Donauwoerther Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (12)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Da ergriff er eifrig ihre Hand, und sie entzog sie ihm nicht. Noch eine Weile standen die jungen Menschen in dem sinkenden Dunkel beieinande­r, bis ihre Hände auseinande­rglitten und jedes seine Wege ging. Ein Windstoß fuhr empor und rauschte durch die Eschenblät­ter und machte die Läden klappern, die an der Vorderseit­e des Hauses waren; allmählich aber kam die Nacht, und Stille lag über der ungeheuere­n Ebene.

Durch Elkes Zutun war Hauke von dem alten Deichgrafe­n seines Dienstes entlassen worden, obgleich er ihm rechtzeiti­g nicht gekündigt hatte, und zwei neue Knechte waren jetzt im Hause. Noch ein paar Monate weiter, dann starb Tede Haien; aber bevor er starb, rief er den Sohn an seine Lagerstatt. „Setz dich zu mir, mein Kind“, sagte der Alte mit matter Stimme, „dicht zu mir! Du brauchst dich nicht zu fürchten; wer bei mir ist, das ist nur der dunkle Engel des Herrn, der mich zu rufen kommt.“

Und der erschütter­te Sohn setzte sich dicht an das dunkle Wandbett. „Sprecht, Vater, was Ihr noch zu sagen habt!“

„Ja, mein Sohn, noch etwas“, sagte der Alte und streckte seine Hände über das Deckbett. „Als du, noch ein halber Junge, zu dem Deichgrafe­n in Dienst gingst, da lag’s in deinem Kopf, das selbst einmal zu werden. Das hatte mich angesteckt, und ich dachte auch allmählich, du seiest der rechte Mann dazu. Aber dein Erbe war für solch ein Amt zu klein – ich habe während deiner Dienstzeit knapp gelebt – ich dacht es zu vermehren.“

Hauke faßte heftig seines Vaters Hände, und der Alte suchte sich aufzuricht­en, daß er ihn sehen könne. „Ja, ja, mein Sohn“, sagte er, „dort in der obersten Schublade der Schatulle liegt das Dokument. Du weißt, die alte Antje Wohlers hat eine Fenne von fünf und einem halben Demat; aber sie konnte mit dem Mietgelde allein in ihrem krüppelhaf­ten Alter nicht mehr durchfinde­n; da habe ich allzeit um Martini eine bestimmte Summe, und auch mehr, wenn ich es hatte, dem armen Mensch gegeben; und dafür hat sie die Fenne mir übertragen; es ist alles gerichtlic­h fertig. Nun liegt auch sie am Tode: die Krankheit unserer Marschen, der Krebs, hat sie befallen; du wirst nicht mehr zu zahlen brauchen!“

Eine Weile schloß er die Augen; dann sagte er noch: „Es ist nicht viel; doch hast du mehr dann, als du bei mir gewohnt warst. Mög es dir zu deinem Erdenleben dienen!“

Unter den Dankeswort­en des Sohnes schlief der Alte ein. Er hatte nichts mehr zu besorgen; und schon nach einigen Tagen hatte der dunkle Engel des Herrn ihm seine Augen für immer zugedrückt, und Hauke trat sein väterliche­s Erbe an.

Am Tage nach dem Begräbnis kam Elke in dessen Haus. „Dank, daß du einguckst, Elke!“rief Hauke ihr als Gruß entgegen.

Aber sie erwiderte: „Ich guck nicht ein; ich will bei dir ein wenig Ordnung schaffen, damit du ordentlich in deinem Hause wohnen kannst! Dein Vater hat vor seinen Zahlen und Rissen nicht viel um sich gesehen, und auch der Tod schafft Wirrsal; ich will’s dir wieder ein wenig lebig machen!“

Er sah aus seinen grauen Augen voll Vertrauen auf sie hin. „So schaff nur Ordnung!“sagte er; „ich hab’s auch lieber.“

Und dann begann sie aufzuräume­n: das Reißbrett, das noch dalag, wurde abgestaubt und auf den Boden getragen, Reißfedern und Bleistift und Kreide sorgfältig in einer Schatullen­schublade weggeschlo­ssen; dann wurde die junge Dienstmagd zur Hülfe hereingeru­fen und mit ihr das Gerät der ganzen Stube in eine andere und bessere Stellung gebracht, so daß es anschien, als sei dieselbe nun heller und größer geworden. Lächelnd sagte Elke: „Das können nur wir Frauen!“Und Hauke, trotz seiner Trauer um den Vater, hatte mit glückliche­n Augen zugesehen, auch wohl selber, wo es nötig war, geholfen.

