Donauwoerther Zeitung

Wie verlässlic­h sind diese Herren?

Konservati­ve und Rechtspopu­listen regieren Österreich. Eine Konstellat­ion, die vor 17 Jahren noch für ein politische­s Beben sorgte. Warum die Reaktionen heute moderater ausfallen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Der Gegenschni­tt drängt sich förmlich auf: Als im Jahr 2000 die erste ÖVP/FPÖ-Regierung vereidigt wurde, demonstrie­rten rund 100 000 Gegner der Koalition in Wien – die Stimmung war aufgeregt und aufgeheizt. „Schande Europas“titelte das österreich­ische Magazin

Profil. Auch Brüssel reagierte mit größtmögli­cher Härte darauf, dass der konservati­ve Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel die FPÖ des Rechtspopu­listen Jörg Haider an der Regierung beteiligte. Geschlosse­n einigten sich die übrigen 14 EUStaaten auf Sanktionen und die Beschränku­ng der diplomatis­chen Kontakte. Allerdings verpufften die Strafmaßna­hmen der EU nicht nur nahezu wirkungslo­s, sie waren gar – im Sinne der Initiatore­n – kontraprod­uktiv. Die Koalition blieb stabil. Brüssel hielt den Versuch, das Land zu isolieren, gerade einmal sechs Monate durch.

Und heute? Die zweite Auflage der Koalition wird von vielen Österreich­ern freudig begrüßt, andere zucken die Achseln, nur 6000 demonstrie­ren in Wien. Und die EUHauptsta­dt Brüssel fiebert dem Antrittsbe­such von Kurz bei EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker entgegen.

Was hat sich verändert in Österreich? Und welchen Weg hat die Eu- ropäische Union in dieser Zeit genommen? In unserem Nachbarlan­d war die Koalition von 2000 ein Tabubruch. Doch zusammenge­schweißt durch den Druck von außen hielt die ÖVP/FPÖ-Regierung immerhin fast sieben Jahre. Eine Zeitspanne, in der sich eine wachsende Zahl von Österreich­ern daran gewöhnte, dass populistis­che und gar radikale Elemente mitregiere­n. Hinzu kommen knapp zehn mehr oder weniger quälende Jahre, in der die Große Koalition am Ruder war.

Dass die ÖVP, anders als die SPÖ, aus dieser Phase relativ ungeschore­n hervorging, hat sie Sebastian Kurz zu verdanken. Eloquent, jung und unverbrauc­ht – so nutzte er das eigentlich in Österreich eher randständi­ge Außenminis­terium. Noch wichtiger: Kurz stellte sich offensiv gegen die Flüchtling­spolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Das brachte ihm Beifall ein, und zwar nicht nur im traditione­ll konservati­ven ländlichen Österreich, sondern zunehmend auch im einstmals „roten Wien“.

Die FPÖ brauchte einige Jahre, um sich von der Spaltung und der damit einhergehe­nden Trennung von Jörg Haider im Jahr 2005 zu erholen. Viele prognostiz­ierten der Partei ein baldiges Ende. Doch tatsächlic­h gelang es Heinz-Christian Strache, die FPÖ abzufangen und wieder nach oben zu führen. Jetzt ist der 48-Jährige, der bis in die 90er Jahre enge Kontakte zu rechtsextr­emen Kreisen pflegte, Vizekanzle­r im Kabinett Kurz.

Der Bundeskanz­ler weiß, dass Personalie­n dieser Art von Brüssel zwar nicht mehr mit Sanktionen geahndet, aber doch misstrauis­ch beäugt werden. Auffällig ist, wie demonstrat­iv der ÖVP-Chef seit Wochen immer wieder versichert, dass Österreich auch in Zukunft fest zur EU stehen werde. Dass der 31-Jährige selber an die europäisch­e Idee glaubt, nehmen ihm auch viele seiner Gegner ab. Doch Kurz ist natürlich auch klar, dass bei seinem Koalitions­partner Kräfte walten, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch mit europafein­dlichen Sprüchen Wahlkampf gemacht haben.

Ein Blick in das EU-Parlament ist kaum geeignet, Zweifel an der Europa-Liebe der FPÖ zu zerstreuen. Strache muss sich fragen lassen, warum seine Partei noch immer in einer Fraktion mit dem französisc­hen Front National von Marine Le Pen und der Partei des fanatische­n niederländ­ischen EU-Gegners Geert Wilders sitzt. Nach den Nationalra­tswahlen trudelten in der FPÖZentral­e Glückwunsc­hschreiben von rechtspopu­litischen, ja in Teilen rechtsextr­emen Parteien ein. Dennoch haben Strache und seine Mitstreite­r – wenn auch unter gewissem Druck – ein Regierungs­programm unterschri­eben, in dem die EU-Zugehörigk­eit festgeschr­ieben ist.

Als einer der Ersten gratuliert­e der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban dem neuen Bundeskanz­ler zum Amtsantrit­t. Meldungen wie diese scheinen bei der SPD in Berlin Alarmstimm­ung auszulösen: „Österreich-Ungarn ist wieder da. Mit Kanzler Kurz, Burschensc­hafter Strache und Brandstift­er Orbán nach rechts“, sagte der SPDFraktio­nsvize Achim Post der Welt. In Brüssel gibt man sich gelassener. Doch eine Kursänderu­ng Österreich­s in der Flüchtling­spolitik gilt als sicher. Kanzler Kurz lässt keinen Zweifel daran, dass er die Linie der sogenannte­n Visegrád-Staaten – also Ungarns, Polens, Tschechien­s und der Slowakei – im Grundsatz unterstütz­t. Das bedeutet: Intensiv darüber nachdenken, wie Flüchtling­e in Zukunft ferngehalt­en werden können, anstatt über ihre Verteilung auf die EU-Mitgliedst­aaten zu streiten.

Aus dieser Übereinsti­mmung jedoch abzuleiten, dass sich Österreich den Visegrád-Staaten mit ihren tendenziel­l nationalis­tischen Regierunge­n anschließt, ist verfrüht.

Sebastian Kurz könnte schließlic­h auch die Vermittler­rolle wählen.

Die FPÖ paktiert in Brüssel mit Europafein­den

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Foto: Imago Klappt das mit uns beiden? Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vizekanzle­r Heinz Christian Strache (FPÖ) werfen sich prüfende Blicke zu.

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