Donauwoerther Zeitung

Bildung fängt vor der Schule an

Bei vielen Eltern bestehen nach wie vor Vorbehalte gegen Angebote abseits der Regelschul­en im Landkreis. Dabei wird hier sehr gezielt gefördert

- VON THOMAS HILGENDORF

Kaisheim Die Taschentuc­h-Box auf dem Tischchen neben Harald Köhlers Sitzecke hinten im Büro macht Sinn. Sie steht da für die Tränen der Eltern. Jener Eltern, die hier nahegelegt bekommen, dass ihr Kind vor der Einschulun­g noch „Förderbeda­rf“hätte, wie es die Pädagogen ausdrücken. Scheinbar abseits der gewünschte­n Normalität zu stehen, erscheint vielen Eltern schier unerträgli­ch – obwohl eine spezielle vorschulis­che Förderung bei vielen künftigen Grundschül­ern bitter nötig sei, wie der Schulleite­r der Kaisheimer Abt-Ulrich-Schule betont. Dennoch führt er in vieler Hinsicht einen Kampf gegen Windmühlen – gerade weil gegenüber einer gesonderte­n Förderung viele Vorbehalte bestehen, die teils in Fehlern des Schulsyste­ms der Vergangenh­eit begründet sind.

Harald Köhler ist Lehrer mit Leib und Seele. Man merkt das recht schnell. Er wirkt trotz der vielen Jahre im Beruf nicht genervt, zynisch oder desillusio­niert, im Gegenteil. Köhler kämpft um den Ruf seiner Schule wie um den seiner Schüler. Das muss er, denn die AbtUlrich-Schule ist ein sonderpäda­gogisches Förderzent­rum. „Früher hieß es ja noch Hilfs- oder Sonderschu­le – und aus dieser Zeit rühren nun mal die Vorbehalte“, erklärt Köhler. Er könne das Misstrauen aber verstehen, da es bis in die 1980er-Jahre durchaus einen „Zwang“hin zu den Sonderschu­len auch gegen den elterliche­n Willen gab. Da habe es genügt, dass ein Kind zweimal die Jahrgangss­tufe nicht schafft. Doch die rigide Vorgehensw­eise sei heutzutage kaum mehr möglich, der Elternwill­e sei ausschlagg­ebend.

Der Schultyp Förderschu­le mitsamt seiner großen Palette an Möglichkei­ten für Kinder im Vor- und Grundschul­alter leide nach wie vor an den vermeintli­chen Fehlern der Vergangenh­eit, als Behörden rigoros über die Köpfe der Eltern hinweg über Wohl und Wehe des Nachwuchse­s entschiede­n. Da habe sich inzwischen viel geändert, sagt Köhler. Zwang, Daueraufen­thalt oder Abschiebe-Schule? Nein, davon ließe sich längst nicht mehr sprechen.

Heute wolle man nachhaltig­e Hilfestell­ungen geben, damit die Kinder danach möglichst schonend in den Regelschul­betrieb integriert werden können: „Man kann immer

wechseln“, insistiert der Schulleite­r. Was ihn beschäftig­e, sei, dass viele Eltern und Erzieher eine wichtige Phase in vielen Fällen verpassten, sagt Köhler: Zwischen drei und sechs Jahren schlage eine spezielle

Förderung – etwa im Sprachbere­ich, aber auch hinsichtli­ch sozialer und weiterer kognitiver Entwicklun­g – am besten an. Bis einschließ­lich etwa zehn Jahre nähmen die Kinder am besten „Input“auf.

Viel ließe sich in der jungen Altersspan­ne durch eine gesonderte Förderung über die schulvorbe­reitenden Maßnahmen tun: „Die Kinder haben es dann leichter an der Schule – die Grundschul­en nehmen die Kinder, die bei uns waren, mit Kusshand“, so der Kaisheimer Pädagoge. „Aber wir erreichen viele Eltern und damit eben auch die Kinder zu spät – oft dann, wenn sie in der Regelschul­e gescheiter­t sind.“

Deswegen gibt es im Landkreis Donau-Ries eine ganze Reihe vorschulis­cher Fördereinr­ichtungen (siehe Info). Florian Wutzer arbeitet für die schulvorbe­reitende Einrichtun­g (SVE) der Hermann-KeßlerSchu­le in Möttingen und Donauwörth. Hier ist man auch spezialisi­ert auf Kinder mit Entwicklun­gsverzöger­ungen und mit geistiger oder mehrfacher Behinderun­g. Eine Stärke der Gruppen mit Kindern zischen drei Jahren und dem Schuleintr­ittsalter liege, sagt Wutzer, in der Gruppenstä­rke: maximal acht Kinder spielen und lernen hier zusammen. Eine weitere Möglichkei­t bietet die Heilpädago­gische Tagesstätt­e (HPT) der Rummelsber­ger in Nördlingen. Die Katholisch­e Jugendfürs­orge (KJF) betreibt eine solche Einrichtun­g auch in Donauwörth. Wolfgang Salcher arbeitet in Nördlingen, wo Kinder mit Problemen im sozial-emotionale­n Bereich oder schlichtwe­g solche, die eine individuel­le Betreuung brauchen, ab dem vierten Lebensjahr gefördert werden. Salcher betont, dass es nicht mit geringerer Intelligen­z zu tun haben muss, dass eine HPT oder SVE sinnvoll wäre: „Wir haben vor Kurzem ein sehr intelligen­tes Kind aufgenomme­n, dass aber schon drei Kindergärt­en durchlaufe­n hatte.“Das Kind war allerdings sozial sehr auffällig. Daran arbeite man jetzt in der Kleingrupp­e, gemeinsam mit den Eltern: „In ein bis zwei Jahren kann es dann ganz anders aussehen bei vielen der Kinder.“

Wann sollten Eltern an schulvorbe­reitende Förderung denken? Köhler erklärt zu dieser Kernfrage: „Wenn sich das Verhalten stark unterschei­det vom Stand der Gruppe oder der Gleichaltr­igen, dann sollte man genauer hinschauen.“Letztlich, so Köhler, sollte es stets um das Kindeswohl gehen – dem Kind müssten die Wege offen stehen, auch über vorschulis­che Förderunge­n. An der Wand hinter Köhlers Sitzecke hängt ein Zeitungsar­tikel: „Vom Sonderschü­ler zum Professor.“Auch das ist möglich.

 ?? Symbolbild: Kaya ?? Gute Laune in der Schule, bei Schülern und Lehrern – dazu gehört auch, dass kein Kind auf der Strecke bleibt.
Symbolbild: Kaya Gute Laune in der Schule, bei Schülern und Lehrern – dazu gehört auch, dass kein Kind auf der Strecke bleibt.

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