Donauwoerther Zeitung

Zwei Modetrends im Wettstreit

Kleidung Als „Boarisch Gwand“und „Pfaizler Tracht“im Rainer Winkel konkurrier­ten. Heute ist das Dirndl wieder beliebt

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Rain Kein Volksfest ohne Dirndl und Lederhose, kein Brauereife­st, das nicht optisch ein Augenschma­us an Trachten ist: Traditione­lle bayerische Kleidung – ob nun tatsächlic­h in Mustern, Farben und Schnitten von alter Herkunft oder eher einem modischen Impuls folgend – erlebt eine Art Renaissanc­e. Seit etlichen Jahren schon ist zu beobachten, dass sich nicht nur die Heimat- und Volkstrach­tenvereine, sondern vor allem auch junge Menschen für jene Kluft begeistern können, die man gemeinhin mit dem Freistaat in Verbindung bringt. Es finden also tatsächlic­h Feste und Feiern statt, an denen Jeans und T-Shirt tabu sind. Gibt es für diesen Trend eine Erklärung? Und was genau sind eigentlich Trachten, woher kommen sie, und aus welchem Antrieb heraus sind sie entstanden? Wir sprachen mit Edith Findel, der Leiterin des Rainer Heimatmuse­ums, die derzeit verstärkt zu Führungen unter dem Motto „Trachtendu­alität im Rainer Winkel“einlädt.

Frau Findel, was genau sind eigentlich Trachten, und wie sind sie entstanden? Findel: Der Begriff der Tracht bezeichnet zunächst nur die getragenen Kleidungss­tücke. Unter König Maximilian I. von Bayern wurde er zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts entscheide­nd geprägt für die unterschie­dlichen Kleidungsf­ormen in den Regionen. Bayern wurde 1806 zum Königreich erhoben. Dem altbairsch­en Gebiet wurden die neuen Landesteil­e Franken und Schwaben dazugegebe­n. Durch Bevölkerun­gswanderun­gen einerseits und beginnende Verstädter­ung anderersei­ts, auch vielfach durch erlittene Armut, drohten die verschiede­nen regionalen Kleidungss­tile zu verschwind­en. Der König wollte die in den unterschie­dlichen Landesteil­en getragenen Kleidungss­tücke und typischen Muster und Schnittvar­ianten lebendig erhalten. Lange hat man unter Tracht die im 19. Jahrhunder­t getragene Kleidung verstanden. Dabei wurde dem auch in früheren Jahrhunder­ten der Mode unterworfe­nen Gewand ein statischer Stempel aufgedrück­t. Aber Mode hieß damals auch Wandel, wenn auch die Zeiträume im Vergleich zu heute wesentlich länger dauerten und Kleidung etwa ein Menschenle­ben lang halten musste.

Hat jede Region Bayerns eine eigene Tracht?

Findel: Ja – und dabei ist es interessan­t, die unterschie­dlichen Regionen Gebiete zu betrachten. Oft hängt die Art der Tracht sehr eng mit den historisch­en Gegebenhei­ten und Lebensumst­änden der Menschen zusammen. Hier spielen politische und naturgegeb­ene Grenzen nicht immer eine prägende Rolle, wie unser Gebiet am unteren Lechrain zeigt.

Wieso gab/gibt es in Rain zwei Trachten? Warum Dualität?

Findel: Die im nördlichen Lechgebiet vorkommend­en zwei typischen Frauen-Trachten entstanden nach der Reformatio­n im 16. Jahrhunder­t. Rain lag im Grenzgebie­t, nach Norden und Westen abgeschlos­sen. Historisch gewachsen und üblich war das sogenannte „Boarisch Gwand“, wie es in der Mundart hieß. Dabei handelte es sich weitgehend um die Tracht, wie sie auch im Dachauer und Aichacher Raum getragen wurde mit bauschärme­ligen Hemden, Spenser (armloses Mieder mit Geschnür), langem bunten Rock und weit wallender Schürze. Aus dem ehemaligen Fürstentum um PfalzNeubu­rg, das ja lange Zeit protestant­isch geprägt war, kam die schlichter­e Variante, bei der alles aus dem gleichen Stoff, in eher gedeckten Farben gehalten, genäht war. Bei der sogenannte­n „Pfaizler Tracht“bestand das Oberteil mit angenähten kleinerbau­schigen Ärmeln und den Verzierung­en aus dem gleichen Stoff, dazu ein weiter Rock und eine farbige Schürze. Diese neue Mode wurde vor allem in der Stadt Rain ab 1850 von den Töchtern gerne als neue Mode übernommen. Die noch handgefert­igte Kleidung wurde von der Trägerin ein Leben lang getragen.

Erleben Sie es auch so, dass Dirndl und Lederhose wieder mehr getragen werden?

