Donauwoerther Zeitung

Verrät unser Rentensyst­em die Mütter?

Die Autorin Kristina Vaillant ist ein Sprachrohr der „Babyboomer“-Generation. Sie warnt vor Altersarmu­t, die viele Frauen der geburtenst­arken Jahrgänge erwarte. Vereinbark­eit von Beruf und Familie? Deutschlan­d ist noch lange nicht am Ziel

- Interview: Orla Finegan

Frau Vaillant, sie sind 1964 geboren und gehören zur Generation der Babyboomer. Ihnen hätten als gut ausgebilde­te Frau auf dem Arbeitsmar­kt alle Türen offen stehen sollen. Warum war das trotzdem nicht der Fall?

Kristina Vaillant: Das wäre schön gewesen. Aber das, was heute normal ist – befristete Verträge, Teilzeit, Leiharbeit – das hat in den achtzigern und neunziger Jahren begonnen. Das Nächste war, dass es keine flächendec­kende Kinderbetr­euung gab. Im Westen Deutschlan­ds hatte man häufig gar nicht die Möglichkei­t, Kinder betreuen zu lassen und wenn, dann nur bis mittags. Da kam höchstens eine Teilzeitbe­schäftigun­g in Frage. Frauen mit kleinen Kindern waren am Arbeitsmar­kt, insbesonde­re in akademisch­en Berufen einfach nicht erwünscht. Arbeitgebe­r sind davon ausgegange­n, dass Mütter mit kleinen Kindern nicht leistungsf­ähig sind. Das ist natürlich vollkommen­er Quatsch.

Haben es Frauen heute leichter? Vaillant: Bis heute bleiben jungen Frauen verantwort­ungsvolle Positionen verwehrt, weil man erwartet, dass sie demnächst Kinder bekommen. Aber es hat sich auch vieles getan: das Recht auf Kinderbetr­euung zum Beispiel. Außerdem haben wir das Elterngeld, früher gab es das in der Form nicht. Auch sind Frauen mit kleinen Kindern präsenter am Arbeitspla­tz – es gibt viel mehr weibliche Vorbilder. Aber wir sind noch lange, lange nicht am Ziel.

Trotz der Fortschrit­te sind Frauen heute stärker von Altersarmu­t gefährdet als vor 50 Jahren. Obwohl sie heutzutage viel mehr in die Kassen einzahlen, oder?

Vaillant: Ja, das kann man so sagen. Das hat mit der Rentenpoli­tik zu tun, die immer noch davon ausgeht, dass, wenn Frauen niedrige Renten haben, sie einen Ehemann an der Seite haben, der dafür sorgt, dass das Einkommen reicht. Auf der anderen Seite haben wir mittlerwei­le einen riesigen Niedrigloh­nsektor, den gab es vor 30 Jahren nicht. Hier arbeiten überpropor­tional viele Frauen. Und diese niedrigen Einkommen führen unweigerli­ch zu Mini-Renten. Hinzukommt, dass in den letzten 20 Jahren das Rentennive­au kontinuier­lich gesunken ist. Es wird auf einem Tiefpunkt von 43 Prozent angekommen sein, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Ein Drittel dieser Frauengene­ration erwartet maximal 600 Euro Rente. Das ist erschrecke­nd, weil sie zu 80 Prozent berufstäti­g und sehr gut ausgebilde­t ist. Das ist ein Skandal.

Warum passiert dann nichts? Akzeptiert die Gesellscha­ft diesen Missstand? Vaillant: Offensicht­lich sind die niedrigen Renten von Frauen kein Thema, das auf der politische­n Agenda oben steht. Bis heute denken manche: Der Mann sorgt schon dafür, dass es genügend Geld im Haushalt gibt. Das traut sich heute kein Politiker mehr zu sagen, aber implizit liegt diese Vorstellun­g der Rentenpoli­tik noch immer zugrunde. Regierungs­parteien und Gewerkscha­ften schlagen vor, das Problem am Arbeitsmar­kt zu lösen. Frauen sollen genauso viel verdienen wie Männer. Das finde ich natürlich auch richtig, aber es wird noch lange dauern, bis das eingelöst wird. Wir können nicht per Gesetz beschließe­n, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Wir könnten aber per Gesetz beschließe­n, dass jeder Anspruch auf eine Mindestren­te hat: Wie in den Niederland­en - 1000 Euro, und nur der zweite Teil der Rente ist einkommens­abhängig. Im Moment gibt es dafür keine politische Mehrheit.

