„Seien Sie neugierig und aufmerksam“
Online-Games, In-App-Käufe, virtuelle Realität: Die neue digitale Spielewelt birgt gerade für Kinder und Jugendliche einige Gefahren. Jugendschützerin Cornelia Holsten erklärt, wie Eltern am Ball bleiben können
Um Kinder und Jugendliche zu schützen, vergibt die USK eine Alterskennzeichnung. Aber werden die Spiele überhaupt gespielt, um sie einzustufen? Holsten: Ja, das werden sie. Denn will man ein Spiel beurteilen, muss man sich tatsächlich bis zu einem bestimmten Level hochspielen. Nur so bekommt man die fraglichen Inhalte zu sehen. Getestet werden die Games von professionellen SpieleTestern der USK.
Computerspiele sind in Deutschland vor allem wegen der Darstellung von Gewalt umstritten. Wie steht es damit? Holsten: Gewaltdarstellungen in Games sind nach wie vor ein großes Problem. Aber es gibt auch viele neue Herausforderungen, beispielsweise sogenannte In-App-Käufe. Sie können vor allem für Kinder gefährlich werden, da sie so unwissentlich viel Geld ausgeben können. Hier wird die Unerfahrenheit von Kindern missbraucht und ausgenutzt.
Früher konnte der Verkäufer im Laden prüfen, ob der Kunde alt genug ist, um ein Spiel zu kaufen. Dies gehört der Vergangenheit an. Wie gehen Sie damit um?
Holsten: Es stimmt, dass viele Games nicht mehr im klassischen Laden, sondern online oder in App-Stores gekauft werden. Auf diese hat prinzipiell jeder Zugriff, der ein Smartphone hat. Gerade Eltern müssen sich deshalb im Klaren darüber sein, dass sie dem Kind mit dem Handy eine potenzielle Waffe in die Hand geben, mit der viel Unsinn angestellt werden kann.
Heißt das, dass Eltern nun die alleinige Verantwortung tragen?
Holsten: Nein, das möchte ich damit nicht sagen. Jugendmedienschutz ist aber eben Aufgabe von allen. Mein Appell an alle Eltern lautet daher: Seien Sie neugierig, interessiert und aufmerksam. Der Jugendmedienschutz ist keine Pille, die man einwerfen kann und danach ist alles gut.
Wenn es so schwierig wird, Alterskennzeichnungen zu kontrollieren, ergeben sie dann überhaupt noch Sinn? Holsten: Die Alterskennzeichnung durch die USK funktioniert sehr gut in Deutschland. Schwieriger wird es, ausländische Anbieter vom Wert einer freiwilligen Selbstkontrolle zu überzeugen. In diesen Fällen kann der KJM-Vorsitz bei Verstößen einen Antrag auf Indizierung stellen. Eine Indizierung bedeutet: Problematische Inhalte erscheinen nicht mehr in der Ergebnisliste von Suchmaschinen wie Google.
Sie haben bislang vor allem über AppSpiele gesprochen. Welche Herausforderungen sehen Sie im Bereich VR beziehungsweise Virtual Reality? Holsten: Hier sehe ich in der Tat auch viele neue Aufgaben auf uns zukommen. Holsten: Durch VR wirkt alles immer echter, intensiver und damit auch bedrohlicher. Wir müssen uns ernsthaft mit dieser neuen Technik auseinandersetzen. Neue Trends wollen ausprobiert werden.
Wie können es Institutionen wie die KJM überhaupt schaffen, bei den vielen neuen Trends auf dem Laufenden zu bleiben?
Holsten: Das funktioniert, weil die Unternehmen im Idealfall ja selbst ein Interesse daran haben, ein USKSiegel zu erhalten. Es gibt jedoch nach wie vor einige, die sich nicht beteiligen – wie zum Beispiel Apple. Es muss uns gelingen, diese Unternehmen zu erreichen.
Wie könnte dies gelingen?
Holsten: Der Google Play Store hat Alterskennzeichnungen für Spiele und andere Apps eingeführt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch große Player sich bei dem Thema bewegen. Die KJM bleibt weiterhin im Gespräch mit allen Akteuren. Teil des Problems ist sicherlich, dass es für die Hersteller aufwendig ist, Spiele in unterschiedlichen Ländern zertifizieren zu lassen. Gibt es hierzu Ideen? Holsten: Ja, man hat schon lange darüber nachgedacht, wie man es schafft, dass Siegel nicht nur für einen nationalen Markt gelten. Deshalb hat man das sogenannte IARCSystem eingeführt. IARC steht für „International Age Rating Coalition“, ein internationales Klassifizierungssystem.
Was genau ist das?
Holsten: Das System basiert auf einem Fragebogen, den der Spielehersteller selbst ausfüllt. Dort werden dann verschiedene Filter-Fragen zum Inhalt des Spieles gestellt. Zum Beispiel: Kommen Waffen zum Einsatz? Gibt es Schussszenen? Gibt es Tote? Ist nackte Haut zu sehen? Als Ergebnis gibt eine Software eine Altersfreigabe vor. Als Beispiel: Dein Spiel, lieber Entwickler, wäre in Deutschland für die USK eine 6, in den USA, auf Grund nackter Brüste, eine 12. Die Beurteilung wird also dem jeweiligen Schutzniveau eines Landes angepasst.
Aber woher weiß man, dass die Hersteller wahrheitsgemäße Aussagen machen?
Holsten: Die Vorgaben werden von den jeweiligen Institutionen vor Ort teils gezielt, teils stichprobenartig geprüft. In Deutschland durch die USK und teilweise auch die KJM. Unsere Erfahrungen zeigen jedoch: In den allermeisten Fällen sind die Angaben der Unternehmen tatsächlich korrekt.
Holsten: Ja, ich muss zugeben, dass ich zu Beginn skeptisch war, ob dieses System gut funktioniert. Dass es funktioniert, zeigt, wie wichtig es ist, die Gaming-Branche mit ins Boot zu holen. Denn seriöse Anbieter haben kein Interesse daran, jugendschutzgefährdende Inhalte zu verkaufen. Kinder und Jugendliche sicher ins nächste Level bringen – das ist das Ziel.
Interview: Susanne Ebner