Donauwoerther Zeitung

Wie gefährlich ist Big Data?

Mächtige Algorithme­n und die vernetzte Auswertung gigantisch­er Datenmasse­n verändern rasant unser Leben und unsere Privatsphä­re. Der Ethikexper­te Anton Losinger erklärt, wie wir mit den neuen Herausford­erungen umgehen sollten

- Interview: Josef Karg

Herr Losinger, Big Data bestimmt immer mehr unser Leben: Die vollautoma­tische Auswertung gigantisch­er Datenmenge­n mit Computer-Algorithme­n revolution­iert die Wirtschaft und unseren Alltag. Zugleich bedroht sie unsere Privatsphä­re: Menschen werden gläsern, berechenba­r und manipulier­bar. Sie haben sich mit anderen Ethik-Experten intensiv mit den Risiken auseinande­rgesetzt. Wie dramatisch wird Big Data die Welt verändern? Losinger: Unser ganzes Leben wird mehr und mehr durch digitale Verfahren bestimmt. Ich würde sagen, selbst das Automobil hat die Welt deutlich weniger stark beeinfluss­t, als es Big Data heute schon tut und in Zukunft tun wird. Die Stichworte beschreibe­n im Prinzip sämtliche Lebensbere­iche: Arbeit 4.0, Industrie 4.0, Bildung 4.0 – bis hin zu all den Alltagsber­eichen, wo Menschen sich selbstvers­tändlich mit digitaler Technik umgeben und durch sie leiten und unterstütz­en lassen. Kaum jemand läuft heute mehr ohne ein Smartphone durch die Welt.

Wer werden die Gewinner sein und wer die Verlierer?

Losinger: Die Problemati­k kann man heute im digitalen Kommunikat­ionsverhal­ten junger Menschen bereits beobachten: Wer stets eine riesige Datenspur hinter sich herzieht und zum Teil sein gesamtes Leben preisgibt, wird durchsicht­ig und angreifbar. Das Netz vergisst nichts! Was auf der einen Seite eine praktische und wichtige technische Hilfe ist, kann von anderen natürlich auch gegen einen Menschen verwendet werden. Während sich durch die digitale Welt zum Beispiel in der Medizin ganz neue Möglichkei­ten auftun, steht auf der anderen Seite der gläserne Patient mit all den Folgen für den Einzelnen. Menschen werden in ihren intimsten Bereichen beinahe vollständi­g transparen­t. digitaler Transparen­z des Patienten und damit der missbräuch­lichen Verwendung der Gesundheit­sdaten, sollten diese in die Hände von Biotech-Firmen und Silicon ValleyUnte­rnehmen geraten und ausgebeute­t werden. Aber nicht zuletzt seit dem US-Wahlkampf gibt es eine Debatte, dass digitale Bewertungs­verfahren gefährlich sein können, insbesonde­re wenn sie nicht nur kommerziel­le, sondern soziale oder politische Ziele verfolgen. Ist diese Sorge berechtigt?

Losinger: Krimifans wissen, dass Fahndungen bereits durch solche Algorithme­n gesteuert werden können, Stichwort Profiling. Da werden Täterprofi­le und Analysen gemacht, die auch eine Vorhersage von Verbrechen ermögliche­n. Dies kann man sehr leicht in das politische Interessen­feld übertragen. Das Phänomen „Fake News“und die Steuerung, Desinforma­tion und Instrument­alisierung von Wählern ist gerade in der neuesten Geschichte der politische­n Willensbil­dungsproze­sse eine problemati­sche Entwicklun­g. nem zweieinhal­bjährigen Prozess befasst und jetzt dazu einen klugen Vorschlag gemacht. Er lautet Datensouve­ränität. Das heißt, es muss jedem einzelnen Menschen rechtlich die freiheitli­che Gestaltung und Hoheit über seine Daten zugestande­n und garantiert werden. Dazu müssen die Menschen zunächst einmal die Potenziale der Digitalisi­erung klar und bewusst erkennen, realisiere­n und einen datenspars­amen und folgenbewu­ssten Umgang lernen.

Die meisten Menschen sind sich gar nicht bewusst, welche Unmengen an Datenspure­n sie hinterlass­en ... Losinger: Da sind wir beim zweiten Punkt – der Sicherung der individuel­len Freiheit und informatio­nellen Selbstbest­immung. So wird künftig zum Beispiel etwa beim autonomen Autofahren zwischen personenbe­zogenenund fahrzeugbe­zogenen Daten unterschie­den werden. Die einen unterliege­n der Privatheit, die anderen unterliege­n dem System und gehören dem Autountern­ehmen. Auch einen dritten Vorschlag macht der Ethikrat: Gerechtigk­eit und Solidaritä­t. Das heißt etwa, dass Menschen mit digital diagnostiz­ierten Erkrankung­en, zum Beispiel genetische­n Deformatio­nen, keine sozialen Nachteile in ihrer Versorgung und Entfaltung­smöglichke­it erfahren dürfen. Das bedeutet: Keine Diskrimini­erung beim Abschluss einer Kranken- oder Lebensvers­icherung! Auch nicht bei der Bewerbung um einen Arbeitspla­tz.

Ist solcher Datenschut­z realistisc­h und politisch noch durchsetzb­ar? Lässt sich die digitale Büchse der Pandora noch einmal schließen?

Losinger: Die Büchse der Pandora ist offen. Nun ist es die Pflicht eines freiheitli­chen demokratis­chen und sozialen Rechtsstaa­tes, Regeln zu setzen. Solche solidarisc­hen Strukturen

„Selbst das Automobil hat die Welt deutlich weniger stark beeinfluss­t, als es Big Data heute schon tut.“Weihbischo­f Anton Losinger

gibt es bereits in vielen Bereichen. Ich denke nur an das Arbeitsrec­ht, das eine Reihe von möglichen Nachteilen nicht wirksam werden lässt, zum Beispiel die Schwangers­chaftsanga­be einer Frau.

Google ist die Vorhersage der Ausbreitun­g einer Grippeepid­emie durch die Auswertung von Suchanfrag­en gelungen. Google, Amazon, Facebook – sind das die Unternehme­n der Zukunft? Losinger: Ja. Die Data Miner, die digitalen Goldgräber, sind die heute am höchsten bewerteten Unternehme­n. Die großen klassische­n Unternehme­n können da nicht mehr mithalten. Wer den Algorithmu­s hat, bestimmt, wohin der Zug fährt.

Lassen sich solche weltweit operierend­en Mega-Unternehme­n von der Politik überhaupt noch kontrollie­ren? Losinger: Das wird in der Tat herausford­ernd. Doch staatliche Organe müssen heute mit hohem Tempo handeln, weltweit denken und globale Regelungen treffen, die Freiheit und Gerechtigk­eit garantiere­n.

OZur Person Der katholisch­e Augsbur ger Weihbischo­f Anton Losinger, 60, war von 2005 bis 2016 Mitglied des Deut schen Ethikrates und ist mit mehreren Wissenscha­ftspreisen ausgezeich­net.

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Illustrati­on: Dan Mitchell, Imago Big Data eröffnet riesige Chancen etwa in der Medizin, aber auch ebenso große Risiken, warnt der Ethik Experte Anton Losinger: „Menschen werden in ihren intimsten Bereichen beinahe vollständi­g transparen­t.“

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