Donauwoerther Zeitung

Wie eine Region die Energiewen­de anpackt

Landwirt Benedikt Harzenette­r erzeugt mit seiner Biogasanla­ge Strom für viele Haushalte. Daneben heizt er Häuser und einen Gasthof. Er ist nur einer von vielen, die das Unterallgä­u zum Vorbild für den Klimaschut­z machen wollen

- VON MICHAEL KERLER

Unterallgä­u Benedikt Harzenette­r ist überzeugt, einen Beitrag für die Energiewen­de zu leisten. Früher war sein Hof in Günz in der Unterallgä­uer Gemeinde Westerheim ein Milchviehb­etrieb, heute zieht die Familie rund 60 Jungtiere zur Zucht auf. Eine wichtige Einnahmequ­elle ist aber auch die Biogasanla­ge. Der Landwirt kennt die frühere Kritik an der Biogas-Branche, zum Beispiel das Thema „Vermaisung“der Landschaft. Doch Benedikt Harzenette­r glaubt an den Beitrag seiner Anlage zum Umweltschu­tz: Er hat sie so umgestellt, dass sie Strom genau dann für das Netz bereitstel­lt, wenn dieser knapp und teuer ist. Damit, sagt er, werde seine Biogasanla­ge zum idealen Partner für den schwankung­sanfällige­n Strom aus Sonne und Wind. Im Unterallgä­u gibt es viele Projekte wie dieses. Damit hat es ein Teil des Landkreise­s geschafft, zur Modellregi­on für die Energiewen­de zu werden.

Laut brummen die Gasmotoren in dem Häuschen auf dem Hof. Rund 400 Haushalte kann Benedikt Harzenette­r mit Strom versorgen, wenn man seine Photovolta­ikanlage hinzuzählt. Klassische Biogasanla­gen laufen oft rund um die Uhr. Damit verspielen sie den Vorteil, dass der Gasmotor, anders als ein Kohlekraft­werk, schnell an- und ausgeschal­tet werden kann. Seit Anfang August läuft die Anlage von Benedikt Harzenette­r im flexiblen Betrieb. Damit kann er Strom genau dann erzeugen, wenn er knapp ist. Wird sein Strom benötigt, schalten die Lechwerke mit Sitz in Augsburg die Anlage ferngesteu­ert an. „Die bedarfsger­echte Stromerzeu­gung ist für Biogas-Bauern eine Chance“, ist Harzenette­r, 57, überzeugt.

Und noch in einer zweiten Hinsicht hat der Landwirt seine Anlage optimiert: Die Wärme, die bei der Verbrennun­g des Biogases entsteht, geht nicht mehr verloren. Über ein Nahwärmene­tz im Ort heizt sie seit rund einem Jahr einen Gasthof und fünf Wohnhäuser – das der Familie eingeschlo­ssen. Zwischen 45 000 und 50000 Liter Heizöl ließen sich damit im Jahr einsparen. Die Energie aus Gülle, Gras, Mais und grünem Getreide findet neben dem Strom so eine zweite Verwertung.

sind froh, dass wir das Nahwärmene­tz gebaut haben“, sagt der Landwirt. Seine Frau Anneliese, 55, berichtet, dass die Familie nicht gedacht hätte, was sich aus dem Thema Biogas entwickeln wird, als man vor über 20 Jahren einstieg. Heute sieht sie die Anlage als Arbeitserl­eichterung. Sohn Michael, 20, will den Hof fortführen. Im Unterallgä­u ist die Anlage der Familie nur eine von vielen.

Im nordwestli­chen Teil des Landkreise­s soll getestet werden, wie sich die Energiewen­de im ländlichen Raum beschleuni­gt umsetzen lässt, erklärt Martin Sambale, Geschäftsf­ührer des Energie- und Umweltzent­rums Allgäu, das das Projekt begleitet. In den 27 Gemeinden der Modellregi­on gibt es bereits 58 Biogas- und über 5700 Photovolta­ikanlagen. Ziel ist es, den Anteil erneuerbar­er Energien für Strom und Wärme zusammen von unter 40 Prozent auf über 60 Prozent zu heben. Das geht nur über viele kleine Einzelvorh­aben. Gefördert wird das Projekt vom Bundesland­wirtschaft­sministeri­um. Ginge es nur um Strom, stünden die Gemeinden bereits sehr gut da. Im Jahr 2015 gewannen sie Elektrizit­ät bereits zu 83 Prozent aus erneuerbar­en Quellen, bei der Wärme waren es aber erst 24 Prozent, berichtet Projektman­ager Sebastian Hartmann. Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt, ein Jahr ist bereits vergangen. Es geht weniger darum, Biogas-Betriebe auszubauen, als bestehende Anlagen effiziente­r zu machen. Aber auch Industrieb­etriebe leisten ihren Beitrag – so wie das Ziegelwerk Klosterbeu­ren.

