Chance gegen Risiko
Eine Kommune definiert sich in ihrer Leistungsstärke, ihrem Image und ihrer Attraktivität immer über eine ganze Reihe von Faktoren. Gut funktionierende Wirtschaft, architektonischer Charme, Infrastruktur, kulturelles Leben, überregionaler Bekanntheitsgrad, positive Außenwirkung, Freizeit-/Erholungswert und manches mehr sind Qualitätsmerkmale, an denen sich Städte und Gemeinden heute messen. In der Summe sollen all diese Kriterien Lebensqualität für die Bürger bedeuten.
Dass nun der weltweit operierende Großkonzern Sunstar Engineering – mit Niederlassungen in Japan, Thailand, Singapur, Indonesien, China, den USA, der Schweiz und Italien – seine Europa-Zentrale in Rain ansiedelt, ist eine Entwicklung, die Politiker auf Stadt-, Kreis- und Landesebene als Meilenstein bezeichnen. Das Unternehmen soll die bestehende Reihe attraktiver Firmen in Rain weiter anreichern und somit eben genau dazu beitragen, Image und urbane Qualität zu steigern. Klingt es nicht atemberaubend, den Namen der kleinen schwäbischen Lechstadt nahtlos neben denen großer Metropolen wie Tokio oder Osaka zu lesen?
Das ist die eine Seite – die andere ist ein Aspekt, der beim gestrigen Spatenstich und den begeisterten Reden nicht wirklich zur Sprache kam. Denn Sunstar Engineering ist ein Chemie-Unternehmen. Es stellt unter andere Klebe- und Dichtungsstoffe für die Automobilindustrie her. Im künftigen Werk in Rain, das im Juni 2018 seine Produktion aufnehmen soll, werden Mischprozesse ablaufen. Völlig gefahrlos, wie die Geschäftsführung auf Nachfrage versichert. Denn die eigentliche chemische Reaktion finde erst im jeweiligen Automobilkonzern statt, wo die Kleber bei der Weiterverarbeitung aktiviert werden.
Nun aber löst ja allein der Begriff „Chemie“bei vielen Unbehagen aus. Er ist mitunter negativ behaftet. Im konkreten Fall immerhin so negativ, dass der Friedberger Stadtteil Derching Sunstar Engineering im März 2016 eine Absage erteilt hat. Dort hatte der Konzern damals seine erste Anfrage nach einem Grundstück in Bayern gestellt. Die Ängste der Bürger haben den Deal platzen lassen. Und das, obwohl ein Augsburger Experte bescheinigt, dass weder entzündliche, noch krebserregenden Stoffe verwendet werden, dass keine schädlichen Umwelteinwirkungen, keine Geruchsbelästigungen und keine Gewässerverschmutzung zu befürchten sind.
Weil Derching abgelehnt hat, hat Rain den Zuschlag bekommen und begreift dies als echte Chance im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftsförderung. Es geht um Arbeitsplätze, um Gewerbesteuer und auch ums Image. Und bei all dem geht es aber auch um Vertrauen, das die Bevölkerung haben muss. Vertrauen in die Stadtpolitiker, die wohl nicht leichtfertig in ein risikoreiches Abenteuer laufen. Allein schon deshalb, weil sie alle selbst dort leben: in Nachbarschaft zu „Sunstar Engineering“.