Zwei Modetrends im Wettstreit
Kleidung Als „Boarisch Gwand“und „Pfaizler Tracht“im Rainer Winkel konkurrierten. Heute ist das Dirndl wieder beliebt
Rain Kein Volksfest ohne Dirndl und Lederhose, kein Brauereifest, das nicht optisch ein Augenschmaus an Trachten ist: Traditionelle bayerische Kleidung – ob nun tatsächlich in Mustern, Farben und Schnitten von alter Herkunft oder eher einem modischen Impuls folgend – erlebt eine Art Renaissance. Seit etlichen Jahren schon ist zu beobachten, dass sich nicht nur die Heimat- und Volkstrachtenvereine, sondern vor allem auch junge Menschen für jene Kluft begeistern können, die man gemeinhin mit dem Freistaat in Verbindung bringt. Es finden also tatsächlich Feste und Feiern statt, an denen Jeans und T-Shirt tabu sind. Gibt es für diesen Trend eine Erklärung? Und was genau sind eigentlich Trachten, woher kommen sie, und aus welchem Antrieb heraus sind sie entstanden? Wir sprachen mit Edith Findel, der Leiterin des Rainer Heimatmuseums, die derzeit verstärkt zu Führungen unter dem Motto „Trachtendualität im Rainer Winkel“einlädt.
Frau Findel, was genau sind eigentlich Trachten, und wie sind sie entstanden? Findel: Der Begriff der Tracht bezeichnet zunächst nur die getragenen Kleidungsstücke. Unter König Maximilian I. von Bayern wurde er zu Beginn des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt für die unterschiedlichen Kleidungsformen in den Regionen. Bayern wurde 1806 zum Königreich erhoben. Dem altbairschen Gebiet wurden die neuen Landesteile Franken und Schwaben dazugegeben. Durch Bevölkerungswanderungen einerseits und beginnende Verstädterung andererseits, auch vielfach durch erlittene Armut, drohten die verschiedenen regionalen Kleidungsstile zu verschwinden. Der König wollte die in den unterschiedlichen Landesteilen getragenen Kleidungsstücke und typischen Muster und Schnittvarianten lebendig erhalten. Lange hat man unter Tracht die im 19. Jahrhundert getragene Kleidung verstanden. Dabei wurde dem auch in früheren Jahrhunderten der Mode unterworfenen Gewand ein statischer Stempel aufgedrückt. Aber Mode hieß damals auch Wandel, wenn auch die Zeiträume im Vergleich zu heute wesentlich länger dauerten und Kleidung etwa ein Menschenleben lang halten musste.
Hat jede Region Bayerns eine eigene Tracht?
Findel: Ja – und dabei ist es interessant, die unterschiedlichen Regionen Gebiete zu betrachten. Oft hängt die Art der Tracht sehr eng mit den historischen Gegebenheiten und Lebensumständen der Menschen zusammen. Hier spielen politische und naturgegebene Grenzen nicht immer eine prägende Rolle, wie unser Gebiet am unteren Lechrain zeigt.
Wieso gab/gibt es in Rain zwei Trachten? Warum Dualität?
Findel: Die im nördlichen Lechgebiet vorkommenden zwei typischen Frauen-Trachten entstanden nach der Reformation im 16. Jahrhundert. Rain lag im Grenzgebiet, nach Norden und Westen abgeschlossen. Historisch gewachsen und üblich war das sogenannte „Boarisch Gwand“, wie es in der Mundart hieß. Dabei handelte es sich weitgehend um die Tracht, wie sie auch im Dachauer und Aichacher Raum getragen wurde mit bauschärmeligen Hemden, Spenser (armloses Mieder mit Geschnür), langem bunten Rock und weit wallender Schürze. Aus dem ehemaligen Fürstentum um PfalzNeuburg, das ja lange Zeit protestantisch geprägt war, kam die schlichtere Variante, bei der alles aus dem gleichen Stoff, in eher gedeckten Farben gehalten, genäht war. Bei der sogenannten „Pfaizler Tracht“bestand das Oberteil mit angenähten kleinerbauschigen Ärmeln und den Verzierungen aus dem gleichen Stoff, dazu ein weiter Rock und eine farbige Schürze. Diese neue Mode wurde vor allem in der Stadt Rain ab 1850 von den Töchtern gerne als neue Mode übernommen. Die noch handgefertigte Kleidung wurde von der Trägerin ein Leben lang getragen.
