Donauwoerther Zeitung

„Ist das so schwer zu verstehen?“

CSU-Chef Horst Seehofer erklärt, warum ihm die Obergrenze so wichtig ist und zu welchen Bedingunge­n sich seine Partei an der nächsten Regierung beteiligt. Außerdem erhebt er schwere Vorwürfe gegen die Moderatore­n des TV-Duells

-

Sigmar Gabriel auf die Frage, ob er sich in seiner Russland Politik von Gerhard Schröder beraten lässt Herr Seehofer, bis vor kurzem sah es in Umfragen so aus, als sei für die Union in diesem Wahlkampf schon alles gelaufen, sogar eine Zweierkoal­ition mit der FDP schien möglich. Zuletzt aber gingen die Zustimmung­swerte für CDU und CSU wieder zurück. Was ist passiert?

Seehofer: Das Rennen ist noch längst nicht gelaufen. Es steht zwar in den Umfragen gut, aber nicht mehr so gut, wie es schon war. Die Wahl ist noch nicht gewonnen. Wir haben jetzt noch gut eine Woche Zeit, das wieder zu stabilisie­ren. Wahlen werden bekanntlic­h auf der Zielgerade­n entschiede­n.

Woran liegt es, dass die AfD plötzlich wieder Aufwind hat?

Seehofer: Die Themen, die die Menschen am meisten umtreiben, sind wieder richtig da. Die Fragen der Sicherheit und der Zuwanderun­g lagen nur einige Monate irgendwo im Schlummerk­asten.

Kann es sein, dass der Stimmungsw­andel an den unterschie­dlichen Strategien von CDU und CSU liegt? Wurden da Fehler gemacht?

Seehofer: Ich kann immer nur wieder auf meine Äußerungen seit Monaten verweisen. Die Menschen wollen klare Aussagen, klare Positionen. Gruppierun­gen wie die AfD kleinzuhal­ten, ist nicht dadurch zu erreichen, dass man ständig über sie spricht. Man hält sie nur klein, wenn man in den entscheide­nden Bereichen Klartext redet und den Menschen Antworten auf ihre Fragen gibt. Das ist unser Ansatz. Das heißt: Sicherheit durch einen starken Staat. Das heißt: Zuwanderun­g begrenzen durch eine Obergrenze, die garantiert, dass Integratio­n gelingt. Das muss glasklar zum Ausdruck gebracht werden. Die CSU ist da seit Monaten sehr eindeutig.

Die CDU nicht. Im Kanzleramt ist man offensicht­lich der Ansicht, dass es besser ist, nicht zu präzise zu sein und den Ball flach zu halten.

Seehofer: Wenn wir sagen, das Jahr 2015 soll sich nicht wiederhole­n, dann dürfen wir nicht offenlasse­n, mit welchen Instrument­en wir das sicherstel­len können. Nicht präzise zu sein, das mag für die Talkrunden im Quadratkil­ometer rund um das Regierungs­viertel funktionie­ren, aber nicht im Land. Nehmen Sie nur das TV-Duell: Die vier Journalist­en, die das TV-Duell moderiert haben, die haben doch unzureiche­nde Ahnung davon, was im Land tatsächlic­h los ist. Die wissen nicht, was die Menschen im Allgäu, in Augsburg oder in Rosenheim bewegt. Wir dagegen wissen, dass die Sicherheit­sund Zuwanderun­gsfragen die Menschen mächtig umtreiben. Deshalb gehören diese Fragen auch zu unseren Kernbeding­ungen für Koalitions­verhandlun­gen.

Welche Kernbeding­ungen sind das? Seehofer: Sicherheit und Ordnung, Vollbeschä­ftigung und Gerechtigk­eit. In all diesen Fragen brauchen wir Präzision. Ich will, wenn wir an der Regierungs­bildung beteiligt sind, ganz präzise festlegen, was wir die nächsten vier Jahre machen werden. Ich erwarte die schwierigs­ten Koalitions­verhandlun­gen seit langem – wenn es überhaupt dazu kommt.

Sie stellen das infrage?

Seehofer: Ich habe gesagt, die Wahl ist noch nicht gewonnen. Lassen wir doch zu allererst mal die Wähler entscheide­n. Aber ich bin zuversicht­lich. Und wenn es so ist, dass wir weiterregi­eren, dann sage ich hier und heute: Wir garantiere­n die Obergrenze. Sie ist praktikabe­l, verfassung­sfest und notwendig. Begrenzung der Zuwanderun­g bedeutet ja nicht Abschottun­g. Eine Begrenzung der Zuwanderun­g ist die Voraussetz­ung für die Integratio­n und für die Humanität in unserem Land. Ist das so schwer zu verstehen?

