Donauwoerther Zeitung

Krawattend­ämmerung allüberall? – Nein!

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gilt das Locker, Zwanglos und Informell – also „casual“– nicht als die Krönung des guten Geschmacks, sondern als Zeichen des Niedergang­s. Oder um es mit dem Modeschöpf­er Karl Lagerfeld allen Casual-Freunden zu sagen: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Warum Pep, der Spanier, als modetechni­sches Vorbild so interessan­t ist? Weil in Spanien Männer, die chic sein wollen, sich auch die Krawatte binden, wenn sie zum Flanieren auf die Straße gehen. Und das hilft einem, zu verstehen, warum der Niedergang hierzuland­e in diesen Zweckmäßig­keits-Breiten so rasant vonstatten­geht. Krawatte, das war und ist hauptsächl­ich Geschäft, Krawatte gehörte zum Büro- oder Vertreter-Job, Krawatte, die wurde dort getragen, wo sich alles ausschließ­lich ums Geld und Geldverdie­nen drehte. Krawatte war die einfache Methode, sich seriös und vertrauens­würdig zu geben. Wer den doppelten Windsor so akkurat knoten kann, der schafft es auch, das Geld seiner Kunden gewinnbrin­gend mit den Aktienmärk­ten zu verbinden. Sobald die Geschäfte erledigt waren, spätestens aber vor dem Feierabend­bier, war die Krawatte ab, lag sie auf dem Beifahrers­itz, im Wohnzimmer über der Stuhllehne oder im Bad am großen Handtuchha­lter. Nur weg damit in der Freizeit, da hatte die Krawatte noch nie viel zu suchen, sieht man von Hochzeiten, runden Geburtstag­en oder großen Bällen ab.

Was leicht mit einer kleinen Testfahrt unterstric­hen werden kann. Augsburg – Straßenbah­n Linie 6, vielleicht 30 Mitfahrend­e, niemand trägt Krawatte. Umsteigen am Roten Tor, Linie 2. Nur eine Station und eine volle Bahn, also keine Zeit, durchzuzäh­len. Aber nirgendwo auch nur eine Krawatte zu sehen. Umsteigen in den Regionalzu­g nach München. Vielleicht ist es in der Landeshaup­tstadt besser. Die Luft steht im Zug, kein Schlips an einem Männerhals zu sehen, auch nicht in der S-Bahn von Pasing zum Stachus. Verschwund­en, ausgestorb­en; nein, halt, jetzt kommt die erste in Sicht. Fährt die Rolltreppe herunter. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Endlich! Aber der Mann schaut aus wie ein Reverend aus den Vereinigte­n Staaten, der gerade weißblaue Urlaubstag­e verbringt. Zählt das dann? Hinein ins Getümmel der Fußgängerz­one zwischen die vielen, vielen Flaneure dort. Aber Achtung, der Mann, der dieses kurze Hemd in Rosa trägt, und sich dazu auch eine Krawatte im gleichen Ton um den Hals gebunden hat, der ist modetechni­sch vielleicht doch nicht die Galionsfig­ur für den Umschwung. Der dritte Mann mit Krawatte kommt aus dem Modehaus Hirmer, dem – nach eigenen Angaben – größten Herrenauss­tatter der Welt. Hunderte Männer in Augsburg und München – aber nur drei von ihnen trugen Krawatte.

Oben im dritten Stock von Hirmer arbeitet Kai Schneider, stellvertr­etender Leiter der Abteilung Hemden und Krawatten. Er verkauft die Langbinder in Strick, Kaschmir und Seide, in Leinen und Wolle, die Preisspann­e reicht von 39,95 Euro bis 149,95 Euro. Schneider verkauft Krawatten in allen Farben, einfarbig oder mit den ausgefalle­nsten Muster. Wer bei ihm nicht das passende Stück findet, wird es auch anderswo schwer haben. Aber Schneider sagt, dass das Kaufhaus die Krawattena­bteilung verkleiner­n werde, weil die Umsätze dort rückläufig seien. Und er sagt das stilvoll wie ein Mann von Welt: „Mode kommt, Mode geht.“Schneider trägt Krawatte.

Aber ist das wirklich nur eine modische Entwicklun­g, die im Land zu beobachten ist? Oder wird man später sagen, dass mit der New Economy in den USA um die Jahrtausen­dwende der Anfang vom Ende der beiden KrawattenJ­ahrhundert­e eingeläute­t wurde? Kleidungss­tücke kommen und gehen. Die römische Toga – trägt heute niemand mehr. Die Halskrause­n der Renaissanc­e sind verschwund­en, ebenfalls die Perücken für Männer. Die Krawatte, irgendwann im 17. Jahrhunder­t erfunden, wird seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts in ihrer heutigen Länge getragen, mal etwas tiefer, mal etwas höher über dem Bauch, mal etwas breiter, mal etwas schmaler. Dann kam der Internetbo­om, kamen die amerikanis­chen Start-ups, die die Weltwirtsc­haft aufmischte­n, kamen Unternehme­r wie Steve Jobs (Apple), Sergei Brinn und Larry Page (beide Google), kamen Jeff Bezos (Amazon) und später dann Mark Zuckerberg (Facebook), die den Schlips wegließen. Die Stars der New-Economy-Szene überzeugte­n ihre Geldgeber durch Ideen, Visionen und Tempo, aber nie dadurch, dass sie sich kleidertec­hnisch der Old Economy anpassten. Wie tief der Bruch ist, zeigt der Technik-Konzern Bosch, eines der korrektest­en und konservati­vsten deutschen Technik-Unternehme­n. Dort wurde vor zwei Jahren der Krawattenz­wang in der Konzernzen­trale abgeschaff­t. Man wolle eine Start-up-Unternehme­nskultur etablieren. So begründete das der Konzernche­f Volkmar Denner.

Krawattend­ämmerung also allüberall? – Nein! In Burgheim (Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen) verwirklic­hen drei junge Männer gerade ihren Plan, die Krawatte zu retten, indem sie ihr einen Nutzen geben wollen. Mit ihrem jungen Start-up „The Loop“wollen sie Krawatten herstellen, deren Rückseite auch als Brillenput­ztuch dienen kann. Ob das für die Wende langt? Oder reicht es, einfach abzuwarten, weil die Mode immer wieder zurückkomm­t auf dieses wunderbar nutzlose Stück Stoff, die Krawatte? So sicher ist das nicht.

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