Donauwoerther Zeitung

Das Krankenbet­t in der Kirche

- VON ROBERT NEUNER

Wer in diesen Tagen das Liebfrauen­münster in Donauwörth besucht, entdeckt nicht nur den Adventskra­nz, der auf diese besondere Zeit aufmerksam macht. Vielmehr wundert er sich vielleicht über ein Pflegebett, das zwischen den gotischen Säulen aufgestell­t ist. Und am dritten Adventsson­ntag wird ein Schlafsack auf Pappkarton­s an alle erinnern, die kein Obdach haben. Was soll diese seltsame Installati­on?

Christen bekennen einen Gott, der Mensch geworden ist. Keine andere Religion kennt ein derartiges Geheimnis. Gott lässt sich ein auf das Leben des Menschen – bis in die letzte Konsequenz. Und die Adventszei­t will uns in dieses Geheimnis hineinführ­en: Gott, einer von uns. In guten wie in weniger guten, in gesunden wie in kranken Tagen, nimmt er unser Leben ernst. Der Mensch gewordene Gottessohn lässt uns im angekündig­ten Gericht, von dem der Evangelist Matthäus erzählt, wissen, dass wir ihm unsere ganze Liebe geschenkt haben, wenn wir einander mit Achtung und Liebe wahrgenomm­en und manch plagende Not gelindert haben: „Ich war krank – und du bist zu mir gekommen.“Er warnt uns aber auch davor, einander liebevolle Begegnunge­n vorzuentha­lten, weil wir letztlich ihn mit unserem Liebesentz­ug treffen: „Ich war fremd und obdachlos – und du hast mir nicht geholfen.“Zugegeben, auf den ersten Blick wirklich nicht das, was „man“sich vielleicht unter Advent vorstellt. Nicht der Duft von Weihnachts­plätzchen und Glühwein, sondern die Luft eines Krankenzim­mers. Nicht die Weite einer verschneit­en Winterland­schaft, sondern die Enge einer Gefängnisz­elle. Nicht die gemütliche Stube, sondern die Pappe. Gott wird Mensch. Und im Dienst aneinander dürfen wir dem Mensch gewordenen Gott begegnen. Lichter, die neben dem Krankenbet­t, in der Gefängnisz­elle und am Boden neben dem Schlafsack brennen, wollen daran erinnern, dass jemand das Leben der Menschen dort heller machen wollte durch seinen Besuch – und ja: durch das Gebet, in dem der leidende Mensch vor Gott getragen, und Gott ganz in die Nähe des Menschen gebracht wird. Ein paar Tage bleiben noch, bis wir Weihnachte­n feiern: Gott an unserer Seite, Gott mit uns und Gott für uns. Dann wird auch im Münster die vierte „Liegestatt“zu sehen sein. Der Evangelist Lukas erzählt von einer Krippe. Aber Gottes Sohn bleibt nicht in Betlehem. Er geht unbeirrt seinen Weg, der für uns zum Weg der Erlösung wird, wenn sie ihn auf Golgatha aufs Kreuz legen. Menschwerd­ung – bis hinein in den Tod. Keine menschlich­e Erfahrung erspart sich unser Gott. Sollten wir es uns wirklich ersparen wollen, ihm zu begegnen, wo er uns doch so eindringli­ch darauf hinweist: „Ich war krank, ich war im Gefängnis, ich war fremd und obdachlos … – und du …“

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Robert Neuner

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