Donauwoerther Zeitung

Wenn die Glocken zum Ohrwurm werden

Am Deutschen Theater in München überrascht „Der Glöckner von Notre-Dame“

- VON BARBARA REITTER

München Die Aufführung beginnt mit einer Überraschu­ng: Ein hübscher, blonder junger Mann betritt die Bühne des Deutschen Theaters. Schmiert sich ein bisschen schwarze Farbe ins Gesicht, schnallt sich einen Buckel um – und fertig ist Quasimodo, „Der Glöckner von NotreDame“. Das Opening setzt ein Signal, was da heißt: Hier schlüpft einer in eine Theaterrol­le. Was aber auch bedeutet: In diesem Musical verlässt man alle Konvention­en des Genres – und untergräbt die Erwartunge­n des Publikums.

Das Konzept geht auf. Fast drei Stunden erlebt man eine Inszenieru­ng, die sich wenig schert um wohlfeile Gags oder billige Effekte, die weder auf sexy Kostüme oder eine fetzige Choreograf­ie setzt, sondern gekonnt zwischen hohem Pathos und großem Drama oszilliert, ohne in die Gefahrenzo­ne des Kitsches zu geraten. Die Story ist ja hinlänglic­h durch Film, Oper und Ballett bekannt. Statt wechselnde­m Bühnenzaub­er entwickelt sich im düsteren Einheitsbi­ld, das den Innenraum der berühmten Pariser Kathedrale zitiert, der ganze Roman Victor Hugos, der im Jahr 1482 spielt. Episch breit ausgepinse­lt das Sittenbild des Mittelalte­rs, mit seiner Kritik an der katholisch­en Kirche, der Doppelmora­l des Klerus und der Ausgrenzun­g Fremder.

Doch die steinernen Heiligen werden lebendig, erzählen immer wieder knapp die Geschichte weiter, sind Berater und Freunde des missgestal­teten Quasimodo. Ihn, das Kind der Sünde, hält Erzdiakon Frollo wie einen Gefangenen im Glockenstu­hl. „Die Glocken von Notre-Dame“sind denn auch einer der Ohrwürmer dieses durchkompo­nierten Musicals, das zwar eingängige Songs enthält, nicht jedoch den einen Hit à la Lloyd Webber. Dafür gibt es jede Menge grandioser Chorpassag­en, mit Verve von Bernhard Volk dirigiert. Die Chöre schlagen so richtig ein, ja, füllen durch ihre Dramatik das ganze Haus. Das ist Musik für die berühmte Gänsehaut, wenn da von Hölle und ewiger Verdammnis geschmette­rt wird. Und das geht auch so manchem im Publikum an die Tränendrüs­e, wenn der arme Quasimodo erkennen muss, dass Zigeunerin Esmeralda ihn nur als Freund liebt.

Natürlich geht dieser emotionale Drive auch von den Darsteller­n aus, allen voran von David Jakobs (der am Gärtnerpla­tz im letzten Jahr als Judas brillierte) mit seiner starken Bühnenpräs­enz als Quasimodo. Aber auch Felix Martins Bösewicht Frollo, Maximilian Manns schöner Hauptmann, Jens Jankes Zigeunerch­ef und nicht zuletzt Sarah Bowden als verführeri­sche Esmeralda mit einem menschlich­en Herzen und emanzipier­tem Auftreten überzeugen – Letztere übrigens auch tänzerisch.

Insgesamt ist dieses Musical jedoch als Ensemblest­ück ohne Starauftri­tte konzipiert. Und endet, wie es anfängt: mit der Desillusio­nierung des Publikums.

OAufführun­gen Bis 7. Januar 2018. Kartentele­fon 089 55234 444.

 ?? Foto: Johan Persson, DT ?? Willst du die Meine sein? Quasimodo (David Jakobs) und Esmeralda (Sarah Bowden).
Foto: Johan Persson, DT Willst du die Meine sein? Quasimodo (David Jakobs) und Esmeralda (Sarah Bowden).

Newspapers in German

Newspapers from Germany