Donauwoerther Zeitung

Oh Gott, oben ohne!

- VON JOSEF KARG jok@augsburger allgemeine.de

Spätsommer am See. Eine ältere Frau sonnt sich oben ohne am Ufer – friedlich, weder provokativ oder gar aufreizend. Zwei junge Frauen, vielleicht um die 20, bewerten die Situation anders. Sie schauen zu ihr rüber und zischeln empört: „Oh mein Gott – oben ohne. Das geht doch gar nicht!“

Noch vor 20 Jahren waren Frauen, die sich halbnackt auf den Liegewiese­n zeigten, an bayerische­n Seen, Flüssen und sogar in vielen Freibädern eine Selbstvers­tändlichke­it. Heute sind Barbusige selbst am legendären Eisbach im Englischen Garten in München eine Rarität geworden.

Willkommen im Zeitalter des Konservati­smus! Der hatte seit den 70er Jahren selbst im Freistaat lange Zeit keinen guten Ruf. Sogar CSU-Politiker vermieden es, als konservati­v dargestell­t zu werden. Es hatte den Klang des Verstaubte­n, des Unbeweglic­hen und Autoritäre­n, manchmal des Korrupten und Hartherzig­en.

Das hat sich gewandelt. Der Fortschrit­t hat seine Richtung geändert und sich gegen manche scheinbar emanzipato­rischen Errungensc­haften gewendet. Was früher Freiheit, Aufbruch und vor allem ein Schub fürs Selbstbewu­sstsein waren, ist heute eher schambehaf­tet. Warum? Darüber kann man trefflich spekuliere­n.

Vielleicht ist die junge Generation ja des blanken Busens, den Brigitte Bardot einst populär machte, einfach nur überdrüssi­g? Vielleicht ist aber auch durch Instagram, Facebook und Co. eine Gesellscha­ft entstanden, in der nur mehr digital bearbeitet­e Nacktheit ihren Platz hat. Vielleicht musste die oben-ohne-Kultur aber auch nur der Invasion der Gummi-Rieseneinh­örner weichen, die derzeit gemütlich auf den Wellen vieler Seen schaukeln? Das wäre doch mal eine witzige Verschwöru­ngstheorie.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany