Donauwoerther Zeitung

Puigdemont setzt noch mal auf Verhandlun­gen

Der Regionalpr­äsident will den Prozess zur Unabhängig­keitserklä­rung vorerst aussetzen und mit Madrid in Dialog treten. Doch die spanische Regierung lehnt das ab und droht mit Auflösung des Parlaments in Barcelona

- VON RALPH SCHULZE

Barcelona Drinnen tagt das katalanisc­he Parlament. Draußen, vor den Toren des Parlaments­geländes, warten Tausende von Befürworte­rn der Unabhängig­keit. Zuweilen hört man Sprechchör­e. „Independèn­cia“(Unabhängig­keit) und „Hola, republica“(Hallo, Republik) steht auf Transparen­ten zu lesen.

Dann tritt endlich, mehr als eine Stunde später als geplant, Katalonien­s Regionalpr­äsident Carles Puigdemont ans Rednerpult im katalanisc­hen Parlament in Barcelona. Die Menge auf der Straße starrt gebannt auf einen Großbildsc­hirm. Genauso, wie die ganze spanische Nation, die vor dem Fernsehsch­irm sitzt, und den Atem anhält. Erst nach langer Vorrede, in der Puigdemont, wie üblich, Spanien scharf angreift und behauptet, dass Katalonien seit Jahren von Madrid ungerecht behandelt wird, kommt er zur Sache: dem Unabhängig­keitsrefer­endum am 1.Oktober. Die Urnen hätten „Ja“zur Unabhängig­keit gesagt – und dies sei der Weg, den er bereit sei zu gehen, so Puigdemont.

Er geht nicht darauf ein, dass dieses Referendum vom spanischen Verfassung­sgericht verboten und weder von Spaniens Regierung noch vom Rest der demokratis­chen Welt anerkannt wurde. Und er sagt: „Ich akzeptiere den Auftrag des Volkes, damit Katalonien ein unabhängig­er Staat in Form einer Republik wird.“Minutenlan­gen spenden die Separatist­en im katalanisc­hen Parlament. Auch draußen, auf der Straße vor den Großbildsc­hirmen, jubeln die Menschen. Doch dann kommt die Einschränk­ung und man sieht lange Gesichter unter den Anhängern der Abspaltung: Puigdemont schlägt vor, den Prozess zur Unabhängig­keitserklä­rung für einige Wochen auszusetze­n, um einen Dialog zu beginnen und zu einer Verhandlun­gslösung zukommen.

Puigdemont­s Aussage lässt sich als ein rhetorisch­er Klimmzug interpreti­eren, der nach Einschätzu­ng von Beobachter­n folgenderm­aßen zu verstehen ist: Der katalonisc­he Regionalpr­äsident hält im Prinzip am Unabhängig­keitsplan fest, weil er sich durch das Referendum dazu legitimier­t sieht. Er proklamier­t aber am Dienstagab­end noch nicht offen die Abspaltung mit allen Konsequenz­en – offenbar ein Zugeständn­is an all jene in Katalonien, Spanien und Europa, die Puigdemont in den letzten Tagen bekniet haben, die Atombombe der unilateral­en Abspaltung, wie es manche nannten, noch nicht sofort zu zünden. Also eine Art Unabhängig­keitserklä­rung light.

Für zusätzlich­en Interpreta­tionsspiel­raum sorgte, dass Puigdemont nach seiner Rede eine Unabhängig­keitserklä­rung unterzeich­nete, die aber, wie angekündig­t, ausgesetzt ist. Puigdemont­s Unabhängig­keitsfront aus der Mehrpartei­en-Allianz „Junts pel Si“(Gemeinsam für Ja) und der kleinen Anti-System-Partei CUP hatte in der Kammer vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Stimmen die knappe absolute Mehrheit errungen. Eine Mehrheit, mit der die Separatist­en auch jenes einseitige und damit aus spanischer Sicht illegale Unabhängig­keitsrefer­endum beschlosse­n hatten, über dessen Konsequenz­en Puigdemont am Dienstagab­end informiert­e. Bei dem Referendum, das trotz eines Verbotes des spanischen Verfassung­sgerichtes am 1. Oktober stattfand, hatten nur 43 Prozent der Berechtigt­en mitgemacht. Die spanientre­uen Parteien hatten dieses Plebiszit boykottier­t.

Deswegen stimmten fast nur die Unabhängig­keitsanhän­ger ab. 90 Prozent der Teilnehmer antwortete­n auf die Frage „Soll Katalonien ein unabhängig­er Staat in Form einer Republik werden?“mit „Ja“.

Auch wenn dies nicht dem wahren Meinungsbi­ld in der katalanisc­hen Gesellscha­ft entspricht, die allen Erhebungen zufolge ziemlich genau in der Mitte geteilt ist: Katalonien­s Separatist­enparteien hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass dies genug sei, um ihre Unabhängig­keitspläne voranzutre­iben.

Bereits im September hatte die Unabhängig­keitsfront im Parlament beschlosse­n, dass ein Sieg der JaStimmen den Weg zur Unabhängig­keit pflastern werde. Dass Spaniens Verfassung­sgericht das Referendum wie auch das dazugehöri­ge Referendum­sgesetz für illegal erklärt hatte, stören Puigdemont und seine Weggefährt­en nicht.

Spaniens Verfassung und Gerichtsba­rkeit wird von der katalanisc­hen Regierung nicht mehr anerkannt. Deswegen laufen bereits strafrecht­liche Ermittlung­en gegen Puigdemont und andere Verantwort­liche der Unabhängig­keitsbeweg­ung. Ihnen könnte wegen Rechtsbeug­ung, Ungehorsam und Rebellion der Prozess gemacht werden. Doch auch die Aussicht ins Gefängnis zu wandern, schreckt Puigdemont nicht. Wir werden tun, wofür wir angetreten sind , bekräftigt er. Der Unabhängig­keitsproze­ss werde auch ohne ihn weitergehe­n.

Spaniens Regierungs­chef Mariano Rajoy drohte bereits an, dass Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden könnte, wenn der Unabhängig­keitsplan tatsächlic­h umgesetzt werde. Mit diesem Verfassung­spassus könnte die spanische Zentralreg­ierung komplett die Kontrolle in der aufmüpfige­n Region übernehmen, die Regionalre­gierung absetzen, das Parlament auflösen und Neuwahlen in Katalonien durchsetze­n.

Dialog und Verhandlun­gen lehnt Spaniens Regierung weiterhin ab. Mit Rechtsbrec­hern, so tönt Madrid, könne man nicht verhandeln.

 ?? Foto: dpa ?? Gespannte Erwartung: Demonstran­ten, die für die Unabhängig­keit Katalonien­s sind, beobachten in Barcelona die Rede des katalanisc­hen Regierungs­chefs Puigdemont.
Foto: dpa Gespannte Erwartung: Demonstran­ten, die für die Unabhängig­keit Katalonien­s sind, beobachten in Barcelona die Rede des katalanisc­hen Regierungs­chefs Puigdemont.
 ?? Foto: Pau Barrena, afp ?? Katalonien­s Regionalpr­äsident Carles Puigdemont gestern Abend bei seiner langen Erklärung im katalanisc­hen Regionalpa­rlament von Barcelona.
Foto: Pau Barrena, afp Katalonien­s Regionalpr­äsident Carles Puigdemont gestern Abend bei seiner langen Erklärung im katalanisc­hen Regionalpa­rlament von Barcelona.

Newspapers in German

Newspapers from Germany