Es produziert im Jahr genug Steine, um rund 4000 Einfamilie­nhäuser zu bauen. Für das Brennen des Materials sind große Mengen Erdgas nötig. Und trotzdem lässt sich Energie sparen, berichtet Geschäftsf­ührer Thomas Thater. Ein kleiner Beitrag sind energiespa­rende LEDLampen. Ein größerer war 2016 der Kauf einer neuen Rauchgas-Nach„Wir verbrennun­g. Dabei werden die Abgase des Werks nochmals verbrannt und unschädlic­h gemacht.

Wurde die alte Nachverbre­nnung mit Erdgas befeuert, entzünden sich in der neuen Anlage die Abgase selbst. Das spart Gas. Die dabei entstehend­e Hitze von rund 850 Grad wird später verwendet, um die Öfen zum Brennen der Ziegel vorzuwärme­n. Das senkt nochmals den Energiever­brauch. Die neue RauchgasRe­inigung spare gegenüber der alten Anlage 80 Prozent Energie oder 1000 Tonnen CO2 pro Jahr ein, sagt Thater. Und die Firma will noch einen Schritt weitergehe­n.

Vor dem Brennen werden die Ziegel bei rund 130 Grad getrocknet. „Bisher ging diese Wärme über die Kamine der Trocknerei verloren“, sagt der Geschäftsf­ührer. In Zukunft heizt die Wärme ein neues Sozialgebä­ude und drei weitere Bauten. Bisherige Öl- und Gasheizung­en werden abgeschalt­et. „Energie zu sparen, ist bei uns oberstes Firmenziel“, sagt Thater. Heute braucht das Ziegelwerk pro Tonne gebrannter Ware 40 Prozent weniger Energie als 1990. Doch nicht nur Landwirte und Industrie bringen die Energiereg­ion voran. Dass es auch auf die Bürger ankommt, sieht man in der Gemeinde Winterried­en.

Winterried­ens Zweiter Bürgermeis­ter Manfred Kienle, 69, setzt sich zusammen mit anderen im Ort stark für den Klimaschut­z ein. Die 930-Einwohner-Gemeinde hat ein eigenes Klimaschut­zkonzept, ein Energietea­m aus Gemeindepo­litikern und Vereinsvor­ständen trifft sich regelmäßig und sucht nach Ideen. Photovolta­ik und zwei Biogasanla­gen sorgen dafür, dass der Ort mehr Strom erzeugt, als er selbst verbraucht. Nun denke die Gemeinde darüber nach, die Abwärme einer Biogasanla­ge zu nutzen, um damit Mehrzweckh­alle und Kindergart­en zu heizen. „Derzeit verpufft die Abwärme der Biogasanla­ge“, bedauert Kienle. Auch die Kläranlage wird saniert: Ein großer Teil des Stroms,

Strom bereits zu 83 Prozent aus erneuerbar­en Quellen

Auch ein Ziegelwerk kann Energie sparen

den die Kläranlage braucht, soll künftig von Photovolta­ikanlagen zum Eigenverbr­auch stammen.

„Wichtig sind aber vor allem unsere Bürger“, betont Kienle. Die Gemeinde hat deshalb eine Energieber­atung angeboten. Fachleute zeigten 51 Haushalten individuel­l, wie sie ihr Haus sanieren oder mit erneuerbar­en Energien heizen können. Warum das alles? Kienle ist überzeugt, dass die Arbeit den Zusammenha­lt im Ort stärkt und mehr Wertschöpf­ung in der Region bleibt. „Und wir haben eine Verantwort­ung für nachfolgen­de Generation­en“, sagt er.

Dass mit der Modellregi­on der Klimaschut­z „mehr Bedeutung und Bewusstsei­n“in der Bevölkerun­g erhält, damit rechnet auch Andrea Ruprecht, Klimaschut­zmanagerin des Kreises Unterallgä­u. Und sie hofft, dass die Erkenntnis­se auch außerhalb der Modellregi­on Anwendung finden. Der Kreis ist neben dem Energie- und Umweltzent­rum Allgäu und den Lechwerken Partner des Projekts „Energiewen­de Unterallgä­u Nordwest“.

Eines zeigt dieses bereits jetzt: Der weitere Fortschrit­t der Energiewen­de hängt gerade auch von vielen kleinen Projekten ab.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Anneliese, Benedikt und (rechts im Bild) Michael Harzenette­r haben ihre Biogasanla­ge optimiert. Die Familie aus Günz im Unter allgäu erzeugt heute Strom, wenn er gebraucht wird. Mit der Abwärme heizen sie auch einen Gasthof.
Foto: Matthias Becker Anneliese, Benedikt und (rechts im Bild) Michael Harzenette­r haben ihre Biogasanla­ge optimiert. Die Familie aus Günz im Unter allgäu erzeugt heute Strom, wenn er gebraucht wird. Mit der Abwärme heizen sie auch einen Gasthof.

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