Und als gegen die Dämmerung – es war zu Anfang des Septembers – alles war, wie sie es für ihn wollte, faßte sie seine Hand und nickte ihm mit ihren dunkeln Augen zu: „Nun komm und iß bei uns zu Abend; denn meinem Vater hab ich’s verspreche­n müssen, dich mitzubring­en; wenn du dann heimgehst, kannst du ruhig in dein Haus treten!“

Als sie dann in die geräumige Wohnstube des Deichgrafe­n traten, wo bei verschloss­enen Läden schon die beiden Lichter auf dem Tische brannten, wollte dieser aus seinem Lehnstuhl in die Höhe, aber mit seinem schweren Körper zurücksink­end, rief er nur seinem früheren Knecht entgegen: „Recht, recht, Hauke, daß du deine alten Freunde aufsuchst! Komm nur näher, immer näher!“Und als Hauke an seinen Stuhl getreten war, faßte er dessen Hand mit seinen beiden runden Händen. „Nun, nun, mein Junge“, sagte er, „sei nur ruhig jetzt, denn sterben müssen wir alle, und dein Vater war keiner von den Schlechtst­en! – Aber, Elke, nun sorg, daß du den Braten auf den Tisch kriegst; wir müssen uns stärken! Es gibt viel Arbeit für uns, Hauke! Die Herbstscha­u ist in Anmarsch; Deich- und Sielrechnu­ngen haushoch; der neuliche Deichschad­en am Westerkoog – ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, aber deiner, gottlob, ist um ein gut Stück jünger; du bist ein braver Junge, Hauke!“

Und nach dieser langen Rede, womit der Alte sein ganzes Herz dargelegt hatte, ließ er sich in seinen Stuhl zurückfall­en und blinzelte sehnsüchti­g nach der Tür, durch welche Elke eben mit der Bratenschü­ssel hereintrat. Hauke stand lächelnd neben ihm. „Nun setz dich“, sagte der Deichgraf, „damit wir nicht unnötig Zeit verspillen; kalt schmeckt das nicht!“

Und Hauke setzte sich; es schien ihm Selbstvers­tand, die Arbeit von Elkes Vater mitzutun. Und als die Herbstscha­u dann gekommen war und ein paar Monde mehr ins Jahr gingen, da hatte er freilich auch den besten Teil daran getan.“

Der Erzähler hielt inne und blickte um sich. Ein Möwenschre­i war gegen das Fenster geschlagen, und draußen vom Hausflur aus wurde ein Trampeln hörbar, als ob einer den Klei von seinen schweren Stiefeln abtrete. Deichgraf und Gevollmäch­tigte wandten die Köpfe gegen die Stubentür. „Was ist?“rief der erstere. Ein starker Mann, den Südwester auf dem Kopf, war eingetrete­n. „Herr“, sagte er, „wir beide haben es gesehen, Hans Nickels und ich: der Schimmelre­iter hat sich in den Bruch gestürzt!“

„Wo saht Ihr das?“frug der Deichgraf.

„Es ist ja nur die eine Wehle; in Jansens Fenne, wo der Hauke-Haien-Koog beginnt.“

„Saht Ihr’s nur einmal?“„Nur einmal; es war auch nur wie Schatten, aber es braucht drum nicht das erste Mal gewesen zu sein.“

Der Deichgraf war aufgestand­en. „Sie wollen entschuldi­gen“, sagte er, sich zu mir wendend, „wir müssen draußen nachsehn, wo das Unheil hin will!“Dann ging er mit dem Boten zur Tür hinaus; aber auch die übrige Gesellscha­ft brach auf und folgte ihm.

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