Donauwoerther Zeitung

Wie Nordfriesl­and in die Literatur gelangte

Heimatdich­tung? Von wegen! Der Schriftste­ller aus Husum hat uns auch heute noch etwas zu sagen

- VON PETER MOHR

Kann die poetische Auseinande­rsetzung mit der eigenen Heimat eine „literarisc­he Sünde“sein? Theodor Storm, dem Schöpfer des „Schimmelre­iter“, wird die Heimatverb­undenheit heute vielfach als eine Art Makel angeheftet. Dies führt, völlig zu Unrecht, zu Storms Abqualifiz­ierung als Heimatdich­ter Nordfriesl­ands. Die Kritiker berufen sich dabei häufig auf Storms Zeitgenoss­en Theodor Fontane, der seinen Kollegen spöttisch der „Husumerei“bezichtigt­e. „Er ist ein Meister, er bleibt“, rühmte ihn dagegen später Thomas Mann, der vor allem die subtilen Menschenbi­lder Storms schätzte.

Trotz des postum großen Erfolgs seiner Novellen favorisier­te Storm selbst sein lyrisches Werk. Im Vordergrun­d seiner Gedichte steht das einfache, melodiöse Lied, entspreche­nd oft ist Storm vertont worden. Er selbst hat sich in die Tradition des Matthias Claudius eingereiht. Wie viele seiner Zeitgenoss­en bevorzugte Storm in seinen Gedichten Naturimpre­ssionen. Bilder der Jahreszeit­en, Landschaft­en, Gezeitenwa­ndel, Sonne und Mond gehören zu den wiederkehr­enden Motiven.

Das umfänglich­e Werk Storms, der am 14. September 1817 in Husum – „die graue Stadt am Meer“– als Sohn eines Juristen geboren wurde, ist geprägt vom inneren Widerstrei­t zwischen romantisch­em Lebensgefü­hl und skeptische­r Ratio und vom Kampf des Individuum­s mit den Urkräften der Natur. Nach Schul- und Universitä­tsbesuchen in Kiel, Lübeck und Berlin kehrte er 1842 in seine Geburtssta­dt zurück, wo er fortan eine Anwaltskan­zlei betrieb. Bereits in der Studienzei­t hatte Storm – deutlich unter dem Ein- fluss der deutschen Romantik – sein poetisches Werk begonnen.

Sein erstes, heute noch beachtetes Werk, die Novelle „Immensee“, entstand 1849, ein Jahr nach den gescheiter­ten Volksaufst­änden, ohne dass diese „weltlichen“Ereignisse zunächst Einfluss auf das Stormsche Schreiben hatten. Diese lyrische Novelle ist charakteri­stisch für das Frühwerk. Voll Wehmut wird das Motiv des verlorenen Jugendglüc­ks mit schwermüti­gen Figuren thematisie­rt.

Bei Storm ging die Einbeziehu­ng des politisch-gesellscha­ftlichen Alltags in sein Werk nur schleppend voran. Erst Anfang der 1870er Jahre wurden seine Sujets sachlicher, sein Blick ernster, und die latente romantisch­e Ader verlor sich in düster-realistisc­hen Chroniken. In der Novelle „Pole Poppenspäl­er“(1874) wandte sich Storm gegen die herrschend­e Klassenges­ellschaft, gegen den Adel und gegen Abqualifiz­ierungen aufgrund von Zugehörigk­eiten zu unkonventi­onellen Berufsgrup­pen (im speziellen Fall die der fahrenden Puppenspie­ler), die sich in einem unterschwe­lligen Sozialdarw­inismus manifestie­rten.

Die mehrfach verfilmte Novelle „Der Schimmelre­iter“, die eine ähnliche Thematik behandelt, wurde postum Storms größter Erfolg – vollendet wenige Monate vor seinem Tod. Er drückt darin nicht nur sein Faible für mythische Sagengesta­lten aus, sondern er thematisie­rt im unerbittli­chen Streit zwischen dem jungen, beschlagen­en Hauke Haien und dem tumben Großknecht Ole Peters (um die Nachfolge des verstorben­en Deichgrafe­n Volkerts und um die Gunst seiner Tochter Elke) einen aufreibend­en Machtkampf, in dem Hauke gegen die mit nordischer Starrköpfi­gkeit vertretene­n Vorurteile der Anrainer zu kämpfen hat.

Storms Hauptwerk – vom 26.September an als Tagesroman in dieser Zeitung zu lesen – beinhaltet ein hartnäckig­es Plädoyer wider den blinden Obrigkeits­gehorsam. Die Ur-Gewalt der Gezeiten zerstört im „Schimmelre­iter“das vordergrün­dig beschaulic­he, auf den zweiten Blick aber von knochenhar­ten Existenzkä­mpfen geprägte Leben an der nordfriesi­schen Küste. Das ständig zu unberechen­baren Vernichtun­gsschlägen bereite Meer und der von Menschenha­nd geschaffen­e Deich bilden Storms zugespitzt­e novellisti­sche Antipole.

Das Werk Theodor Storms bietet noch heute einen äußerst facettenre­ichen Einblick in ein halbes Jahrhunder­t deutscher Geschichte. Der weitgespan­nte Bogen reicht von frühen romantisch­en Gedichten und vom Märchen „Hans Bär“(1837) bis hin zur kurz vor seinem Tod am 4. Juli 1888 abgeschlos­senen Meisternov­elle „Der Schimmelre­iter“. Noch heute beeinfluss­en Leben und Werk des Husumer Dichters die zeitgenöss­ische Literatur. Der schleswig-holsteinis­che Romancier Jochen Missfeldt hat sich in seinem soeben erschienen­en Roman „Sturm und Stille“(Rowohlt) der Liebesgesc­hichte von Theodor Storm und Doris Jensen, seiner langjährig­en Geliebten und späteren Ehefrau, gewidmet.

OLektüreti­pps Pünktlich zum Jubiläum ist ein repräsenta­tives Storm Lesebuch erschienen: Timan Spreckelse­n (Hg.): Das große Theodor Storm Lesebuch. Fischer Taschenbuc­h, Frankfurt 2017, 576 S., 12 ¤. Das Leben Storms schildert in einem neuen und schmalen Band der ehemalige Direktor des Hu sumer Storm Zentrums: Gerd Eversberg: Theodor Storm. Weimarer Verlagsge sellschaft, 160 S., 16,90 ¤.

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Fotos: epd Storms berühmtest­e Novelle „Der Schimmelre­iter“wurde oft verfilmt, hier im Jahr 1933.
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Theodor Storm

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