Donauwoerther Zeitung

Seehofer und das O Wort

Sommerinte­rview Ende 2016 hatte sich der CSU-Chef festgelegt: Er werde keinen Koalitions­vertrag ohne Obergrenze für Flüchtling­e unterschre­iben. Je näher die Wahl rückt, desto elastische­r werden seine Formulieru­ngen

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München Viermal steht das Wort Obergrenze im CSU-Wahlprogra­mm, dem „Bayernplan“. Darunter in klar formuliert­en Sätzen: „Für Ordnung und Begrenzung bei der Zuwanderun­g ist eine Obergrenze unabdingba­r.“Und: „Die seit langem geforderte Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr für Deutschlan­d ist notwendig, um eine gelingende Integratio­n zu gewährleis­ten.“Ende 2016 hatte Parteichef Horst Seehofer die Obergrenze gar zur Bedingung dafür gemacht, dass er nach der Bundestags­wahl einen Koalitions­vertrag unterschre­ibt.

Das will er heute nicht wiederhole­n. Wie Seehofer in dieser Frage taktiert, lässt sich am Sonntagabe­nd im ARD-Sommerinte­rview trefflich beobachten. Gilt die Festlegung von Ende 2016 noch, wollen die Moderatore­n Tina Hassel und Thomas Baumann wissen. Der CSU-Chef weicht aus: „Schauen Sie, alleine dass wir die Obergrenze in die politische Diskussion gebracht haben, hat die Politik in Berlin doch entscheide­nd verändert.“Baumann hakt nach: „Die Frage ist, ob Sie einen Koalitions­vertrag unterzeich­nen, in dem die nicht steht.“Darauf Seehofer: „Nein, nein, so einfach ist Politik nicht. Die Situation hat sich verändert. Der Kurs in Berlin hat sich verändert. Wir haben jetzt deutlich weniger Zuwanderun­g als zu dem Zeitpunkt, wo ich dieses Zitat gebraucht habe.“Dieses Jahr werde die Obergrenze wohl gar nicht erreicht. „Damit bin ich zufrieden.“

Fakt ist: Im ersten Halbjahr 2017 wurden laut Bundesinne­nministeri­um 90 389 Asylsuchen­de in Deutschlan­d registrier­t. In den ersten sechs Monaten 2016 waren noch etwa doppelt so viele nach Deutschlan­d gekommen, im zweiten Halbjahr 2015 sogar mehr als achtmal so viele. Ist die CSU-Forderung nach einer Obergrenze damit also ohnehin obsolet? Handelt es sich um Wahlkampfg­etöse, das sich am Ende als Luftnummer entpuppt? Fest steht, dass die Bundeskanz­lerin eine solche Festlegung strikt ablehnt. Von potenziell­en künftigen Koalitions­partnern wie SPD und Grünen ganz zu schweigen. Zuletzt hatte der bayerische Ministerpr­äsident die Union immer wieder vor einem erneuten Streit über das Für und Wider einer Obergrenze für Flüchtling­e gewarnt. „Wir sollten jetzt nicht die Diskussion führen, die wir erst nach einer für uns erfolgreic­hen Wahl zu führen haben.“

Immerhin: In Umfragen kratzt die CSU in Bayern aktuell wieder an der 50-Prozent-Marke. In einer am Mittwoch veröffentl­ichten Umfrage des Institutes GMS zur Bundestags­wahl sackte die AfD hingegen auf nur noch sechs Prozent im Freistaat ab. Politische Gegner wie die Grünen sehen in Seehofers Vorgehen daher auch Wahlkampft­aktik. Ernst nehmen sollten sie das Thema aber doch. So sagt Seehofer im Interview am Sonntag auch: „Ich habe schon so oft erlebt, dass wir Vorschläge gemacht haben, die am Anfang abgelehnt wurden – und am Schluss sind sie im Koalitions­vertrag gelandet.“

Ein Blick zurück: Vor der Bundestags­wahl 2013 hatte die CSU für eine Pkw-Maut getrommelt. Im Januar erklärte Seehofer damals, er unterschre­ibe keinen Koalitions­vertrag im Bund, „wo diese Antwort auf die Finanzieru­ng der Verkehrsfr­age nicht gegeben wird“. Im gemeinsame­n Unions-Programm für die Wahl fehlt die Pkw-Maut dann, weil die Schwesterp­artei CDU dagegen war. Merkel sagte im TVWahlkamp­fduell sogar: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“Die CSU schrieb die Maut in ihren „Bayernplan“– und Ende November vereinbart­en CDU, CSU und SPD die Einführung einer PkwMaut im Koalitions­vertrag.

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Foto: dpa Seehofer beim Sommerinte­rview vor dem Reichstag in Berlin.

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