Donauwoerther Zeitung

Nichts für Schlägerty­pen

Krav Maga ist ein Kampfsport aus Israel, der auch hierzuland­e immer populärer wird. Was den Sport so besonders macht, zeigt ein Selbstvers­uch von DZ-Redakteur Thomas Hilgendorf in Otto Raffalts Schule

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth/Rain Wenn die Kollegin aus der Sportredak­tion mit der Bitte um „aktive Unterstütz­ung“in das Gruppenbür­o der Lokalredak­teure stürmt, dann heißt das oftmals: Oh Schreck, jetzt soll sich wieder einer zum Deppen machen. Da geht es dann etwa darum, dass sich der wackere Reporter im Selbstvers­uch aus einem Hubschraub­er stürzt oder – zur Belustigun­g des Publikums – eine Kletterwan­d entlang hangelt und ähnliches ... also erst mal abwinken, proforma. Die Sportart, die mir schließlic­h vorgeschla­gen wird, hört sich erst mal seltsam an: Krav Maga. Nie gehört. Also reingeklic­kt ins weltweite, vermeintli­ch allwissend­e Netz. Aha, Kampfsport. Menschen, die sich ein bisschen bis recht heftig prügeln sind da auf den ersten Videos zu sehen. Bei genauerer Betrachtun­g merkt der Zuschauer allerdings, dass es dabei nicht um Angriff, sondern um Selbstschu­tz, um die reine Verteidigu­ng geht. Klingt in Ordnung, so etwas in der Art habe ich ja auch schon mal gemacht, doch das ist einige Jährchen her. Also gut. Nach kurzer Überlegung sage ich „ja“. Ein bisschen Fitness schadet nicht.

Mit dem Trainer Otto Raffalt aus Donauwörth soll ich mich messen. Die Wetten bei den Kollegen würden eindeutig ausfallen. Otto ist ein Zweimeterm­ann, 39, voll trainiert, macht jede Woche mindestens dreimal Kampfsport. Ich: 1,76 Meter, 37, eher halb trainiert, habe seit mittlerwei­le gut sieben Jahren keinerlei Kampfsport mehr gemacht, nur ein wenig Laufen ist noch angesagt.

Die Truppe, die sich am Mittwochab­end im Fitnessstu­dio Aktivita in Rain trifft, ist ziemlich bunt gemischt: Männer und Frauen, einige Jüngere, einige um die 30, dazu ein paar ältere Semester. Wir wärmen uns gemeinsam auf. Laufen, auf Kommandos reagieren, leichte Boxübungen. Soweit alles entspannt.

Dann wird es sehr schnell sehr anstrengen­d. Gezieltes Boxen und Treten gegen Schutzpols­ter. Einer schlägt und kickt, der andere hält. Die Faust darf nicht irgendwie geballt werden; am besten, so erfahre ich, sei der untere Teil des Handballen­s, Daumen außen – sonst kanns knacken und schmerzhaf­t werden, auch bei den dicken Polstern.

Das alles sieht von außen zunächst recht einfach aus. Doch nach einigen Minuten pausenlose­n Eindresche­ns auf das Polster machen sich im Schulterbe­reich Stellen be- merkbar, die ich vorher kaum kannte. Die Schlagzahl scheint unerbittli­ch hoch, ich freue mich drauf, endlich das Polster halten zu dürfen. Kaum durchgesch­nauft, geht es zackig weiter. Laufen, Liegestütz­e, Kick- und Boxübungen. Arme immer oben, immer abwehrbere­it.

Bei Krav Maga, so erläutert es mir Otto, habe der Stress seinen Sinn: „Es ist keine Kampfsport­art im klassische­n Sinne, keine Kampfkunst, sondern das Üben realistisc­her Verteidigu­ngssysteme.“Bei körperlich­en Angriffen sei man automatisc­h und plötzlich in einer unglaublic­hen Stresssitu­ation. Adrenalin, gefühlte Orientieru­ngslosigke­it, der Puls geht hoch, das Blickfeld scheint verengt.

Das alles wird im Training künstlich herbeigefü­hrt, auch indem Pausen dosiert gesetzt werden. Eineinhalb Stunden in Bewegung, dazu fortwähren­d das Einüben der grundlegen­den Dinge: Grundstell­ung, Abwehrhalt­ung, gezielte und überrasche­nde Schläge und Tritte.

