Donauwoerther Zeitung

Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe (42)

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Ich brachte eine Matratze ins Boot und richtete vor dem Stand mit dem Steuer ein Bett. Ich lagerte alle Handtücher und Leintücher, die ich finden konnte, im Haus am Strand, um sie, wenn das Feuer käme, nass zu machen und das Holz des Dachs und des Vordachs und der Fenster zu sichern. Ich brachte ins alte Haus auch, was wir zum Leben brauchten.

Wenn das Feuer käme, würden wir aufs Meer fahren, warten, bis alles vorbei wäre, und dann vermutlich nicht mehr ins obere, aber jedenfalls ins untere Haus ziehen können.

Am späten Nachmittag zog Rauch über die Bucht. Es regnete Asche, ganz leicht, ganz fein; sie setzte sich auf unsere Haut und in die Falten unserer Kleider und auf unsere Zähne und hinterließ einen bitteren Geschmack. Ich fand den Weg auf den Gipfel und hockte mich neben Kari. Unter dem trüben, gelbgrauen Himmel stand der Rand der Ebene in Flammen; das

Feuer hatte den Sprung über den Highway geschafft.

Wald brannte gelbrot, und manchmal, als greife eine unsichtbar­e Hand ins Feuer und werfe eine Flamme voraus, loderten weit vor der Linie des Feuers ein Baum oder ein Busch auf und dann auch das Gras darum herum. „Wann ist das Feuer hier?“Als wollte er auf meine Frage antworten, setzte der Wind ein. Er fachte das Feuer an, trieb es voran und blähte den schwarzen Rauch zu einer großen Wolke auf, einem lebendigen, wachsenden Ungetüm, in dem es glühte und flackerte. Einmal löste sich aus dem Bauch der Wolke ein Feuerball, flog, wie von einem Katapult geschleude­rt, in hohem Bogen bis zum Fuß des kleinen Bergs vor uns und ließ die Bäume aufflammen. Uns bliesen Rauch und Asche ins Gesicht, manchmal ein Hauch Eukalyptus, manchmal auch eine Flocke Glut.

So plötzlich wie der Wind eingesetzt hatte, hörte er auch wieder auf. Das Feuer beugte sich nicht mehr vorwärts, wie einer, der schnell rennt, sondern stand aufrecht, als warte es auf eine Weisung.

„Du kannst gehen. Wenn es gefährlich wird, versuche ich zu kommen. Wenn ich nicht komme, aber das Feuer über den Berg kommt, geht ihr ins Boot und aufs Meer. Wartet nicht auf mich. Wenn der Weg zu euch abgeschnit­ten ist, nehme ich einen anderen.“

Irene lag, wie ich sie verlassen hatte. Ich erzählte ihr vom Feuer in der Ebene, vom Wind, von Kari. Sie hörte zu, aber mit schweren Lidern.

„Machst du mich sauber?“Ich holte eine Matratze und bezog sie, zog Irene aus und wusch sie und zog sie an und bettete sie um. Wieder legte sie beim Ausziehen und Anziehen und Umbetten ihre Arme zutraulich um meinen Hals und machte mich glücklich.

„Wenn heute Nacht das Feuer über den Berg kommt, gehen wir ins Boot.“

„Ich gehe nicht ins Boot.“Das war so töricht, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. „Du willst im Haus sterben? Du stirbst nicht, wenn du sterben willst. Du stirbst, wenn es so weit ist.“

„Wenn das Haus verbrennt, ist es so weit. Ich verbrenne nicht, ich ersticke im Rauch. Es ist ein leichter Tod.“Sie sagte es wehleidig und eigensinni­g wie ein Kind und klammerte sich mit weißen Knöcheln an das Geländer des Balkons. „Ich will nicht nach Rock Harbour und nach Sydney und ins Krankenhau­s und in ein weißes Zimmer. Ich will hier sterben.“

Ich beugte mich über sie und nahm sie in die Arme. „Ich lasse dich nicht in einem weißen Zimmer sterben. Du stirbst hier. Wenn es so weit ist. Wir gehen aufs Boot, wenn das Feuer kommt, und wenn es gegangen ist, ziehen wir ins alte Haus und haben uns noch eine Weile. Wir haben so viele Tage versäumt, wir können keinen verschenke­n.“

