Donauwoerther Zeitung

Ein Richter der klaren Worte geht in Ruhestand

Helmut Beyschlag ist seit 35 Jahren am Amtsgerich­t in Nördlingen. Bald geht er in den Ruhestand – eine Bilanz

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Helmut Beyschlag – seit 35 Jahren Institutio­n am Amtsgerich­t Nördlingen – hört auf. Davor aber hat er noch viel zu erzählen.

Nördlingen Das hat Helmut Beyschlag schon oft erlebt. Der Direktor sitzt in einem Saal des Nördlinger Amtsgerich­ts. Es steht eine Verhandlun­g an, in der sich an diesem Nachmittag ein 60-Jähriger wegen eines Betrugs in Donauwörth verantwort­en muss. Aber der Anwalt verspätet sich. Warten. Alles Routine. Doch nach und nach füllen sich die Sitze in den Zuschauerr­eihen. Die Personen, die hereinkomm­en, kennt Beyschlag bestens. Es sind Kollegen: Richter sowie Mitarbeite­r aus der Verwaltung. Beyschlag ist etwas irritiert, aber auch sichtlich gerührt. Der zahlreiche juristisch­e Beistand hat seinen Grund: Es ist laut Sitzungspl­an die letzte Verhandlun­g, die der 65-Jährige leitet. Er geht Ende des Monats in den Ruhestand. Damit endet am Gericht eine Ära, wie es sie in Bayern kaum ein zweites Mal geben dürfte. Helmut Beyschlag war mit zwei kurzen Unterbrech­ungen insgesamt 35 Jahre Amtsrichte­r in Nördlingen, seit 2003 auch Direktor.

Wie viele Menschen hat er in dieser Zeit verurteilt oder freigespro­chen? Auf diese Frage weiß der Jurist keine Antwort. Es waren Tausende. Manchen davon kennt er persönlich. Beyschlag ist ein waschechte­r Nördlinger. Er wuchs in der Stadt auf, spielte beim dortigen TSV Fußball, ist inzwischen Vorsitzend­er des 2500-Mitglieder-Vereins, ist politisch aktiv, sitzt im Stadtrat sowie im Kreistag. Will man da überhaupt Richter in der eigenen Heimat sein? „Ursprüngli­ch war das nicht mein Plan“, sagt Beyschlag im Gespräch mit unserer Zeitung, „es hat sich so ergeben.“

Nach dem Jura-Studium in München und dem Staatsexam­en kam er 1990 im Alter von 28 Jahren als Richter zur Probe nach Nördlingen. Nach einem Jahr bei der Staatsanwa­ltschaft in Augsburg (1983/84) kehrte er erneut in die Riesmetrop­ole zurück. Man habe dort jemanden „gebraucht.“Die Richterste­lle ganz im Norden von Schwaben sei nicht so begehrt gewesen.

So hatte Beyschlag die Möglichkei­t, in der Heimat zu arbeiten, aber auch die manchmal unangenehm­e Pflicht, über Bekannte zu urteilen: „Ich hatte Fälle, in denen Fußballkam­eraden angeklagt waren.“Da galt es, die nötige Distanz und Objektivit­ät zu wahren: „Ich wurde nie wegen Befangenhe­it abgelehnt.“Er selbst habe nur ein paar ganz wenigen Verfahren abgegeben, wenn die zu groß war. In seiner Laufbahn war Beyschlag auf vielen Feldern tätig: als Familien-, Insolvenz-, Zivil- und Strafricht­er. Wobei letztere Funktion für ihn die „berufliche Erfüllung“gewesen sei. Dabei erwarb sich Helmut Beyschlag den Ruf, „dass ich nicht ein besonders milder Richter war.“

Dies erfülle ihn mit Stolz, denn es zeige, dass er „die Rechtsordn­ung mit Nachdruck durchgeset­zt“habe. Bei größeren Straftaten habe er darauf geachtet, dass diese entspreche­nd geahndet werden – auch mit Blick auf die Opfer. Die gerieten nämlich zu häufig aus dem Blickfeld: „Man muss auch sehen, wel- ches Leid verursacht wird.“Bei diesem Thema schlägt Beyschlag ernste und auch kritische Töne an: „Ich sehe so eine Tendenz, dass vor lauter Verständni­s und Annehmen von Ausnahmesi­tuationen die Verantwort­ung des Täters zu wenig gewichtet wird.“Gerade bei Gewalteska­lationen sei dies zu beobachten. Die Zahl der groben Delikte habe über die Jahre nicht zugenommen, sehr wohl aber die Qualität. Was zum Beispiel damit gemeint ist: Wenn ein Opfer am Boden liegt und trotzdem noch mit Füßen gegen den Kopf getreten wird.

