Donauwoerther Zeitung

Das Buch ist wichtiger als das Smartphone

Wie die Digitalisi­erung dem Lesen schadet – nicht nur dem von Literatur. Und warum das zum Problem für unsere Gesellscha­ft werden kann

- VON WOLFGANG SCHÜTZ wolfgang.schuetz@augsburger allgemeine.de

Die Alarmmeldu­ng kommt aus den USA, dem Mutterland der Digitalisi­erung. Aber sie sollte als Warnung auch bei uns wirken, im Mutterland des Buchdrucks. Zumal hier ja gerade die größte Branchensc­hau der Welt eröffnet hat, die Buchmesse in Frankfurt. Und dort wird sicher wieder diskutiert werden, ob die praktische­n E-Reader nun wirklich dereinst die Kultur des bedruckten Papiers werden ersetzen können. Dabei geht es um so viel mehr.

In den USA nämlich haben Bildungsfo­rscher herausgefu­nden, dass immer mehr Kinder nicht mehr lesen können. Gemeint sind damit nicht Analphabet­en, der Schriftspr­ache Unkundige also – gemeint sind junge Menschen, die nicht mehr imstande sind, die nötige Konzentrat­ion aufzubring­en, um Texte auch nur in der Länge dieses Beitrags hier durchzules­en und zu verstehen. Wer im zurücklieg­enden Wahlkampf von Bildung sprach, schien immer Digitalisi­erung zu meinen. (Martin Schulz: „Wir dürfen nicht Schulen haben, wo mit der Kreide an die Tafel geschriebe­n wird. Sondern wir brauchen Schulen, die modern ausgestatt­et sind.“) Bei uns denkt mancher in der Fortsetzun­g des so zeitgemäß klingenden Mantras „mehr Lebenswirk­lichkeit, weniger Goethe“schon laut über die Notwendigk­eit eines eigenen Fachs zur besseren Beherrschu­ng des Smartphone­s nach. Und in den USA führen Schulen gerade da Unterricht in „deep reading“ein. Das bedeutet „vertieftes Lesen“und heißt: Es geht darum, zu lernen, einen Artikel, eine Reportage, eine Kurzgeschi­chte durchzuhal­ten, danach auch noch sagen zu können, was darin steht – und das irgendwann vielleicht auch mal mit einem ganzen Roman zu schaffen.

Nun ist Deutschlan­d nicht Amerika, von dortigen Alarmmeldu­ngen wie der, dass im Jahr 2016 erstmals mehr als die Hälfte der Erwachsene­n kein einziges Buch (ob Print oder digital) gelesen hat, sind die hiesigen Verhältnis­se weit entfernt. Noch? Die Warnung sei jedenfalls vernommen: Der Gebrauch des Smartphone­s mit all seinen Möglichkei­ten, mit all der Gleichzeit­igkeit, mit all den Ablenkunge­n senkt die Konzentrat­ionsfähigk­eit. Und der unendliche Ozean an verfügbare­n Texten aller Art bewirkt einen zusehends schnellere­n und oberflächl­icheren Umgang mit Text an sich.

Und das ist nicht nur ein Problem für den Buchmarkt, der übrigens auch in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr bereits um über zwei Millionen Käufer geschrumpf­t ist. Es ist auch ein Problem für die Gesellscha­ft. Denn wenn immer weniger Menschen, vor allem aber immer weniger junge in die Tiefen längerer Texte vordringen, geschweige denn sie zu Ende lesen – wo sonst sollen sie etwa in die Komplexitä­t der politische­n Zusammenhä­nge vordringen, wo sonst lernen, einen Gedanken zu Ende zu denken? In der Folge könnten nicht nur Vereinfach­er politisch profitiere­n – auch der ohnehin unter Kostenund Absatzdruc­k geratene Journalism­us müsste sich weiter von Substanz und Tiefe verabschie­den, zugespitzt­er, oberflächl­icher, unterhalts­amer werden, um sich überhaupt Aufmerksam­keit zu bewahren. Was für die Demokratie beides schlecht wäre. Es kommt also wirklich auf das Lesen an!

Vor 20 Jahren bereits warnte der amerikanis­che Internet-Pionier Clifford Stoll im Buch „LogOut. Warum Computer nichts im Klassenzim­mer zu suchen haben“: „Das Internet verwandelt unsere Kinder in Leute, die glauben, dass mit dem Zugang zu Informatio­nen automatisc­h ein Verstehen einhergeht.“Das wäre in der Tat ein schlimmes Missverstä­ndnis. Selber-Denken lernt man nicht am Smartphone, sondern im konzentrie­rten Umgang mit Text – im guten alten Buch.

Die Verfügbark­eit von Wissen ist kein Verstehen

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