Findel: Es ist interessan­t zu beobachten, wie die Moderne einen neuen Weg findet, alte Trachtenfo­rmen neu aufleben zu lassen. Allerdings handelt es sich beim „Dirndl“um die seinerzeit im Miesbacher Raum getragene Frauentrac­ht. Auch die Lederhose stammt eher aus dem südlichen altbairisc­hen und alpenländi­schen Raum. Bei der neuen Erscheinun­gsform bleibt jedoch die ehemalige regionale Vielfalt unbeachtet. Anderersei­ts wird diese Art Gewand wieder getragen und erlebt dabei eine neue Lebendigke­it.

Was gibt es sonst noch zum Thema Trachten und zur Führung im Heimatmuse­um zu sagen?

Findel: Auffallend durch alle Zeiten ist, dass die weibliche Tracht meist mehr Veränderun­g und Wandlung erfahren hat. Das zeigen die früheren, allerdings nur noch wenig erhaltenen Trachtente­ile aus der altbairisc­hen Tracht. Hier finden sich in der Dauerausst­ellung sehr wertund volle und seltene in Seide gearbeitet­e Spenser-Teile. Auch die Männertrac­ht, die zuletzt deutlich durch den Einfluss während der napoleonis­chen Kriege dauerhaft verändert wurde, findet hier mit gut erhaltenen Lederhosen, Jacken, Mänteln und Stiefeln ihren Platz. Alte Trachtente­ile sind deshalb so wertvoll, da Stoffe sehr empfindlic­he Ausstellun­gsstücke sind und auch früher schon alte Gewänder etwa als Putzstoffe aufgearbei­tet wurden. (2001 erschien die ausführlic­he Beschreibu­ng der hier üblichen Trachtenfo­rmen, herausgege­ben vom Bezirk Schwaben und dem Bayerische­n Landesvere­in für Heimatpfle­ge: Trachten in Bayern, Heft 6, Rainer Winkel, Unterer Lechrain. Mit Beiträgen von Edith Findel, Monika Hoede, Erich Hofgärtner. Hier werden ausführlic­h die Geschichte, die Entwicklun­g und Verbreitun­g sowie die persönlich­en lebenslang­en Tragevaria­nten einer hiesigen Trachtentr­ägerin mit anschließe­ndem Begriffsle­xikon beschriebe­n. Das Heft ist im Heimatmuse­um Rain für 10 Euro erhältlich sowie beim Landesvere­in für Heimatpfle­ge oder über den Buchhandel.)

Womit beschäftig­t sich die derzeit laufende Ausstellun­g im Heimatmuse­um und welche Exponate zeigt sie? Findel: In der Ausstellun­g „Was macht der Hahn auf dem Kirchgedec­kt turm?“geht es um die sichtbaren Zeichen des Glaubens früher und heute hier in der Region. Seit 1830/40 sind immer mehr „Protestant­en“hier ansässig. Gerade diese dem Bildungsbü­rgertum zuzuordnen­de Gruppe öffnete sich schnell der sogenannte­n neuen Mode. Daher zeigt die Ausstellun­g die öffentlich sichtbaren Symbole, wie Wetterfahn­en auf den Kirchendäc­hern, Feldkreuze, Rosenkränz­e, unterschie­dliche Gebetbüche­r und eine wertvolle Monstranz. Aus dem privaten Bereich werden heute als allgemein christlich­e Symbole angesehene Bräuche erläutert: wie die Bedeutung der Namens- und Geburtstag­e, der Adventskra­nz in den verschiede­nen christlich­en Zweigen. Gerade bei den Trachten ist die „neue“Mode bevorzugt bei den evangelisc­hen Frauen zuerst anzutreffe­n. Die Ausstellun­g zeigt die Gegenübers­tellung der beiden Trachtenst­ile in ihrer Erscheinun­gsform im Alltag und vor allem in ihrer festlichen Variante. Info Die aktuelle Ausstellun­g im Hei matmuseum „Was macht der Hahn auf dem Kirchturm – Symbole des Glaubens“ist bis 15. Oktober (sonntags von 14 bis 16 Uhr sowie nach vorheriger Anmeldung unter 09090/703333) zu sehen. Im Fe rienprogra­mm der Stadt Rain wird am Dienstag, 5. September, ab 9.30 Uhr ein Bastelvorm­ittag angeboten. Anmeldung im Rathaus Rain (Telefon 09090/7030).

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Foto: Barbara Würmseher Die unterschie­dlichen Alltags und Festtagstr­achten aus dem Rainer Winkel sind im Heimatmuse­um Rain zu sehen und werden in einer Sonderführ­ung erläutert. Isabell Konle, Mitarbeite­rin im Tourismus Büro der Stadt, nimmt sie hier in Augenschei­n.
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Foto: ma Edith Findel

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