Donauwoerther Zeitung

Ein Riss zieht sich über den Breitschei­dplatz

Beim Gedenken an das islamistis­che Attentat in Berlin geht es noch immer um die Frage: Wie konnte das passieren?

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Das Kinderkaru­ssell auf dem Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz steht still, die Bratwursts­tände und Glühweinbu­den sind geschlosse­n. Auf Hausdächer­n stehen Scharfschü­tzen. Im Herzen Berlins herrscht an diesem grauen, nasskalten Vormittag eine fast gespenstis­che Stille. Ein gewaltiges Polizeiauf­gebot hat den Bereich rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis­Kirche weiträumig abgesperrt. Hinter den Gittern gedenken Hinterblie­bene, Betroffene und Politiker der Opfer des Anschlags auf den Berliner Weihnachts­markt vor einem Jahr.

Der tunesische Islamist Anis Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen über das belebte Budendorf auf dem Breitschei­dplatz gerast, hatte elf Menschen getötet und rund 70 weitere teils schwerst verletzt. Zuvor hatte Amri den polnischen Lastwagenf­ahrer erschossen. Dem Terroriste­n gelang zunächst die Flucht, einige Tage darauf wurde er von einem italienisc­hen Polizisten in Mailand getötet. In der Folge kamen zahlreiche Versäumnis­se der Behörden im Umgang mit dem längst als islamistis­chen Gefährder und Schwerkrim­inellen bekannten Amri ans Licht. Auch der erste Jahrestag des Attentats steht im Zeichen der längst noch nicht abgeschlos­senen Aufarbeitu­ng des Falls. Bei der unter Ausschluss der Öffentlich­keit abgehalten­en interrelig­iösen Gedenkfeie­r sagt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier: „Die Politik darf nicht zu eilfertig sagen, dass es in unserer offenen Gesellscha­ft keine vollkommen­e Sicherheit geben kann, so richtig diese Erkenntnis auch ist. Wir müssen zuerst ausspreche­n und anerkennen, wo vermeidbar­e Fehler geschehen sind.“Die Haltung der Politik müsse vielmehr sein: „Dieser Anschlag hätte nie passieren dürfen.“

Für Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ist es „ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, besser zu machen“. Bundesregi­erung und Sicherheit­sbehörden waren auch für den Umgang mit Betroffene­n und Angehörige­n scharf kritisiert worden. Die Opfer seien weder ausreichen­d finanziell unterstütz­t worden, noch habe die Kanzlerin ihnen persönlich ihr Mitgefühl ausgedrück­t, hieß es kürzlich in einem offenen Brief. Am Montag hatte Merkel dann Hinterblie­bene und Verletzte im Kanzleramt getroffen. Am Rande der Gedenkfeie­r sagt sie, es sei ein offenes, „auch vonseiten der Menschen, die betroffen sind, sehr schonungsl­oses Gespräch“gewesen. Das Treffen habe deutlich gemacht, „welche Schwächen unser Staat in so einer Situation auch gezeigt hat“. Sie kündigt ein weiteres Treffen in einigen Monaten an. Dabei solle es dann um folgende Fragen gehen: „Was haben wir gelernt? Was werden wir in Zukunft anders machen?“

An das schlimmste islamistis­che Attentat auf deutschem Boden erinnert künftig ein 17 Meter langer, mit goldfarben­em Metall gefüllter Riss, der sich über den Breitschei­dplatz zieht. In steinerne Stufen sind die Namen der zwölf Todesopfer aus sechs Nationen eingravier­t. Unzählige weiße Rosen schmücken die Gedenkstät­te im Schatten des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Turms der Gedächtnis­kirche. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller ist der einzige Redner: „Ein Riss symbolisie­rt die Wunden, die der Anschlag geschlagen hat. Aber wir wollen den Riss, der durch unsere Gesellscha­ften geht, überwinden“, sagt er. Für die Angehörige­n ist es ein schwerer Gang an diesem Tag. Bundespräs­ident Steinmeier: „Für Sie, das wissen wir alle, ist eben seit einem Jahr nichts mehr so, wie es einmal war.“

Für Unmut sorgte im Vorfeld der Gedenkfeie­r ein weiterer Fall mangelnden Fingerspit­zengefühls in

Angehörige sollen kostengüns­tig anreisen

Berliner Amtsstuben. Der durchaus einfühlsam­en Einladung des Berliner Bürgermeis­ters Michael Müller sind umfangreic­he Informatio­nen zur Erstattung der Reisekoste­n beigelegt. Darin wird etwa ausgeführt, dass Verletzte oder Hinterblie­bene nur mit dem preisgünst­igsten Verkehrsmi­ttel anreisen und keinesfall­s mit der Erstattung von Taxikosten rechnen dürfen. Betroffene sehen das Schreiben als weiteren Schlag ins Gesicht.

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Foto: Getty Images Dieser Riss erinnert an das Attentat vor einem Jahr.

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