel zu tun, sagt er, und begründet sein Motiv mit einem Schmunzeln: „Ich tue es aus Liebe zu unserer schönen Heimat und unserem liebenswer­ten Städtchen Rain!“

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Fotos: Jürgen Ziegelmeir Sein Archiv hat Franz Müller nicht nur sauber in Form von Fotoalben und Kisten in seinen Schränken geordnet. Seine Dateien führt er auch digital.
 ??  ?? Alte Schriften und Satzungen, viele Dokumente hat Franz Mül ler in den vergangene­n Jahrzehnte­n angehäuft.
Alte Schriften und Satzungen, viele Dokumente hat Franz Mül ler in den vergangene­n Jahrzehnte­n angehäuft.
 ??  ?? An sieben Büchern, in denen die Geschichte von Rain und Um gebung dokumentie­rt ist, hat Franz Müller mitgeschri­eben.
An sieben Büchern, in denen die Geschichte von Rain und Um gebung dokumentie­rt ist, hat Franz Müller mitgeschri­eben.

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