Beyschlag will es auch nicht akzeptiere­n, dass übelste, menschenNä­he verachtend­e Beleidigun­gen juristisch eher als Bagatellen gewertet werden: „Das ist nicht mit 10 oder 20 Tagessätze­n abgetan.“

Der scheidende Amtsgerich­tschef kritisiert zudem, dass Gewalt- im Verhältnis zu Vermögensd­elikten tendenziel­l „zu niedrig geahndet werden.“Für Beyschlag ist es auch ein Unding, dass ein Verfahren gegen einen Ladendieb, der Ware im Wert von 100 Euro gestohlen hat, eingestell­t wird. „Ganz schlimm“sei das Verhalten mancher Autofahrer, die wegen eines Verstoßes ein Bußgeld zahlen sollen, aber alles abstreiten und durch alle Instanzen gehen. Was dem Direktor ebenfalls nicht gefällt: Richterkol­legen neigen in zweiter Instanz dazu, Haft- in Bewährungs­strafen umzuwandel­n. Hier fehlt nach Ansicht von Beyschlag bisweilen das richtige Augenmaß, gerade wenn eine Person bereits unter Bewährung stand und dann erneut straffälli­g wurde.

Dies bekommt in der letzten Verhandlun­g auch der 60-Jährige zu spüren, der in Donauwörth ein Zimmer mietete, obwohl er von vorneherei­n wusste, dass er die 260 Euro monatlich nicht aufbringen kann. 20 Vorstrafen hat der Mann seit den 1970er-Jahren gesammelt. „Sie haben angefangen, bevor ich bei Gericht war“, merkt Beyschlag an. Angesichts mehrerer offener Bewährunge­n „verbietet sich jeglicher Gedanke an eine Bewährungs­strafe.“Das Urteil: vier Monate Gefängnis.

Warum er sich für einen jungen Soldaten eingesetzt hat

Die Gründe dafür legt Beyschlag dem Betrüger mehrmals mit deutlichen Worten dar. Auch dafür ist der Richter bekannt. Der sieht folgenden Sinn dahinter: „Man muss versuchen, in einer klaren Sprache zu reden, damit die Rechtsprec­hung verstanden wird.“Juristende­utsch erreiche die Leute zu wenig.

Bei aller Konsequenz und Härte war Beyschlag nach eigenem Bekunden stets darum bemüht, bei weniger gravierend­en Straftaten „angemessen zu reagieren.“Der Richter erinnert sich da besonders an einen Fall aus seiner Anfangszei­t in Nördlingen. Ein Wehrdienst­leistender hatte bei einem Manöver in eisiger Kälte nachts seinen Wachposten verlassen – damals ein Vergehen, bei dem mindestens eine sechsmonat­ige Freiheitss­trafe drohte. Beyschlag erzählt, er habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit das Verfahren eingestell­t werde – „um dem jungen Mann den Makel einer Vorstrafe zu ersparen.“

Neben der angemessen­en Strafe sei es in manchen Prozessen besonders wichtig, die richtigen Worte zu finden, vor allem nach tödlichen Unfällen, die auch den Verursache­rn schweres Leid zufügen.

Insgesamt denke er schon, er habe seinen Beitrag geleistet, „dass die Gesellscha­ft funktionie­rt“, bilanziert Beyschlag. Offiziell verabschie­det wird er erst 2018, wenn ihm im Februar Dieter Hubel nachfolgt. Die endgültig letzte öffentlich­e (Rest-)Verhandlun­g Beyschlags steht noch aus, denn bei einem der Prozesse am Abschlusst­ag wurde ein Fortsetzun­gstermin nötig.

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Foto: Wolfgang Widemann Nach 35 Jahren als Richter in Nördlingen geht Helmut Beyschlag in den Ruhestand. Es war eine erfüllte Zeit, sagt der Richter. Der spart aber auch nicht mit kritischen Worten.

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