„Der Papst kann auch irren“
Muss das Vaterunser geändert werden? Ist die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“schlecht übersetzt? Ein Theologie-Professor widerspricht Franziskus
Herr Professor Häfner, wundern Sie sich darüber, dass gerade intensiv über das Vaterunser diskutiert wird?
Gerd Häfner: Manch einer nimmt bereits seit Jahren Anstoß an der Formulierung „und führe uns nicht in Versuchung“. Die aktuelle Debatte darüber hat aber vor allem damit zu tun, dass Papst Franziskus recht medienwirksam ist und seine Äußerungen weltweit wahrgenommen werden. Wenn er dann auch noch etwas zum Grundgebet der Christen, dem Vaterunser, sagt… Fall des Vaterunsers geht. Das große Problem bereitet hier der Begriff „Versuchung“. Das griechische Wort, das dem zugrunde liegt, hat ein weites Bedeutungsspektrum. Es kann neutral „Prüfung“, „Erprobung“meinen – ohne böse Absicht. Es kann aber auch meinen, jemanden auf die Probe zu stellen – mit der Absicht, ihn zu Fall zu bringen. Wenn ich es so verstehe, würde also Gott mir Fallen stellen. Aber das ist im Vaterunser ganz gewiss nicht gemeint. Und insofern hat der Papst recht, wenn er sagt, dass Gott als Vater so etwas nicht tut.
Häfner: Die Bibel kennt eben den Gedanken, dass Gott auf die Probe stellt – letztlich, damit wir gestärkt aus einer Situation herauskommen. chung“abzuweichen, bedürfte es schon starker Argumente, denn grammatikalisch ist das Griechische eindeutig. Solche Argumente für eine Änderung sehe ich nicht.
Eine Leserin schrieb unserer Zeitung, sie bete: „Und führe uns in der Versuchung“oder auch „und führe uns durch die Versuchung“.
Häfner: So eine Übersetzung lässt der griechische Text aber nicht zu.
Wie verstehen Sie nun die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“? Häfner: Wer das Vaterunser betet, weiß, dass er schwach ist. Deshalb bittet er Gott darum, ihn vor Erprobungen, vor Prüfungen zu verschonen. Es geht nicht darum, Gott abzuhalten, irgendetwas Böses an einem zu vollziehen. Für mich ist diese Bitte ein Ausdruck des Gottvertrauens.
Seit wann beten wir das Vaterunser in Deutschland überhaupt in der Form, in der wir es heute tun?
Häfner: Seit 1971. Damals gab es leichte Änderungen am Text, in Absprache mit der evangelischen Kirche. Seitdem beten Katholiken und Protestanten denselben VaterunserText.
Häfner: Statt „Vater unser, der du bist im Himmel“heißt es seit 1971 „Vater unser im Himmel“. Oder „erlöse uns von dem Bösen“anstelle von „erlöse uns von dem Übel“. Bei diesen Anpassungen ging es eher um das Sprachgefühl, nicht um eine inhaltliche Änderung. suchung eintreten.“? Das wird seit kurzem in französischen Kirchen gebetet, wörtlich übersetzt.
Häfner: Ja, ich würde das als eine inhaltliche Änderung bezeichnen. Allerdings war die Formulierung in Frankreich zuvor relativ scharf. Dort hieß es „unterwirf uns nicht der Versuchung“. Dieses „unterwerfen“ist auch nicht sonderlich nahe am griechischen Originaltext.
„Nicht alles, was er sagt, ist als lehramtliche Äußerung zu verstehen.“Professor Gerd Häfner über Papst Franziskus
Muss auch in Deutschland bald das Vaterunser anders gebetet werden? Häfner: Nach meinem Eindruck wollen die deutschen katholischen Bischöfe die Passage nicht ändern. Wer sich von ihnen bislang äußerte, hat eine Änderung abgelehnt. Ich glaube auch nicht, dass die deutschen Bischöfe ein Interesse daran haben, das Vaterunser zu ändern. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich klar gegen eine Änderung ausgesprochen. Zumal man bei einer Änderung bedenken müsste, dass das Vaterunser die Konfessionen verbindet. Es wäre alles andere als ratsam, eine Änderung des Wortlautes ohne ökumenische Abstimmung vorzunehmen.
Der Theologe Franz Alt sagte, er sei überzeugt, dass „die Hälfte der Jesusworte, so wie sie in unseren Bibeln stehen, falsch übersetzt oder gar bewusste Fälschungen sind“.
Häfner: Da wüsste ich gerne, auf welcher Basis er das behauptet. Das halte ich für Sensationsmache. Gerd Häfner, 57, ist katho lischer Professor für Bib lische Einleitungswissen schaft an der Ludwig Maximilians Uni München.