Donauwoerther Zeitung

„Wir brauchen mehr Pflegekräf­te“

In vielen Kliniken streiken die Mitarbeite­r, weil der Druck so extrem steigt. Es fehlt Personal. Was der Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft fordert

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Hasenbein, in Bayern – so auch am Klinikum Augsburg – streiken die Pflegekräf­te. Sie beklagen einen extremen Druck. Immer weniger Pflegekräf­te müssen immer mehr Patienten versorgen. Viele arbeiten längst selbst an ihrem körperlich­en und seelischen Limit. Sie sind der Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. Verstehen Sie die Streikende­n? Siegfried Hasenbein: Ja, ich habe Verständni­s für die Pflegekräf­te. Denn das, was sie beklagen, dass sie überlastet sind, dass sie dringend Verstärkun­g brauchen, das ist ja nicht von der Hand zu weisen. Das ist eine korrekte Zustandsbe­schreibung. Die Frage ist nur, welchen Weg gehen wir, um diesen Missstand zu lösen?

Aber der Pflegenots­tand ist doch kein neues Thema. Seit Jahren spitzt sich die Lage zu, seit Jahren weisen die Pflegekräf­te auf unhaltbare Arbeitsbed­ingungen hin ...

Hasenbein: Das stimmt, die Situation ist nicht neu. Und ja, die Lage hat sich weiter zugespitzt. Zwei Gründe gibt es meines Erachtens dafür: Zum einen haben die Anforderun­gen in den Krankenhäu­sern zugenommen. Im Fachjargon sprechen wir von Leistungsv­erdichtung. Die Pflegekräf­te müssen immer mehr leisten. Sie müssen immer schwerer erkrankte Patienten in immer kürzeren Zeitabstän­den versorgen. Zum anderen hat sich aber auch der wirtschaft­liche Druck auf die Krankenhau­sträger massiv erhöht. Und das zusammen ergibt die missliche Situation, die wir haben.

Aber das ist doch seit Jahren absehbar. Da muss doch was geschehen, da muss man etwas ändern ...

Hasenbein: Wer ist man? Das ist die große Frage. Ich gebe Ihnen recht, es muss sich etwas ändern. Aber „man“können nicht die Krankenhau­sträger und Krankenhau­sdirektore­n allein sein. Denn ihnen zu unterstell­en, dass sie bewusst zu wenige Pflegekräf­te einstellen oder sie zu schlecht bezahlen, ist falsch. Da würde man ihnen sehr unrecht tun.

Das heißt, die Krankenhäu­ser müssen anders finanziert werden? Hasenbein: Ja, das ist das Wichtigste: Ich sehe zwei ganz große Bedarfe, die wir haben, die aber leider zum Teil nicht kurzfristi­g gelöst werden können: Wir müssen zum einen das Krankenhau­sfinanzier­ungs- und vergütungs­system auf neue Beine stellen. Zumindest in dem Punkt, dass die Krankenhäu­ser endlich ihre Personalko­sten refinanzie­rt bekommen. Nachdem wir das immer noch erreicht haben, lastet auf den Krankenhäu­sern ein enormer Spardruck. Das zweite ist kein wirtschaft­liches Thema, sondern eine gesellscha­ftliche Herausford­erung: Wir brauchen mehr junge Menschen, die in den Pflegeberu­f eintreten. Denn wir können viel tun und etwa Mindestzah­len an Pflegekräf­te festlegen, die für so und so viel Patienten zuständig sind – das alles läuft aber doch ins Leere, wenn es auf dem Arbeitsmar­kt keine Nachwuchsk­räfte gibt.

Aber es ist doch auch nachvollzi­ehbar, dass der Beruf wenig attraktiv ist, wenn man weiß, wie körperlich und psychisch anstrengen­d diese Arbeit ist und wie schlecht sie bezahlt ist. Hasenbein: Dass der Pflegeberu­f ein körperlich und psychisch herausford­ernder Beruf ist, das ist völlig richtig. Aber ich finde es schade, dass immer nur diese eine Seite so im Vordergrun­d steht. Der Pflegeberu­f ist auch ein sehr erfüllende­r Beruf. Der Dienst am Menschen, gepaart mit einer hervorrage­nden Technik, ist ein spannender Beruf – das kommt leider immer zu kurz.

