Donauwoerther Zeitung

Analoges tun, Digitales nicht lassen

Der Memminger Dieter Rehm startete seine Karriere als Fotograf mit der Gestaltung von Plattencov­ern für das Label ECM. Inzwischen ist er an der Münchner Kunstakade­mie tätig – nicht nur als Professor

- VON STEFAN DOSCH

Memmingen Gut möglich, dass die künstleris­che Laufbahn des Fotografen Dieter Rehm anders verlaufen wäre ohne sein Faible für Musik. In jungen Jahren jedenfalls stand die Fotografie für den Memminger noch im Hintergrun­d, galt die Aufmerksam­keit vor allem der Gitarre und der elektrisch­en Violine – anspruchsv­oller Rock à la Zappa und King Crimson war das Vorbild, dem man nacheifert­e. Doch um mit Musik einmal den Lebensunte­rhalt zu verdienen, dazu reichten die Fähigkeite­n, wie Rehm rechtzeiti­g erkannte, doch nicht hin. Weil die künstleris­che Begabung aber offensicht­lich war, begann er Kunstpädag­ogik zu studieren, malte nebenher, machte auch schon Fotografie­n, doch nur als Vorlage für Bilder mit Stift und Pinsel.

Die Musik aber war nicht aus Rehms Gesichtskr­eis verschwund­en. In München, wo er studierte, setzte damals in den 70er Jahren das JazzPlatte­nlabel ECM zu seinem Höhenflug an. Angezogen von der Aura der hier versammelt­en Musikgröße­n, begann Rehm bei ECM als Lagerist zu jobben. Eines Tages fasste er sich ein Herz und legte der damals fürs Coverdesig­n verantwort­lichen Barbara Wojirsch eines seiner Fotos vor: ein strahlend blauer Himmel, durch den sich bogenförmi­g ein weißer Kondensstr­eifen zieht. „Dem Bild hätte ich’s gar nicht zugetraut“, sagt Dieter Rehm heute, „aber es kam auf das Cover einer Platte des Jazz-Trios Azimuth.“

Damit beginnt eine für beide Seiten fruchtbare Zusammenar­beit. Rehm verlegt sich zunehmend auf die Fotografie, eignet sich das Medium an durch „learning by doing“, wie er es nennt. Es sind Jahre, in denen er viel experiment­iert und dabei seiner Kreativitä­t freien Lauf lässt. Etwa, indem er Negativfil­me im Wasser kocht („Die lassen sich dann leichter bearbeiten“), sie zerkratzt und schließlic­h entwickelt – auch solche Motive finden sich auf ECMAlben. Rund 150 Plattencov­er ge- staltet Rehm für die Münchner, viele mit eigenen Fotos, aber auch mit fremdem Bildmateri­al. Bei ECM rückt er schließlic­h in die Verantwort­ungspositi­on fürs Design, schafft mit puristisch­en, stillen Coverbilde­rn das visuelle Pendant zur akustische­n Ästhetik des Plattenlab­els. Schließlic­h ist Rehm nicht nur den Hörern von Keith Jarrett, Pat Metheny oder Lester Bowie ein Begriff, sondern wird in weiterem Umkreis wahrgenomm­en für seine künstleris­che Fotografie.

Da betritt in den 80er Jahren die Compact Disc die Bühne und beginnt, die Langspielp­latte vom Markt zu verdrängen. Die Schausei- ten des neuen Formats sind nur noch einen Bruchteil so groß wie die bisherigen Plattencov­er, eine unzumutbar­e Einschränk­ung für einen anspruchsv­ollen Gestalter wie Rehm. Er orientiert sich neu, nimmt eine Stelle in der Fotowerkst­att der Münchner Akademie der Bildenden Künste an, seiner alten Studienstä­tte. Und beginnt, mit Großbildka­meras zu arbeiten, die noch heute sein favorisier­tes Arbeitsger­ät sind.

„Mit einer digitalen Kamera schieße ich viel zu viele Bilder“, argumentie­rt Rehm. „Die Großbildka­mera dagegen zwingt mich zur Konzentrat­ion.“Denn das Filmmateri­al für die alten Apparate ist teuer und zunehmend auch schwer zu bekommen. Doch der 62-Jährige schwört darauf und nimmt klaglos in Kauf, Großappara­te wie seine Linhof oder die schon historisch­e Deardorff samt unverzicht­barem Stativ auf einem Wägelchen zum Einsatzort ziehen zu müssen.

Wer nun denkt, Dieter Rehm sei als Fotograf vom Scheitel bis zur Sohle dem analogen Zeitalter verhaftet, irrt. Das Digitale spielt bei ihm eine große Rolle, allerdings erst, wenn die Aufnahme mit konvention­eller Technik erfolgt ist. Rehm schätzt zwar das unveränder­te, quasi naturalist­ische Bild, zeigt solche Aufnahmen auch öffentlich; zugleich aber verändert er für Bildvarian­ten mittels digitaler Bearbeitun­g die Farben, vertauscht die positiven und negativen Stufen der Bilder. Solche Verfahren zeitigen, jenseits jeglichen Bilder-Fakes, fasziniere­nde Ergebnisse – der Betrachter nimmt andere Details wahr, sieht im Extremfall gar ein neues, in der Substanz dennoch unveränder­tes Bild. Eindrückli­ch lässt sich das aktuell im Ottobeurer KunerthMus­eum nachvollzi­ehen, wo Rehm eine Auswahl aus seinem Schaffen zeigt mit Großformat­en, die, typisch für ihn, vorzugswei­se architekto­nischen Motiven gewidmet sind.

Rehm, zu Beginn seiner Laufbahn Lernender an der Münchner Akademie, ist dort schließlic­h selbst Lehrer für Fotografie geworden. Und sogar noch weiter gerückt: Seit 2010 ist er Präsident der Akademie, mittlerwei­le in zweiter Amtszeit. Die Arbeit ist nun bestimmt durch das Management dieser altehrwürd­igen Institutio­n – „Dinge, die mir Spaß machen“. Die Lehre und das

„Im Allgäu lässt es sich gut nachdenken“

eigene künstleris­che Wirken müssen dabei zurücktret­en, das Führungsam­t fordert viel Zeit. Unter der Woche wohnt er in München, die Wochenende­n aber verbringt er gerne in Memmingen im elterliche­n Haus: „Im Allgäu lässt es sich gut leben und nachdenken.“

Wenn im April die Präsidente­nPeriode zu Ende geht, will er sich wieder mehr der eigenen Kunst zuwenden. Und auch der Musik. Die Gitarre hat er schon seit längerer Zeit wieder ausgegrabe­n, spielt sie in der Band der Münchner Akademie und auch in einer Memminger Gruppierun­g. Da schließt sich ein Kreis, wie der Fotograf selber mit einem Lächeln bekennt: „Jetzt auf meine alten Tage mache ich wieder Musik.“

OAusstellu­ng Im Ottobeurer Museum für zeitgenöss­ische Kunst sind Dieter Rehms Fotografie­n neben Arbeiten von Dieter Kunerth noch bis zum 12. No vember zu sehen. Geöffnet Di – Fr von 11 bis 16, Sa/So von 12 bis 17 Uhr.

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Der Fotograf Dieter Rehm vor einer seiner digital bearbeitet­en Aufnahmen (Palast von Caserta), die er gegenwärti­g im Ottobeurer Kunerth Museum zeigt.
Foto: Martina Diemand Der Fotograf Dieter Rehm vor einer seiner digital bearbeitet­en Aufnahmen (Palast von Caserta), die er gegenwärti­g im Ottobeurer Kunerth Museum zeigt.
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