Analoges tun, Digitales nicht lassen
Der Memminger Dieter Rehm startete seine Karriere als Fotograf mit der Gestaltung von Plattencovern für das Label ECM. Inzwischen ist er an der Münchner Kunstakademie tätig – nicht nur als Professor
Memmingen Gut möglich, dass die künstlerische Laufbahn des Fotografen Dieter Rehm anders verlaufen wäre ohne sein Faible für Musik. In jungen Jahren jedenfalls stand die Fotografie für den Memminger noch im Hintergrund, galt die Aufmerksamkeit vor allem der Gitarre und der elektrischen Violine – anspruchsvoller Rock à la Zappa und King Crimson war das Vorbild, dem man nacheiferte. Doch um mit Musik einmal den Lebensunterhalt zu verdienen, dazu reichten die Fähigkeiten, wie Rehm rechtzeitig erkannte, doch nicht hin. Weil die künstlerische Begabung aber offensichtlich war, begann er Kunstpädagogik zu studieren, malte nebenher, machte auch schon Fotografien, doch nur als Vorlage für Bilder mit Stift und Pinsel.
Die Musik aber war nicht aus Rehms Gesichtskreis verschwunden. In München, wo er studierte, setzte damals in den 70er Jahren das JazzPlattenlabel ECM zu seinem Höhenflug an. Angezogen von der Aura der hier versammelten Musikgrößen, begann Rehm bei ECM als Lagerist zu jobben. Eines Tages fasste er sich ein Herz und legte der damals fürs Coverdesign verantwortlichen Barbara Wojirsch eines seiner Fotos vor: ein strahlend blauer Himmel, durch den sich bogenförmig ein weißer Kondensstreifen zieht. „Dem Bild hätte ich’s gar nicht zugetraut“, sagt Dieter Rehm heute, „aber es kam auf das Cover einer Platte des Jazz-Trios Azimuth.“
Damit beginnt eine für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit. Rehm verlegt sich zunehmend auf die Fotografie, eignet sich das Medium an durch „learning by doing“, wie er es nennt. Es sind Jahre, in denen er viel experimentiert und dabei seiner Kreativität freien Lauf lässt. Etwa, indem er Negativfilme im Wasser kocht („Die lassen sich dann leichter bearbeiten“), sie zerkratzt und schließlich entwickelt – auch solche Motive finden sich auf ECMAlben. Rund 150 Plattencover ge- staltet Rehm für die Münchner, viele mit eigenen Fotos, aber auch mit fremdem Bildmaterial. Bei ECM rückt er schließlich in die Verantwortungsposition fürs Design, schafft mit puristischen, stillen Coverbildern das visuelle Pendant zur akustischen Ästhetik des Plattenlabels. Schließlich ist Rehm nicht nur den Hörern von Keith Jarrett, Pat Metheny oder Lester Bowie ein Begriff, sondern wird in weiterem Umkreis wahrgenommen für seine künstlerische Fotografie.
Da betritt in den 80er Jahren die Compact Disc die Bühne und beginnt, die Langspielplatte vom Markt zu verdrängen. Die Schausei- ten des neuen Formats sind nur noch einen Bruchteil so groß wie die bisherigen Plattencover, eine unzumutbare Einschränkung für einen anspruchsvollen Gestalter wie Rehm. Er orientiert sich neu, nimmt eine Stelle in der Fotowerkstatt der Münchner Akademie der Bildenden Künste an, seiner alten Studienstätte. Und beginnt, mit Großbildkameras zu arbeiten, die noch heute sein favorisiertes Arbeitsgerät sind.
„Mit einer digitalen Kamera schieße ich viel zu viele Bilder“, argumentiert Rehm. „Die Großbildkamera dagegen zwingt mich zur Konzentration.“Denn das Filmmaterial für die alten Apparate ist teuer und zunehmend auch schwer zu bekommen. Doch der 62-Jährige schwört darauf und nimmt klaglos in Kauf, Großapparate wie seine Linhof oder die schon historische Deardorff samt unverzichtbarem Stativ auf einem Wägelchen zum Einsatzort ziehen zu müssen.
Wer nun denkt, Dieter Rehm sei als Fotograf vom Scheitel bis zur Sohle dem analogen Zeitalter verhaftet, irrt. Das Digitale spielt bei ihm eine große Rolle, allerdings erst, wenn die Aufnahme mit konventioneller Technik erfolgt ist. Rehm schätzt zwar das unveränderte, quasi naturalistische Bild, zeigt solche Aufnahmen auch öffentlich; zugleich aber verändert er für Bildvarianten mittels digitaler Bearbeitung die Farben, vertauscht die positiven und negativen Stufen der Bilder. Solche Verfahren zeitigen, jenseits jeglichen Bilder-Fakes, faszinierende Ergebnisse – der Betrachter nimmt andere Details wahr, sieht im Extremfall gar ein neues, in der Substanz dennoch unverändertes Bild. Eindrücklich lässt sich das aktuell im Ottobeurer KunerthMuseum nachvollziehen, wo Rehm eine Auswahl aus seinem Schaffen zeigt mit Großformaten, die, typisch für ihn, vorzugsweise architektonischen Motiven gewidmet sind.
Rehm, zu Beginn seiner Laufbahn Lernender an der Münchner Akademie, ist dort schließlich selbst Lehrer für Fotografie geworden. Und sogar noch weiter gerückt: Seit 2010 ist er Präsident der Akademie, mittlerweile in zweiter Amtszeit. Die Arbeit ist nun bestimmt durch das Management dieser altehrwürdigen Institution – „Dinge, die mir Spaß machen“. Die Lehre und das
„Im Allgäu lässt es sich gut nachdenken“
eigene künstlerische Wirken müssen dabei zurücktreten, das Führungsamt fordert viel Zeit. Unter der Woche wohnt er in München, die Wochenenden aber verbringt er gerne in Memmingen im elterlichen Haus: „Im Allgäu lässt es sich gut leben und nachdenken.“
Wenn im April die PräsidentenPeriode zu Ende geht, will er sich wieder mehr der eigenen Kunst zuwenden. Und auch der Musik. Die Gitarre hat er schon seit längerer Zeit wieder ausgegraben, spielt sie in der Band der Münchner Akademie und auch in einer Memminger Gruppierung. Da schließt sich ein Kreis, wie der Fotograf selber mit einem Lächeln bekennt: „Jetzt auf meine alten Tage mache ich wieder Musik.“
OAusstellung Im Ottobeurer Museum für zeitgenössische Kunst sind Dieter Rehms Fotografien neben Arbeiten von Dieter Kunerth noch bis zum 12. No vember zu sehen. Geöffnet Di – Fr von 11 bis 16, Sa/So von 12 bis 17 Uhr.