Donauwoerther Zeitung

Neue Fragen im Fall Ursula Herrmann

Der Tod des Mädchens jährt sich zum 36. Mal. Noch immer gibt es Zweifel, ob der richtige Mann in Haft sitzt. Wie dessen Anwalt jetzt ein wichtiges Indiz ins Wanken bringen will

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg In diesen Tagen jährt sich das Verbrechen zum 36. Mal. Am 15. September 1981 wurde Ursula Herrmann, ein zehn Jahre altes Mädchen, entführt. Der Entführer fing das Kind ab, als es mit dem Fahrrad am Ammersee entlang fuhr, auf dem Heimweg nach Eching im Kreis Landsberg. Der Täter sperrte das Kind in eine Holzkiste, die in der Nähe im Waldboden vergraben war. Das Kind erstickte darin.

Seit neun Jahren sitzt ein Mann im Gefängnis, der für diese grausame Tat verurteilt wurde. Werner Mazurek war ein Nachbar der Familie Herrmann. Er hatte Schulden und soll gegenüber Bekannten einmal gesagt haben, dass man schon eine Entführung machen müsse, um an Geld zu kommen. Mazurek, inzwischen 66, bestreitet bis heute eine Beteiligun­g an der Kindesentf­ührung. Doch soll man ihm das glauben? Sein Anwalt Walter Rubach zweifelt schon lange am wichtigste­n Indiz, auf das sich das Landgerich­t Augsburg stützte. Nun aber glaubt er, endlich einen Beleg für seine Zweifel in den Händen zu halten.

Es geht um ein Tonbandger­ät der Marke Grundig, Typ TK 428. Das Gerät fanden Ermittler im Jahr 2007 im Haus des zwischenze­itlich nach Norddeutsc­hland umgezogene­n Verdächtig­en. Das Gerät soll Mazurek für Erpressera­nrufe bei der Familie des Mädchens benutzt haben. In den Tagen nach dem Verschwind­en von Ursula hatte bei den Herrmanns neun Mal das Telefon geklingelt. Zu hören war nur ein Rauschen und Knacken – und die Verkehrsme­lodie des Radiosende­rs Bayern 3. Danach kam per Brief die Forderung von zwei Millionen Mark.

Hat Werner Mazurek das Tonbandger­ät all die Jahre aufbewahrt, bis die Ermittler es 2007 dann entdeckten? Eine Gutachteri­n des Landeskrim­inalamtes (LKA) kam immerhin zum Ergebnis, dass genau dieses Gerät „wahrschein­lich“für die Erpressera­nrufe benutzt wurde. Anwalt Walter Rubach hat jetzt aber die Analyse eines Physikers vorliegen, die etwas ganz anders besagt. Der Physiker, der in der Nähe des Ammersees lebt und sich intensiv mit dem Kriminalfa­ll befasst hat, ist überzeugt, dass das LKA-Gutachten quasi wertlos ist. Die Gutachteri­n habe, stellt er fest, mit einer Verkehrsme­lodie gearbeitet, die sich technisch für den Vergleich nicht eignete. Anwalt Walter Rubach will deshalb erreichen, dass ein neues Gutachten erstellt wird.

Das soll im Rahmen eines Zivilproze­sses geschehen, der aktuell vor dem Augsburger Landgerich­t verhandelt wird. Michael Herrmann, der Bruder des getöteten Mädchens, hat Werner Mazurek auf Schmerzens­geld verklagt, weil ihn das Strafverfa­hren um den Tod seiner Schwester krank gemacht habe. Die Klage hat aber noch einen weiteren Hintergrun­d: Michael Herrmann ist nicht überzeugt davon, dass der Richtige im Gefängnis sitzt. Er wollte eine neue Beweisaufn­ahme.

Ob es ein neues Gutachten zum Tonbandger­ät geben wird, ließen die Richter bei einem Termin gestern offen. Die Kammer habe noch Beratungsb­edarf, sagte der Vorsitzend­e Richter Harald Mayer. Gut zwei Stunden hatten Gericht und Anwälte zuvor einen Kripobeamt­en befragt, der nach der Entführung der Sonderkomm­ission angehört hatte. Er hatte mehrmals einen alkoholabh­ängigen Kleinkrimi­nellen vernommen, der womöglich mit der Tat zu tun hatte. Er hatte gestanden, im Auftrag von Werner Mazurek ein Loch gegraben zu haben. Kurz darauf hatte er diese Aussage aber widerrufen. Die Arbeit der Kripo erscheint dabei fragwürdig. Ausgerechn­et vom Geständnis gibt es kein offizielle­s, vom Befragten unterschri­ebenes Protokoll, sondern nur ein „Gedächtnis­protokoll“der Beamten. Den Zeugen kann man nicht mehr befragen. Er ist gestorben.

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Foto: Polizei Dieses Tonbandger­ät ist ein wichtiges Indiz.

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