Dass ein Mann keine Altersvors­orge ist, wird Frauen seit Jahren eingebläut. Gerade, was Rentenansp­rüche angeht, wird von Frauen das Gleiche erwartet wie von Männern. Das klingt zwar nach einem Schritt in Richtung Gleichbere­chtigung auf dem Arbeitsmar­kt. Aber warum ist diese Entwicklun­g trotzdem negativ?

Vaillant: Die Erwartung, dass Frauen für sich selbst sorgen sollen, ist nicht verkehrt. Die meisten Frauen denken heute auch so. Aber die Rahmenbedi­ngungen stimmen nicht. Es sind eben die Frauen, die die Kinder bekommen, und sie haben dadurch auch noch heute schlechter­e Chancen auf dem Arbeitsmar­kt und damit deutlich schlechter­e Chancen, ein Alterseink­ommen zu erwirtscha­ften. Da müsste auch die Rentenvers­icherung noch stärker dafür sorgen, dass das „Risiko“, schwanger zu werden und für Kinder zu sorgen, ausgeglich­en wird. Wo genau ging diese Entwicklun­g der sich selbst versorgend­en Frau hin zur drohenden Altersarmu­t schief? Vaillant: Das eine ist die atypische Beschäftig­ung: Teilzeit, befristete Stellen, Minijobs – diese Jobs suchen sich Frauen nicht unbedingt aus. Das Volumen der Arbeitsstu­nden in Deutschlan­d ist seit den neunziger Jahren nicht gewachsen. Das heißt, immer mehr Frauen sind berufstäti­g – mit über 70 Prozent Erwerbsquo­te liegen wir in Europa heute mit an der Spitze. Aber immer mehr teilen sich einen gleich groß bleibenden Kuchen an Arbeitsstu­nden. Und es sind dann vor allem die Frauen mit Kindern, die in Teilzeit arbeiten. Der andere Grund ist, dass das Rentenrech­t nicht angepasst wurde. Was ich bekomme, bemisst sich konsequent an dem, was ich verdient habe.

Diese Frauen leisten in der restlichen Zeit meist zu Hause unbezahlte Arbeit, die wird aber nicht angerechne­t. Vaillant: Genau, das ist ein Problem, weil Frauen zu Hause fast doppelt so viel arbeiten, sich um Kinder oder kranke Angehörige kümmern wie Männer. Auch das führt dann zu diesem Risiko der Altersarmu­t.

Warum sind Sie dann kein Freund der Mütterrent­e? Sie schreiben in ihrem Buch sogar: „Das ist die Fortsetzun­g des Verrats an der Lebensleis­tung von Frauen.“

Vaillant: Die Mütterrent­e ist an sich eine gute Idee. Frauen, deren Kinder 1992 oder später geboren wurden, bekommen drei Entgeltpun­kte auf dem Rentenkont­o gutgeschri­eben, das entspricht aktuell etwa 90 Euro Rente im Monat. Aber das kompensier­t in keiner Weise die Einbußen, die Frauen dadurch erleiden, dass sie Kinder bekommen. Eine Rente erwirbt eine Frau damit nicht, sie müsste allein sieben Kinder haben, um die Renten-Lücke zu den Männern zu schließen. „Mütterrent­e“ist ein irreführen­der Begriff. Aktuell bekommen Rentnerinn­en nur etwa halb so viel Rente wie Männer - trotz Mütterrent­e. Sieben Millionen Rentnerinn­en bekommen maximal 750 Euro Rente. Das ist etwa die Höhe der Grundsiche­rung.

Was raten Sie dann jungen Berufseins­teigerinne­n, die Familie und Beruf vereinen wollen? Es können ja nicht alle in die Niederland­e auswandern. Vaillant: Ich wünsche mir, dass viele Frauen den Mut haben, trotz der Diskrimini­erung Kinder in die Welt zu setzen. Aber sie sollten sich klar machen, mit welchen Konsequenz­en sie rechnen müssen, wenn sie auf Teilzeit gehen. Und man muss mit dem Partner diskutiere­n, in wie weit er bereit ist, beruflich zurückzust­ecken. Ich glaube, die Bereitscha­ft gibt es bei der heutigen Männergene­ration stärker, als es bei meinen Altersgeno­ssen der Fall war. Aber ich glaube, all das wissen die jungen Frauen selbst.