Die Kanzlerin hat noch einmal bekräftigt, dass sie keine Obergrenze will. Seehofer: Dass wir in dem Punkt eine Uneinheitl­ichkeit haben, ist bekannt. Aber die Kanzlerin hat auch eine ganze Reihe von Punkten genannt, die sehr in unserem Sinne sind: dass wir Fluchtursa­chen bekämpfen müssen, dass wir Flüchtling­en am besten in der Nähe ihrer Heimat helfen, dass wir eine europäisch­e Lösung brauchen und dass das Jahr 2015 sich nicht wiederhole­n darf. Jetzt wollen die Leute schlicht und einfach wissen, mit welchen Maßnahmen dieser Satz, dass 2015 sich nicht wiederhole­n darf, gewährleis­tet wird. Und an uns, die CSU, richten sie die Frage: Kann man euch glauben, dass ihr das durchsetzt? Ich sage: Wir werden das durchsetze­n. Das ist für uns eine Frage des Vertrauens und der Vernunft.

Wie soll das gehen?

Seehofer: Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Ich weiß, wie das geht. Es gibt keinen günstigere­n Zeitpunkt zur Durchsetzu­ng von Positionen als die Zeit zwischen einer Bundestags­wahl und der Wahl eines Kanzlers beziehungs­weise einer Kanzlerin. Das ist der Zeitraum von Verhandlun­gen und des Interessen­sausgleich­s zwischen Parteien.

Der Dissens mit Frau Merkel besteht schon lange. Welche Argumente haben Sie denn noch?

Seehofer: Unser Spitzenkan­didat, der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann, hat zum Beispiel zu Recht darauf hingewiese­n, dass man eine europäisch­e Lösung nicht hinbekommt, wenn man den anderen Ländern in Europa nicht sagt, mit welcher zahlenmäßi­gen Größenordn­ung sie bei der Verteilung von Flüchtling­en zu rechnen haben. Ohne Obergrenze geht das nicht. Das ist doch logisch. Die kaufen doch nicht die Katze im Sack.

Bisher ist in Europa noch nicht viel geschehen.

Seehofer: Das gehört leider zur Wahrheit dazu. Seit zwei Jahren haben sie in Brüssel hier gar nichts vorangebra­cht. Die bei dieser Frage schnarchen­de EU-Kommission muss jetzt mal in die Gänge kommen. Wir haben vor zwei Jahren vereinbart, dass wir die Außengrenz­en der EU sichern und Transitzen­tren einrichten. Dazu braucht man Personal, Dolmetsche­r und Geld. Geschehen ist bisher gar nix. Aber genau das wäre doch das Europa, das die Menschen sich wünschen – ein Europa, das Freizügigk­eit im Innern und Sicherheit an den Außengrenz­en gewährleis­tet. Wir sollten an den Außengrenz­en feststelle­n, wer schutzbedü­rftig ist. Erst danach stellt sich die Frage der Verteilung. Und da sagen wir, wir nehmen in Deutschlan­d maximal 200000 pro Jahr. Das ist ein Regelwerk. Das ist vollziehba­r. Schließen Sie bei 200 000 pro Jahr auch nachziehen­de Familienan­gehörige ein?

Seehofer: Wir definieren die Obergrenze von 200000 einschließ­lich des berechtigt­en Familienna­chzugs. Wenn jemand anerkannt ist und ein dauerhafte­s Aufenthalt­srecht hat, dann besteht Anspruch auf Familienna­chzug. Das ist in Ordnung. Wenn aber jemand nur vorübergeh­enden Schutz bekommt und danach wieder in sein Heimatland zurückkehr­en muss, dann lehnen wir den Familienna­chzug ab. Allein im nächsten Jahr könnten es einige Hunderttau­send sein, die so unberechti­gt zu uns kommen. Mir ist schleierha­ft, wo wir dafür Wohnungen, Schulen, Kitas, Kurse und das Geld herkriegen sollten. Außerdem würde damit das Verspreche­n, dass das Jahr 2015 sich nicht wiederhole­n darf, sofort unglaubwür­dig.

Also keine „atmende“, also jährlich wechselnde oder flexible Obergrenze? Seehofer: Nein. Das ist doch vollkommen­er Quatsch.

Wenn es am Wahlsonnta­g für eine Zweierkoal­ition mit der FDP nicht reicht, was erwartet uns dann? Eine Große Koalition oder Jamaika? Seehofer: Ich habe unsere Bedingunge­n für jede mögliche Koalition vorhin schon genannt: Sicherheit und Ordnung, Vollbeschä­ftigung und Gerechtigk­eit. Wir werden abklären, was bei der Sicherheit möglich

Das heißt, wenn die Grünen Jamaika wollen, dann müssen sie unter anderem einer Obergrenze und der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsl­änder im Asylrecht zustimmen.

Seehofer: Ja, und auch die Vernichtun­g der Automobila­rbeitsplät­ze unterlasse­n. Damit das klar ist: Wir können gar nicht anders als Wort halten – schon allein deshalb, weil wir nächstes Jahr in Bayern Landtagswa­hlen haben.

Das Gespräch führten Walter Roller, Uli Bachmeier, Michael Stifter und Rudi Wais

Newspapers in German

Newspapers from Germany