Erleben Sie es auch so, dass Dirndl und Lederhose wieder mehr getragen werden?
Findel: Es ist interessant zu beobachten, wie die Moderne einen neuen Weg findet, alte Trachtenformen neu aufleben zu lassen. Allerdings handelt es sich beim „Dirndl“um die seinerzeit im Miesbacher Raum getragene Frauentracht. Auch die Lederhose stammt eher aus dem südlichen altbairischen und alpenländischen Raum. Bei der neuen Erscheinungsform bleibt jedoch die ehemalige regionale Vielfalt unbeachtet. Andererseits wird diese Art Gewand wieder getragen und erlebt dabei eine neue Lebendigkeit.
Was gibt es sonst noch zum Thema Trachten und zur Führung im Heimatmuseum zu sagen?
Findel: Auffallend durch alle Zeiten ist, dass die weibliche Tracht meist mehr Veränderung und Wandlung erfahren hat. Das zeigen die früheren, allerdings nur noch wenig erhaltenen Trachtenteile aus der altbairischen Tracht. Hier finden sich in der Dauerausstellung sehr wertund volle und seltene in Seide gearbeitete Spenser-Teile. Auch die Männertracht, die zuletzt deutlich durch den Einfluss während der napoleonischen Kriege dauerhaft verändert wurde, findet hier mit gut erhaltenen Lederhosen, Jacken, Mänteln und Stiefeln ihren Platz. Alte Trachtenteile sind deshalb so wertvoll, da Stoffe sehr empfindliche Ausstellungsstücke sind und auch früher schon alte Gewänder etwa als Putzstoffe aufgearbeitet wurden. (2001 erschien die ausführliche Beschreibung der hier üblichen Trachtenformen, herausgegeben vom Bezirk Schwaben und dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege: Trachten in Bayern, Heft 6, Rainer Winkel, Unterer Lechrain. Mit Beiträgen von Edith Findel, Monika Hoede, Erich Hofgärtner. Hier werden ausführlich die Geschichte, die Entwicklung und Verbreitung sowie die persönlichen lebenslangen Tragevarianten einer hiesigen Trachtenträgerin mit anschließendem Begriffslexikon beschrieben. Das Heft ist im Heimatmuseum Rain für 10 Euro erhältlich sowie beim Landesverein für Heimatpflege oder über den Buchhandel.)
Womit beschäftigt sich die derzeit laufende Ausstellung im Heimatmuseum und welche Exponate zeigt sie? Findel: In der Ausstellung „Was macht der Hahn auf dem Kirchgedeckt turm?“geht es um die sichtbaren Zeichen des Glaubens früher und heute hier in der Region. Seit 1830/40 sind immer mehr „Protestanten“hier ansässig. Gerade diese dem Bildungsbürgertum zuzuordnende Gruppe öffnete sich schnell der sogenannten neuen Mode. Daher zeigt die Ausstellung die öffentlich sichtbaren Symbole, wie Wetterfahnen auf den Kirchendächern, Feldkreuze, Rosenkränze, unterschiedliche Gebetbücher und eine wertvolle Monstranz. Aus dem privaten Bereich werden heute als allgemein christliche Symbole angesehene Bräuche erläutert: wie die Bedeutung der Namens- und Geburtstage, der Adventskranz in den verschiedenen christlichen Zweigen. Gerade bei den Trachten ist die „neue“Mode bevorzugt bei den evangelischen Frauen zuerst anzutreffen. Die Ausstellung zeigt die Gegenüberstellung der beiden Trachtenstile in ihrer Erscheinungsform im Alltag und vor allem in ihrer festlichen Variante. Info Die aktuelle Ausstellung im Hei matmuseum „Was macht der Hahn auf dem Kirchturm – Symbole des Glaubens“ist bis 15. Oktober (sonntags von 14 bis 16 Uhr sowie nach vorheriger Anmeldung unter 09090/703333) zu sehen. Im Fe rienprogramm der Stadt Rain wird am Dienstag, 5. September, ab 9.30 Uhr ein Bastelvormittag angeboten. Anmeldung im Rathaus Rain (Telefon 09090/7030).