Aber der Beruf ist zu schlecht bezahlt. Hasenbein: Dem kann ich so nicht zustimmen. Das ist so ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine junge Pflegekraf­t erhält direkt nach ihrer dreijährig­en Ausbildung ein Monatsgeha­lt von 2635 Euro brutto. Da kommen noch die üblichen Zuschläge etwa für Nacht- oder Sonntagsdi­enste hinzu. So kommen als Einstiegsg­ehalt rund 3000 Euro heraus. Ich glaube nicht, dass dies ein schlechtes Gehalt für eine junge Kraft unmittelba­r nach der Ausbildung ist. Nach zehn Jahren in dem Beruf können Pflegekräf­te im Schnitt 3300 bis 3400 Euro verdienen. Außerdem haben wir eine Fülle an Aufstiegsm­öglichkeit­en, in dem sich Pflegekräf­te spezialisi­eren können beispielsw­eise auf Intensivst­ationen, auf den Operations­bereich oder die Onkologie. Mit einer Spezialisi­erung kann eine Pflegekraf­t zwei Vergütungs­gruppen höher steinicht gen, so sind dann Verdienstm­öglichkeit­en von 3500, 3600 Euro brutto im Monat möglich. Das kann man im Jahresgeha­lt mal 13 nehmen. Und das ist noch lang nicht das Ende der Karrierele­iter. Sie können beispielsw­eise eine Gruppen- oder Stationsle­itung übernehmen, das ist dann natürlich auch mit einem höheren Gehalt verbunden. Ich will damit sagen, Sie können als Krankenpfl­eger heute weit mehr als ein durchschni­ttlicher Facharbeit­er verdienen. Das heißt nicht, dass ich mir nicht mehr Geld für die Pflegekräf­te vorstellen kann und es ihnen gönnen würde. Aber wie gesagt, das muss finanziert werden.

Nicht wenige fordern eine neue Finanzieru­ng der Krankenhäu­ser aus Steuergeld­ern. Es wird oft auf das skandinavi­sche Modell verwiesen, bei dem Krankenhäu­ser offenbar finanziell besser gestellt sind ...

Hasenbein: Dieses Modell kann man diskutiere­n. Aber naheliegen­d wäre für mich zunächst einmal, dass man im bestehende­n Finanzieru­ngssystem etwas ändert. Jetzt finanziere­n ja die Krankenver­sicherunge­n den Krankenhau­sbetrieb. Und hier muss es doch möglich sein, dass die Krankenhäu­ser ihre Personalko­sten und deren Steigerung­en etwa aufgrund des Mehrbedarf­s oder aufgrund tarifliche­r Erhöhungen finanziert bekommen. Das kann und wird zur Folge haben, dass die Krankenver­sicherungs­beiträge steigen werden. Aber ich bin fest überzeugt, dass dies eine große Mehrheit der Versichert­en akzeptiere­n würde, wenn man es dementspre­chend kommunizie­rt und den Nutzen der Patienten erklären würde.

Auf den Kliniken lastet ein enormer Spardruck

Was müsste konkret jetzt geschehen? Hasenbein: Als Erstes muss die neue Bundesregi­erung im Pflegebere­ich ein Signal setzen. Sie muss klarmachen: Ja, wir haben die Situation erkannt. Wir stellen die Finanzieru­ng um. Die Krankenhäu­ser müssen mehr Personal einstellen und die Tariferhöh­ungen auch finanziere­n können. Letzteres ist leider nicht der Fall. Und dann müssen alle in der Gesellscha­ft, nicht nur die im Pflegebere­ich Aktiven, die jungen Menschen davon überzeugen, dass der Pflegeberu­f nicht nur ein stressiger Beruf ist, sondern ein sehr erfüllende­r Dienst am Nächsten. Nur so können wir gewährleis­ten, dass mehr junge Leute in der Pflege arbeiten wollen. Und wir brauchen mehr Pflegekräf­te. Siegfried Hasenbein Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­s gesellscha­ft, ist verheira tet und lebt in Friedberg. (60),

 ?? Foto: imago, Westend61 ?? Immer mehr und immer kränkere Patienten müssen die Pflegekräf­te in immer kürze rer Zeit in Kliniken versorgen. Sie arbeiten oft längst am Limit.
Foto: imago, Westend61 Immer mehr und immer kränkere Patienten müssen die Pflegekräf­te in immer kürze rer Zeit in Kliniken versorgen. Sie arbeiten oft längst am Limit.
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