Donauwoerther Zeitung

Wie Sigmar Gabriel seine Genossen in Rage bringt

Der Ex-SPD-Chef versucht, sich gegen Martin Schulz zu profiliere­n. Steht er schon auf dem Abstellgle­is?

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Sigmar Gabriel nervt. Er nervt vor allem seine Genossen in der SPD mit Querschläg­en. Die sind schon gut damit beschäftig­t, die Kehrtwende aus der Opposition zurück in eine schwarz-rote Koalition mit der Union zu meistern. Seine Einwürfe vom Wochenende, insbesonde­re die Aufforderu­ng, offen über Begriffe wie „Leitkultur“und „Heimat“zu diskutiere­n, passen gerade nicht ins Konzept. Zu lange, quengelt Gabriel, habe die SPD auf Themen wie Umwelt- und den Klimaschut­z gesetzt, zu wenig auf den Erhalt industriel­ler Arbeitsplä­tze geachtet. Das sagt ein ehemaliger Umweltmini­ster, der von 2009 bis Anfang 2017 die Partei geführt hat und ihren schleichen­den Niedergang nicht aufhalten konnte.

Vor allem die Linken in der SPD trifft er mit solchen Gedankensp­ielen, veröffentl­icht in einem Gastbeitra­g im Spiegel, ins Mark. „Der Begriff ,Leitkultur‘ ist Quatsch“, schmeißt ihm die frischgeba­ckene stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Natascha Kohnen aus Bayern entgegen. Sie ist eine der wenigen, die sich in diesen Tagen überhaupt äußern wollen. Die meisten versuchen, durch Nichtssage­n Ga- briel ins Leere laufen zu lassen, um dem Streit möglichst wenig Raum zu geben. Von Parteichef Martin Schulz heißt es gerüchtewe­ise, er habe mit Blick auf seinen Nachfolger nur gesagt, einige könnten das Wasser nicht halten. Doch Gabriels Sticheleie­n kommen auch aus der Position einer gewissen Stärke heraus. Seit bald einem Jahr ist der Niedersach­se aus Goslar nicht nur Bundesauße­nminister, ein Amt, das es fast schon automatisc­h mit sich bringt, im Deutschlan­dtrend zum beliebtest­en Politiker zu avancieren. Er ist auch fast genauso lang den unbequemen Posten des SPD-Vorsitzend­en los. Jetzt, so scheint es, bereut er zunehmend den mehr oder weniger freiwillig­en Verzicht auf Parteiführ­ung und Kanzlerkan­didatur zugunsten von Schulz. Wenn es für ihn ganz dicke kommt, verliert Gabriel vielleicht auch seinen Ministerpo­sten. Im zwölfköpfi­gen Sondierung­steam der SPD für die Anfang Januar beginnende­n Verhandlun­gen mit CDU und CSU über eine neue Regierung ist kein Platz für ihn – trotz seiner umfassende­n Erfahrunge­n im Umgang mit Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Diese Nichtbeach­tung Gabriels lässt Schlüsse darauf zu, wie tief das Zerwürfnis zwischen ihm und Schulz sein muss.

Die SPD wollte sich ursprüngli­ch in der Opposition von ihrem 20,5Prozent-Debakel bei der Bundestags­wahl regenerier­en. Stattdesse­n gehen die internen Streiterei­en weiter. Der nächste Aufschrei dürfte schon programmie­rt sein. Peer Steinbrück, 2013 noch streitbare­r Kanzlerkan­didat der SPD, hat ein Buch geschriebe­n, das Mitte März erscheinen wird. Der niederschm­etternde Titel: „Das Elend der Sozialdemo­kratie“. Er dürfte den Sozis einen Spiegel vorhalten und will ihnen eine Agenda für das 21. Jahrhunder­t skizzieren. Ob die zerrissen wirkende Partei dafür schon bereit ist, wird sich zeigen.

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Foto: dpa Sigmar Gabriel

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