Frau Schwarzers Zwischenbilanz
Letzten Sonntag ist sie 75 geworden. Zeit für ein Gespräch über das Erreichte – und über aktuelle Probleme: von Frauen, Deutschland, dem Islam
Frau Schwarzer, als im Juli der Kölner Kardinal Meisner starb, haben Sie Ihre Freundschaft mit dem „schroffen, wortgewaltigen Schlesier“bekundet. Die Feministin und der konservative Kirchenmann – wie passt das zusammen?
Alice Schwarzer: Unsere Beziehung basierte auf Respekt – auch in den Unterschieden. Aber wir hatten auch etliches gemeinsam. Zum Beispiel den Kampf gegen die Akzeptanz der Prostitution. Und unser Verständnis von Menschenwürde.
Laut Ihrer Biografie „Lebenslauf“haben Ihre Großeltern Sie nicht religiös erzogen. Woran glauben Sie? Schwarzer: Für mich ist Glaube Privatsache.
Mit 75 scheint eine Zwischenbilanz des Erreichten angebracht. Wie fällt diese bei Ihnen aus?
Schwarzer: Ich freue mich besonders darüber, dass es mir immer gelungen ist, wirklich die Menschen zu erreichen. Es gibt viele Frauen und auch so manchen Mann, denen ich Mut machen und Impulse geben konnte. Wirklich stolz bin ich darauf, dass ich gegen alle Widerstände und ohne jegliche Unterstützung mit durchgehalten habe. Denn diese einzige wirklich unabhängige feministische Stimme hat Leben, Verhältnisse und Gesetze verändert und bei sehr vielen Themen das Schweigegebot der etablierten Presse gebrochen. Und „Emma“tut das weiterhin.
Wie können Sie Ihr Engagement für die „Bild“-Zeitung damit vereinbaren? Schwarzer: Im Gegensatz zu vielen Prominenten habe ich noch nie Werbung für „Bild“gemacht. Ich habe lediglich der Verwendung eines Fotos von mir bei einer Imagekampagne zugestimmt, bei der ich unter anderen neben Gandhi und Willy Brandt die einzige Frau war. Das ist zehn Jahre her.
Und Ihre Berichterstattung für „Bild“über den Kachelmann-Prozess 2010/11? Schwarzer: Darauf bin ich sogar stolz. Stolz, dass ich mich nicht einschüchtern ließ. Nicht alle Frauen, die wegen Vergewaltigung klagen, lügen. Doch der Mainstream der Medien, vor allem die linksliberalen, waren in dem Fall von Anfang an überzeugt, dass die Frau lügt. Ich war eine der wenigen, die sich gefragt haben, ob sie nicht vielleicht doch die Wahrheit sagt. Nach acht Monaten endete der Prozess mit genau diesem Urteil: Der Richter sprach Kachelmann wegen „Man- gels an Beweisen“frei; es sei möglich, dass Kachelmann die Wahrheit gesagt hat – oder auch die Klägerin. Deshalb forderte er die Medien auf, zu beachten, dass das Gericht die Wahrheit nicht hatte finden können. Die Medien hielten sich aber nicht daran. Sie verkündeten den Freispruch als 100-prozentige Reinwaschung des Angeklagten.
Wo sind – 40 Jahre nach der Gründung von „Emma“– die größten Baustellen in Sachen Gleichberechtigung? Schwarzer: Das sehen wir ja gerade mal wieder: 1. Die strukturelle sexuelle Gewalt gegen Frauen, die sie demütigt und oft bricht. 2. Die nicht ausreichende ökonomische Selbstständigkeit von Frauen. In Sachen Gender Gap, Einkommensunterschied, liegt Deutschland laut Weltwirtschaftsforum weltweit auf Platz 43, noch hinter Kamerun und Jamaika. 3. Der religiöse Fundamentalismus, der als Erste die Frauen im Visier hat. Ganz vorne an ist da zurzeit der politisierte Islam, und auch im Christentum gibt es solche fundamentalistischen Tendenzen.
Warum steht Deutschland in Sachen Gleichberechtigung nicht besser da? Sind wir ein frauenfeindliches Volk? Schwarzer: Deutschland hat zwar eine Kanzlerin, aber Deutschland hat auch eine Vergangenheit. Wir hatten keine Pionierinnen wie in Amerika und weniger weibliche Persönlichkeiten als zum Beispiel Frankreich. Wir sind die Töchter und Enkelinnen von Frauen, die von den Nazis zurück ins Haus geschickt wurden und bestenfalls aufs Mutterkreuz hoffen konnten. Das hinterlässt Spuren. Ob die deutschen Männer frauenfeindlicher sind als andere, weiß ich nicht. Die deutschen Frauen sind auf jeden Fall weniger kämpferisch als andere – das sehen wir ja jetzt auch bei der „#MeToo“-Bewegung.
Insbesondere seit der Kölner Silvesternacht 2015 warnen Sie vor einem politisierten Islam, der hierzulande unterschätzt werde. Spielen Sie damit nicht Kräften rechts außen in die Hände? Schwarzer: Ganz im Gegenteil. Wer das Problem leugnet, spielt den
Bedeutende Frauen wie Simone de Beauvoir oder Margarete Mitscherlich zählten zu Ihren Weggefährtinnen. Heute scheinen Humoristinnen wie Carolin Kebekus oder Anke Engelke mehr für die Frauenbewegung zu tun als manche „Intellektuelle“. Wie sehen Sie das?
Schwarzer: Dass Humoristinnen heute in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden als Intellektuelle, hat etwas mit dem Zeitgeist zu tun. Wenn die dann dennoch ebenfalls ihren Beitrag zur Emanzipation leisten, umso besser.
Was wünschen Sie sich in Sachen Engagement um Gleichberechtigung von den jungen Frauen von heute? Schwarzer: Ich hoffe, dass die jungen Frauen ihr Leben in die Hand nehmen. Dass sie ökonomisch eigenständig sind. Und dass sie sich über ihre eigene Befindlichkeit hinaus für die Welt interessieren.