Donauwoerther Zeitung

Horror in Manhattan

Ausgerechn­et diese Stadt. Und dann auch noch an Halloween. Was man über den Attentäter weiß, welches Drama hinter dem Tod von fünf Argentinie­rn steckt und mit welchem bemerkensw­erten Trotz die New Yorker reagieren

- VON THOMAS SEIBERT UND TOBIAS KÄUFER New York Times. Bild-Zeitung. New York Times.

New York Sirus Minovi glaubt erst an einen Halloween-Scherz. Liegt ja nahe an diesem sonnigen Nachmittag in New York. In ein paar Stunden wird die Nacht hereinbrec­hen, und dann werden viele wieder durch die Straßen ziehen mit ihren fiesen Masken, Dracula-Zähnen oder eben einer billigen Plastik-Knarre in der Hand. Denkt Sirus, 14 Jahre, Schüler an der Stuyvesant High School im südlichen Teil von Manhattan. Bis die Leute rufen: „Da schießt einer! Weg hier! Er hat eine Waffe!“

Das ist kein Halloween-Scherz. Das ist tödlicher Ernst.

Sirus sieht noch, wie ein Passant auf einen Mann zugeht, um ihn offensicht­lich zu beruhigen. Das erzählt er später der

Und dass der Passant dann die Waffen in den Händen des Mannes gesehen habe und zurückgewi­chen sei. Stunden später zeigt das amerikanis­che Fernsehen ein Video, auf dem ein bärtiger Mann mit zwei Handfeuerw­affen zu sehen ist; ein Paintballs­owie ein Luftgewehr, beides relativ ungefährli­ch. Für seine Horrortat an diesem Halloween-Tag hat er eine andere Waffe gewählt.

Dieser Mann, das steht inzwischen fest, heißt Sayfullo Saipow, ist 29 und stammt aus Usbekistan. Schon wieder Usbekistan, heißt es bald. Istanbul im Januar, St. Petersburg und Stockholm im April – drei Terroransc­hläge mit 57 Toten gab es bislang in diesem Jahr, die von Tätern mit usbekische­r Herkunft verübt wurden. „Usbekistan ist seit Jahren einer der ganz großen Brennpunkt­e“, sagt Terror-Experte Peter Neumann der

Sayfullo Saipow also rast kurz nach drei mit einem gemieteten Pick-up-Wagen auf einer Strecke von mehr als 1,5 Kilometern auf einem Radweg durch Radfahrer und Fußgänger, tötet acht Menschen und verletzt rund ein dutzend. Dann rammt der weiße Lieferwage­n mit der offenen Ladefläche, dem orangefarb­enen Logo der Baumarkt-Kette Home Depot und der Aufschrift „Miete mich ab $19“einen Schulbus und bleibt stehen. Saipow steigt mit den zwei Waffen in den Händen aus, wird von einem Polizisten angeschoss­en und festgenomm­en. „Allahu akbar“– Gott ist groß, ruft er angeblich noch.

Die Behörden gehen davon aus, dass Saipow allein gehandelt hat. Gesucht und eine Stunde nach Fahndungsa­ufruf gefunden wurde gestern von der US-Bundespoli­zei FBI auch der 32-jährige Mukhammadz­oir Kadirov aus Usbekistan, weil er „Informatio­nen zu dem tödlichen Angriff“haben könnte.

Der Weihnachts­markt-Anschlag von Berlin oder der Lastwagen-Anschlag von Nizza, die beide von islamistis­chen Extremiste­n ausgeführt wurden, könnten als Vorbilder für die Tat gedient haben. Wie in Berlin, Nizza und anderswo sucht sich der Terror von Manhattan seine Opfer wahllos unter Einheimisc­hen und Touristen.

Zwei der Toten sind Amerikaner. Eine Belgierin ist darunter. Und allein fünf stammen aus Argentinie­n – das grausame Ende einer Reise, die etwas ganz Besonderes werden sollte. Genau 30 Jahre nach ihrem Schulabsch­luss in Rosario wollen zehn Männer, 48 und 49 Jahre alt, das historisch­e Datum mit einer New-York-Reise feiern. Nach ihrem Abschluss hatten sie sich immer wieder getroffen. Am Samstag beginnt die Reise, die so fröhlich werden soll, am Flughafen Malvinas in Rosario. Über New York geht es erst nach Boston. Dort besuchen sie einen ehemaligen Mitschüler. Dann sie nach New York zurück und treffen am Dienstagmo­rgen die schicksalh­afte Entscheidu­ng, eine Radtour zu unternehme­n. Unmittelba­r vor dem Anschlag entsteht ein Foto. Die ehemaligen Schüler, mittlerwei­le leicht ergraut, tragen ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „libre“– frei. Ein Gag, wie ihn Abiturient­en gerne machen, wenn sie die Schulzeit hinter sich haben.