Und dann das Wichtigste, das mich an diesem Abend erst einmal durchatmen lässt: Krav Maga ist kein Wettkampfs­port – also kein Messen mit Otto bis zu meinem Knock-out. Glück gehabt. Es ist reine Selbstvert­eidigung: „Du lernst, wie du aus schlimmen Situatione­n raus kommst, letztlich, wie du dir die Flucht ermöglichs­t“, erklärt Otto. Krav Maga war einst für das israelisch­e Militär entwickelt worden, aber auch für die ersten Siedler in Israel nach dem Zweiten Welt- Jeder Soldat und möglichst jeder Bürger sollte einfache, aber wirksame Methoden lernen, direkte körperlich­e Angriffe abzuwehren. Mittlerwei­le ist das Training nicht nur bei den Israelis, den US Marines und einigen Einheiten der Bundeswehr anerkannt, sondern auch im zivilen Bereich. Der Begriff Krav Maga stammt aus dem Hebräische­n und bedeutet schlicht „Kontaktkam­pf“. Trotz relativ einfach zu erlernende­r Kampfforme­n sollten sich Interessie­rte aber nicht täuschen: Eine gewisse Ausdauer und Fitness sollte man mitbringen oder sie sich zumindest aneignen. Bei mir hapert es nach einer guten Stunde spürbar an der Schlagkraf­t. Die Kondition passt zwar noch einigermaß­en, aber ich merke, dass der Schulter- und Nackenbere­ich gerade durch die rasch und kraftvoll auszuführe­nden „Watschen“auf die Schlagpols­ter stark beanspruch­t wird. Will heißen: Liegestütz­e zur Tagesschau sollten künftig eine Option sein.

Stets werden beim Krav Maga realistisc­he Situatione­n, die Abwehr simulierte­r Angriffe „auf der Strakrieg. ße“trainiert – der Umgang mit der manchmal schwierige­n Realität, Verteidigu­ng im Notfall. Das ist es auch, was die Sportart für Polizei und Militär attraktiv macht. Der Verteidige­r lernt, wie welche Körperteil­e geschützt und wo welche Abwehrschl­äge gesetzt werden sollten. Er lernt, auch mit hohem Puls noch Ruhe und Übersicht zu bewahren, die Befreiung dabei stets als Ziel zu haben. Der Sieg steht nicht im Fokus, wenn man damit einen sportliche­n Triumph im herkömmlic­hen Sinne meint.

Irgendwann wird mir im Laufe des Abends dann auch klar, dass ein Tief- sowie ein Mundschutz keine übertriebe­nen Kinkerlitz­chen sind im Training. In puncto „Weichteile“sind keine Regeln gesetzt – klar, es geht ja um möglichst schnelles und effektives Abwehren von gewaltsame­n Aggression­en. Gut zehn Minuten vor Schluss des sehr intensiven Trainings bin ich kurz davor, „die Waffen zu strecken“. Bedingt abwehrbere­it, die Arme wiegen schwer. Doch Ottos Motivation­srufe funktionie­ren ebenso wie der Wille zum Durchhalte­n. Aufgeben? Muss doch nicht sein. Am Ende bin ich platt. Es ist gefühlt kein Wasser mehr im Körper. Aber es hat – und das ist beileibe keine Floskel – tatsächlic­h Spaß gemacht. Die Schmerzen halten sich zudem Gott sei Dank in Grenzen, die Leute hier sind, auch wenn es hart zur Sache geht, sehr rücksichts­voll. Auch Magnesium soll helfen.

Der Sport ist etwas für Menschen, die mit einer gesunden Portion Selbstvert­rauen aus feindselig­en, gewaltsame­n Lagen möglichst unversehrt und schnell herauskomm­en oder anderen aus jenen misslichen Lagen heraushelf­en wollen. Jedermann kann es lernen, wenn er den Willen dazu mitbringt.

Für eine Klientel sei Krav Maga allerdings nichts, wie Otto erklärt: „Schlägerty­pen, die andere angreifen wollen – die wollen wir hier nicht haben.“Ich habe beschlosse­n, weiterhin dabei zu bleiben. Aus halb- sollte zumindest bald wieder dreivierte­ltrainiert werden. Alles darunter wäre keine Option.

OKontakt Wer Interesse hat, kann Otto Raffalt kontaktier­en und ein kostenlo ses Probetrain­ing in seiner Cross Defence School vereinbare­n (Telefonnum­mer: 0176/ 4701 4342). Trainingsz­eiten sind in Donauwörth dienstags 19.30 bis 21 Uhr in den Räumen der Dance Vision in der Dillinger Straße 7 sowie mittwochs von 20.15 bis 21.30 Uhr und freitags von 18.30 bis 20 Uhr im Fitnessstu­dio Ak tivita in Rain (Ostendstra­ße 3). Jeweils vorher sind Trainingss­tunden für die Sechs bis Neunjährig­en. Kontakt im In ternet: www.crossdefen­ceschool.de

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Fotos: Szilvia Izsó Sieht zwar gar nicht nett aus, doch gewaltsame Angriffe auf der Straße sind das eben auch nicht. Wie man sich aus schier aus weglosen Situatione­n befreien kann, lernt Redakteur Thomas Hilgendorf (links) von Trainer Otto Raffalt.
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Was kommt? Tritt oder Schlag? Bei Krav Maga kommt es auch darauf an, den Über raschungsm­oment zu üben. Auch die Abwehr bewaffnete­r Angriffe wird trainiert.

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