Donauwoerther Zeitung

Wie dieser Mann Auschwitz überlebte

Noah Klieger war im Dritten Reich Insasse des Konzentrat­ionslagers. Am Gymnasium in Donauwörth spricht er über die Gräueltate­n der NS-Zeit, die er hautnah erfahren hat

- VON FABIAN KLUGE

Donauwörth Als Noah Klieger von Auschwitz zu erzählen beginnt, ist es still in der Aula des Donauwörth­er Gymnasiums. Gebannt blicken Schüler und Lehrer auf den 91-Jährigen, lauschen seinen nüchternen, aber drastische­n Worten. „Kein Jude kam nach Auschwitz, um zu leben. Wir sollten verrecken – ich sage bewusst verrecken, denn Menschen sterben nicht so.“

Im Alter von 16 Jahren kam Klieger im Januar 1943 ins Konzentrat­ionslager nach Auschwitz. Im Nachhinein sagt er über diese Zeit: „Wer überleben wollte, brauchte eine Masse an Wundern.“Ein solches ist ihm gleich nach der Ankunft im KZ widerfahre­n. Klieger musste sich mit 1500 anderen bei minus 25 Grad auf die Rampe stellen, da hätten drei SS-Offiziere gerufen: „Ihr kommt in ein zwölf Kilometer entferntes Lager. Alte, Kranke und Krüppel dürfen auf den Wagen, die anderen marschiere­n“, erinnert sich der Zeitzeuge.

Er und ein belgischer Freund sprangen auf den Wagen und trafen dort auf einen jungen SS-Mann aus dem ehemaligen Jugoslawie­n. Dieser zwang die beiden, wieder herabzuspr­ingen, entsichert­e sogar seine Maschinenp­istole. „Dieser Mann hat mir das Leben gerettet, denn der Lastwagen fuhr direkt in die Gaskammer.“

Immer wieder lacht Klieger, sagt über sich selbst, dass er ein lebenslust­iger Mensch sei – und ein gefragter noch dazu: Er hat zahlreiche Bücher verfasst („Zwölf Brötchen zum Frühstück“), ist Journalist, Publizist und war maßgeblich an der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 beteiligt. Zudem hielt er in diesem Jahr eine Rede vor der Vollversam­mlung der UNO, im Januar 2018 spricht er im spanischen Parlament in Madrid. Der 91-Jährige sieht das als seine Aufgabe an: „Ich habe mir vorgenomme­n: Sollte ich Auschwitz überleben, muss ich davon erzählen – nicht erklären, denn erklären kann man das nicht.“

Und deshalb erzählt Klieger weiter, von seinem zweiten, dem größten Wunder. Denn im KZ Auschwitz III-Monowitz gehörte der Zeitzeuge der Boxstaffel an, die dem KZ-Leiter Heinrich Schwarz Schaukämpf­e bot, weil dieser ein großer Fan des Sports war. „Ein SSOffizier fragte, wer Boxer sei. Vier haben sich gemeldet: zwei Niederländ­er – das waren Profis –, ein Torwart und ich. Ich war ein Straßensch­läger, aber kein Boxer. Bis heute weiß ich nicht, weshalb ich mich gemeldet habe. Es war ein Bauchgefüh­l“, berichtet Klieger.

In der Boxhalle am Ring angekommen, habe ein großer, breitschul­triger Häftling die vier Sportler mit den Worten empfangen: „Wehe euch, wenn ihr gelogen habt und keine Boxer seid, dann kommt ihr direkt in die Gaskammer.“Deshalb habe er sehen wollen, was Klieger und die anderen drei können. „Die beiden Niederländ­er haben sofort mit dem sogenannte­n Schattenbo­xen begonnen, worauf der Häftling meinte, dass er uns glaube, dass wir Boxer sind“, sagt der gebürtige Straßburge­r.

Klieger traf dort auf zwei Profis, sogar einen Weltmeiste­r. Diese hätten sofort erkannt, dass er kein Boxer sei. Deshalb erklärten sie sich bereit, den ersten Kampf mit ihm zu bestreiten. „Von meinen 22 Duellen in Auschwitz gewann ich kein einziges“, erinnert sich der Zeitzeuge und lacht wieder. KZ-Leiter Schwarz spendierte jedem seiner Boxer einen Liter Suppe täglich. „Das war richtige Suppe mit Kartoffeln und Fleisch. Diese sicherte mir das Überleben, denn sonst bekamen wir nur einen Liter Kaffee, eine kleine Brotration, ein Stück synthetisc­he Margarine und Schweinsrü­bensuppe. Am Sonntag gab es noch ein Stückchen Wurst und einen Löffel Marmelade.“

Als Auschwitz schließlic­h evakuiert wurde, weil die Sowjets kamen, war Klieger auch beim berüchtigt­en Todesmarsc­h dabei. „Wir waren noch circa 60000. Weniger als 19000 sind angekommen. Wir sind aus Auschwitz gekommen, aber wir wurden nicht befreit. Ich denke jeden Tag an Auschwitz. Das kann man nicht vergessen“, erzählt er.

Nach dem Vortrag applaudier­ten die Schüler sichtlich beeindruck­t. Schulleite­r Karl Auinger und Geschichts­lehrer Dr. Christian Schwab, die den Redner über die Hanns-Seidel-Stiftung engagierte­n, zeigten sich ebenfalls zufrieden. „Wir müssen die Erinnerung an die Verbrechen wachhalten“, stellte Auinger klar.

 ?? Foto: Fabian Kapfer ?? Noah Klieger erzählte in Donauwörth eineinhalb Stunden über seine Zeit als Insasse des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz. Dabei sprach er auch von einigen Wundern, die ihm das Leben gerettet haben.
Foto: Fabian Kapfer Noah Klieger erzählte in Donauwörth eineinhalb Stunden über seine Zeit als Insasse des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz. Dabei sprach er auch von einigen Wundern, die ihm das Leben gerettet haben.

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