„Versprichs­t du mir, dass ich hier sterbe? Was auch immer passiert?“

Ich versprach es, und sie ließ das Geländer des Balkons los und schlief in meinen Armen ein. Über die Berge kam schwarzer Rauch und zog über die Bucht, und es wurde dunkel, obwohl die Sonne noch als matte weiße Scheibe hinter dem Rauch am Himmel stand. Dann sah ich Flammen über einen Berg schlagen, hob Irene auf, trug sie ins Boot, machte im alten Haus die Tücher nass und legte sie ans Holz.

Ein kräftiger Wind kam von den Bergen herab, beugte und zauste die Bäume, ließ das obere Haus ächzen und zittern und wühlte das Meer auf, dass die Wellen gegen die Mole klatschten. Die Luft schmeckte nach Rauch und Salz.

Das Feuer raste die Berge hinunter und die Stämme hinauf in die Kronen der Bäume.

Sie standen wie Fackeln, ehe sie umstürzten. Oder sie explodiert­en und schleudert­en brennende Rinde in die Luft.

Ich rannte zum Boot und ließ es an, und noch in der Bucht bebte der Feuersturm und wirbelte Glut und Asche durch die Luft. Das obere Haus stand in Flammen; für einen Augenblick zeichnete das gelbrote Feuer die Linien und Kanten des Hauses nach und glühte aus den Fenstern, ehe die Stämme, auf die das Haus gebaut war, brannten und knickten und alles krachend in sich zusammenfi­el. Das Feuer sprang zum alten Haus am Strand, zischte durch das Gebälk, sprengte die Fenster aus den Rahmen, und Dach und Vordach stürzten polternd ein.

Um die ganze Bucht brannte es. Ich fuhr aufs Meer, raus aus der Bucht, weg von der Hitze und den Fetzen brennender Rinde und der Glut und der Asche. Ich weiß nicht, wie lange das Feuer tobte, eine Stunde, zwei Stunden. Als es nur noch glühte, orangene Glut unter einem roten Mond, war ich völlig erschöpft. Ich legte mich zu Irene, die während des Feuers nicht aufgewacht war und auch jetzt nicht aufwachte. Sie rückte an mich heran, und als ich den Arm über sie legte, schmiegte sie sich in die Beuge. So schlief ich ein.

Als ich aufwachte, war heller Tag, die Sonne stand hoch am Himmel, und das Boot dümpelte vor der Bucht.

Ich richtete mich auf. Die Bäume an den Bergen waren schwarze Skelette, manchmal mit rostrot verglühten Kronen, oder dicke oder dünne schwarze Totempfähl­e oder übereinand­ergeworfen­e schwarze Stämme. Das obere Haus war ein Haufen schwarzer Kohle, das untere war schwarze Wände und schwarze Säulen, zwischen die Dach und Vordach gestürzt waren.

Irene war weg. Ich nahm es zuerst nicht wahr, weil ich es mir nicht vorstellen konnte, dann, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Die Matratze neben mir war leer, Irene hockte auch nicht vorne im Boot, kauerte nicht hinter dem Steuer, antwortete nicht, als ich sie rief, und winkte nicht aus dem Wasser, wo sie gerade schwamm.

 ?? Zwei Männer wollen Irene sowie ein Gemälde, das Irene nackt zeigt: der Unternehme­r Gundlach und der Maler Schwind. Ein Anwalt soll vermitteln; er lernt ebenfalls, Irene zu lieben… Aus: Bernhard Schlink Die Frau auf der Treppe
© 2014 by Diogenes Verlag AG ??
Zwei Männer wollen Irene sowie ein Gemälde, das Irene nackt zeigt: der Unternehme­r Gundlach und der Maler Schwind. Ein Anwalt soll vermitteln; er lernt ebenfalls, Irene zu lieben… Aus: Bernhard Schlink Die Frau auf der Treppe © 2014 by Diogenes Verlag AG

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