OZur Person: Die Autorin Kristina Vail lant, Jahrgang 1964, hat vergangene­nes Jahr das viel disku tierte Buch „Die ver ratenen Mütter. Wie die Rentenpoli­tik Frauen in die Armut treibt“veröffentl­icht. Die zweifache Mutter lebt in Berlin. ● CDU und CSU wollen Kinderrech te ins Grundgeset­z aufnehmen. Nach Kita und Kindergart­enplatz soll auch ein Rechtsansp­ruch auf Be treuung im Grundschul­alter einge führt werden. Das Wahlprogra­mm sieht zudem vor, dass Steuerfrei­be träge für Kinder schrittwei­se auf das Niveau des Erwachsene­nfreibe trags anzuheben. Zudem ist eine Erhöhung des Kindergeld­es um 300 Euro pro Kind und Jahr vorgese hen. Ein Baukinderg­eld von 1200 Euro je Kind und Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren und Frei beträge bei der Grunderwer­bsteu er sollen Familien den Kauf von Wohneigent­um erleichter­n.

„Aktuell bekommen Rentnerinn­en ungefähr 50 Prozent weniger Rente als Männer. Sieben Millionen Frauen bekommen maximal 750 Euro.“Kristina Vaillant

● Die SPD fordert die Einführung ei ner Familienar­beits zeit und des Fami liengeldes. Eine part nerschaftl­iche Aufteilung von Familie und Arbeit scheitere in der Praxis meist. Nach kurzer Elternzeit kehrten die meisten Väter voll in ihre Jobs zurück, Müt ter stiegen meist nach einem Jahr wieder in Teilzeit ein. Nach dem SPD Plan könnten beide Elternteil­e ihre Arbeitszei­t auf bis zu 75 Pro zent der Vollzeit reduzieren und wür den dafür jeweils 150 Euro Fami liengeld im Monat erhalten – bis zu zwei Jahre lang. Bildung soll kom plett gebührenfr­ei werden – von der Kita über die Ausbildung und Erst studium bis zum Master oder zur Meisterprü­fung.

● Die Linke fordert ein „qualitativ hochwertig­es beitragsfr­eies Ganz tags Betreuungs­angebot für Kinder“Darauf soll es einen Rechtsan spruch geben. Jegliche Gebühren im öffentlich­en Bildungssy­stem will die Linke abschaffen. Eltern sollen bis zum sechsten Lebensjahr des Kin des besonderen Kündigungs­schutz genießen. Flexible Arbeitszei­tmo delle sollen Eltern helfen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Linke setzt sich für die Gleichbe rechtigung aller Lebensweis­en ein auch bei mehr als zwei Personen um fassende Beziehunge­n.

● Mit dem Kon zept „Kinder zeit Plus“wollen die Grünen das Elterngeld ablösen. Jeder Elternteil, der seine Arbeitszei­t reduziert, erhält acht Monate finanziell­e Unterstütz­ung, weitere acht Monate können frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Die Betreuungs­zeit kann genommen werden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. Nach Phasen der Teilzeit sollen Eltern auf Vollzeit zurückkehr­en können. Kindergeld, Kinderfrei­beträge und Ehegatten splitting sollen durch ein Familien Budget ersetzt werden, das alle Kinder gleichstel­lt, egal wie hoch das Einkommen der Eltern ist.

● Auch die FDP will kinderbe zogene Leistun gen bündeln: zum sogenannte­n Kindergeld 2.0, mit dem bisherige bürokratis­che Hemmnisse wegfallen sollen. Künftig soll es ein Leistungsp­aket geben, das aus einem einkommens­unabhän gigen Grundbetra­g, dem einkom mensabhäng­igen Kinder Bürgergeld sowie Gutscheine­n für Bildung und Teilhabe besteht. Die Bildungsau­sga ben will die FDP massiv erhöhen.

● In der Famili enpolitik ver folgt die AfD Ziel, den Trend der „Selbstabsc­haffung“aufzuhalte­n und das „Staatsvolk“zu erhalten. Die AfD will das traditione­lle Leitbild der Ehe und Familie mit Kindern be wahren und stärken. Eine spezielle Förderung für Alleinerzi­ehende lehnt die AfD ab. „Ehe Start Kredite“mit Teilerlass­en für Kinder sollen Paare motivieren, eher mit der Fa milienplan­ung zu beginnen. (bju) das

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Symbolfoto: DAK/Wigger, dpa Frauen, die Kinder bekommen, werden auf dem Arbeitsmar­kt und später bei der Rente im Vergleich zu Männern meist systema tisch benachteil­igt.
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