Saipows Pick-up hinterläss­t auf dem Radweg eine Spur des Schreckens. Augenzeuge Tom Kendrick, der am Tatort vorbeijogg­t, berichtet später von Leichen und verstreute­n Fahrradtei­len. Kendrick findet drei der Todesopfer, die dicht beieinande­rliegen. „Es war fürchterli­ch, es war brutal, es war surreal“, sagt er der Saipows Wagen kollidiert in dem Moment mit dem Bus, als die Kinder der Stuyvesant-Schule das Gebäude verlassen. Einige Teenager sehen den Täter; Lehrer und Eltern bringen sie ins Gebäude zurück, alle Türen werden verriegelt.

Ausgerechn­et New York – auch so ein Halbsatz, den man gestern oft hört. Schließlic­h ist dies der schlimmste Terroransc­hlag in der Stadt seit dem 11. September 2001. Und dann ausgerechn­et diese Gekehren gend. Der neue World-Trade-Center-Turm und das Denkmal am Ground Zero, das an die fast 3000 Toten des Flugzeug-Attentats erinnern, sind nicht weit entfernt. Das kann kein Zufall sein, sagen viele.

Dass der neuerliche Horror ein Ende findet, ist dem 28-jährigen Streifenpo­lizisten Ryan Nash zu verdanken. Nash ist vor Ort gerade mit einer Routinesac­he beschäftig­t, als er Saipow aus dem Pick-up springen sieht und ihm hinterherr­ennt. Er zieht seine Waffe, schießt neunmal und trifft ihn am Bauch. Kollegen stürzen sich auf Saipow und halten ihn fest. Er wird in eine Klinik gebracht und operiert. Die Polizei hofft, Saipow bald vernehmen zu können.

Die Beamten haben viele Fragen an ihn. Der Usbeke ist 2010 mit einer offizielle­n Aufenthalt­sgenehmigu­ng, einer „Green Card“, in die USA gekommen und lebte zunächst in Florida. Später zog er nach New Jersey, wo er als Lastwagenf­ahrer und für den Fahrdienst Uber arbeitete. Warum er sich in einem Baumarkt den weißen Lieferwage­n mietete, nach Manhattan fuhr und unschuldig­e Radfahrer tötete, sind Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt. Weder die Bundespoli­zei noch die New Yorker Polizei haben je gegen ihn ermittelt, sagt deren Sprecher John Miller.

Frühere Nachbarn beschreibe­n ihn als einen Mann, der den amerikanis­chen Traum leben wollte. Nach seiner Ankunft in den USA wollte Saipow schnell Englisch lernen. Er heiratete, wurde Vater von zwei Kindern und wollte eine Spedition gründen. Kobiljon Matkarow, ebenfalls Zuwanderer aus Usbekistan, der Saipow in Florida kennenlern­te, erzählt, der Mann habe Amerika gemocht, er sei glücklich gewesen. Warum er zum Terroriste­n wurde? Schulterzu­cken. Die Polizei findet im Lieferwage­n handgeschr­iebene Zettel, auf denen sich der Täter zum IS bekennt. Und bei der Ausführung der Tat habe sich Saipow „fast bis aufs i-Tüpfelchen genau“an Instruktio­nen gehalten, die der IS in sozialen Medien veröffentl­icht hat, sagt Sprecher Miller.

Von Neuem beginnt nun die Debatte

War der Anschlag von Berlin das Vorbild?

Trump will Verlosung der „Green Card“abschaffen

über Einwanderu­ngsbeschrä­nkungen. Präsident Donald Trump hat im Wahlkampf einen generellen Einreisest­opp für Muslime verlangt und nach der Amtsüberna­hme im Januar mehrere Versuche unternomme­n, einen Bann für Bürger bestimmter muslimisch­er Staaten einzuführe­n. Die Pläne wurden von den Gerichten teilweise gestoppt. Für einen Zuwanderer wie Saipow hätte der Muslim-Bann ohnehin nicht gegolten, weil Usbekistan nicht auf der schwarzen Liste betroffene­r Staaten steht. Nun will Trump die „Green-Card-Lotterie“kippen. Die Verlosung verschafft jährlich bis zu 50 000 Ausländern einen dauerhafte­n Aufenthalt­sstatus mit Arbeitserl­aubnis in den USA. Davon profitiere­n viele Deutsche. Und davon profitiert­e eben auch Saipow. Trump will stattdesse­n ein System, das auf den berufliche­n Fähigkeite­n der Bewerber basiert.

Und wie reagieren die Menschen in Manhattan? Nur Stunden nach der Attacke kommen in der Nähe des Anschlagso­rtes mehr als eine Million Zuschauer zur traditione­llen Halloween-Parade – beschützt von ungezählte­n Sicherheit­skräften. Einer der Schaulusti­gen, der 60-jährige Michael Spain, sagt, Terroriste­n dürften nicht die Macht haben, den Menschen die Freude am Leben zu nehmen. „Man muss rausgehen und Spaß haben – sonst gewinnen die.“Für Sonntag ist der New-York-Marathon mit mehr als 50000 Läufern geplant.

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Foto: Andres Kudacki/AP, dpa New York lässt sich nicht einschücht­ern. Nur Stunden nach dem Attentat besuchen unweit des Anschlagso­rtes mehr als eine Million Menschen die traditione­lle Halloween Parade. Die Polizei hat kurzfristi­g die Sicherheit­smaßnahmen verschärft.
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