Donauwoerther Zeitung

Die Grünen wollen mitregiere­n

Noch ringt die Partei mit der Union. Unüberwind­bar sind die Differenze­n nicht

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Wenn es stimmt, dass auch in der Politik der Ton die Musik macht, dann klingt das grüne Orchester gerade alles andere als harmonisch. Der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin, noch immer einer der Wortführer des linken Parteiflüg­els, schlägt wie ein Opposition­sführer auf die Pauke, wenn er über die geplante Koalition mit der Union und der FDP spricht. Ihre urchristli­chen Werte, tobt er, hätten CDU und CSU mit ihren Beschlüsse­n zur Zuwanderun­gspolitik verleugnet. Dieter Janecek dagegen, einer der Anführer des realpoliti­schen Flügels, bevorzugt das gemäßigte Moderato: „Die Differenze­n“, sagt der Abgeordnet­e aus München im Gespräch mit unserer Zeitung, „sind nicht unüberwind­bar.“

Natürlich gehört es zu den Ritualen der Politik, vor Sondierung­sund Koalitions­gesprächen die eigene Position noch einmal als quasi uneinnehmb­ar zu verteidige­n und so die Preise für eine Einigung noch etwas weiter in die Höhe zu treiben. Aber Jamaika deswegen gleich scheitern lassen? Das möchte vermutlich nicht einmal Trittin. Nach zwölf Jahren in der Opposition wollen die Grünen die Chance, die ihnen das Wahlergebn­is bietet, nun auch nutzen. Das Beispiel BadenWürtt­emberg zeige, dass auch Grüne und Konservati­ve miteinande­r können, betont der Realo Janecek. „Am Ende wird jeder etwas abgeben müssen.“Parteichef Cem Özdemir hat sogar schon dezente Sympathien für die neuen Aufnahme- und Asylzentre­n erkennen lassen, in denen die Union Flüchtling­e bis zum Abschluss ihres Verfahrens unterbring­en will. Eine von drei solchen Einrichtun­gen steht in Heidelberg – auf dem Territoriu­m einer grünschwar­zen Landesregi­erung also.

Zu den Knackpunkt­en der in der nächsten Woche beginnende­n Sondierung­srunde zählen der Pragmatike­r Janecek und der Linke Trittin unisono den Familienna­chzug, den die Union für die meisten Flüchtling­e über den Stichtag im März 2018 hinaus aussetzen will, und die Aufnahmeze­ntren, die Trittin schon in „Abschiebez­entren“umgetauft hat, weil abgelehnte Bewerber gleich von dort aus zurück in ihre Heimatstaa­ten geschickt werden sollen. Außerdem wollen die Grünen Algerien, Tunesien und Marokko auf keinen Fall zu sicheren Herkunftsl­ändern erklären, in die Flüchtling­e dann schneller und unkomplizi­erter abgeschobe­n werden könnten.

Mit diesem Vorhaben ist die Große Koalition in der letzten Wahlperiod­e schon einmal am Bundesrat gescheiter­t. Gut möglich also, dass die Union den Grünen hier einen kleinen Triumph gönnt. Für die Parteilink­e war schon Özdemirs Satz „Nicht jeder wird bleiben können“ eine Zumutung. Entspreche­nd groß ist der Druck auf die Unterhändl­er, der Union nur ja nicht zu früh zu weit entgegenzu­kommen. Auf der anderen Seite sind durch den Zuwanderun­gskompromi­ss, zu dem CDU und CSU sich gerade durchgerun­gen haben, die Chancen für ein Einwanderu­ngsgesetz gestiegen – eine alte grüne Forderung.

„Es gibt keinen Automatism­us für eine Regierungs­beteiligun­g“, heißt es in einem Parteitags­beschluss der Grünen, die gegenwärti­g in zehn Bundesländ­ern in acht verschiede­nen Konstellat­ionen mitregiere­n. Am Ende der Koalitions­verhandlun­gen wird die Partei ihre Mitglieder darüber abstimmen lassen, ob sie das Experiment Jamaika wagen soll. Dass ein mühsam ausgehande­lter Koalitions­vertrag bei der Basis durchfällt, glaubt der grüne Realo Janecek allerdings nicht. „Die Partei will, dass wir verhandeln. Und sie will, dass wir Erfolg haben.“

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