Hört auf diese Familie!
Thomas Mann und die Seinen, das ist der berühmteste deutsche Literaten-Clan des 20. Jahrhunderts. Nun kommen neben dem „Zauberer“auch weitere Stimmen zu Wort
Berlin Wenn sich spätere Generationen ein Bild von den geistigen und politischen Wirrnissen im 20. Jahrhundert aus deutscher Sicht machen wollen, werden sie in den Werken, Aktivitäten und Erlebnissen von Thomas Mann und seiner umtriebigen Familie, einem „Jahrhundertclan“, fündig werden. Das gilt nicht nur für die schriftlich überlieferten Zeugnisse wie die großen Romane, Erzählungen und gesellschaftspolitisch engagierten Essays und Vorträge, sondern auch für zahlreiche erhaltene Originaltondokumente, die jetzt in einer neuen umfangreichen Hörbuchedition. Sie ergänzt und erweitert schon früher dazu veröffentlichte Hörbücher.
Der Literaturnobelpreisträger und Autor der „Buddenbrooks“hatte sich schwergetan damit, sein Vaterland 1933 auf Dauer zu verlassen, war er doch in der deutschen Sprache und Kultur zu stark verwurzelt. Seine Bücher seien „verzweifelt deutsch“, meinte er einmal. Und auch im Ausland habe er „als Deutscher zu den Deutschen gesprochen“. Thomas Mann wird zu einem der prominentesten deutschen Hitler-Gegner im Ausland, was ihn selbst noch im Nachkriegsdeutschland nicht nur Freunde machen wird. Seine unermüdlichen Appelle an die „Deutschen Hörer!“über die sind auch in dieser Hörbuch-Edition in Ausschnitten enthalten (es gibt sie in einer eigenen Edition). „Kann ein Volk tiefer sinken?“, lautete damals seine anklagende Frage an seine Landsleute.
Später beklagte Thomas Mann im Goethe-Jahr 1949 den „deutlichen Widerspruch zwischen kulturellem Rang und politischer Misere“der Deutschen, unter dem schon Goethe gelitten habe. In der hier auch dokumentierten Rede in der Frankfurter Paulskirche warnte Mann vor dem Hang der Deutschen zum „nationalen Rausch“und meinte, dass Bildung „erst mit der Kenntnis und Eroberung der fremden Sprache, Kultur und Geistesformen beginnt“. Und in seinem Vortrag im selben Jahr über „Goethe und die Demokratie“erinnerte Mann an die Warnungen des 78-jährigen Goethe im Gespräch mit Eckermann vor einem „pedantischen Dünkel“der Deutschen, wenn sie „nicht aus den engen Kreisen unserer eigenen Umgebung hinausblicken“. Er selbst sehe sich gerne bei fremden Nationen um und rate es jedem, es auch seinerseits zu tun.
Was die neue Edition besonders interessant macht, sind die zusammengetragenen Originaltondokumente auch der anderen Familienmitglieder wie Ehefrau Katia und die Kinder wie Erika, Klaus und Golo Mann. Vom Thomas-MannBruder Heinrich Mann sind laut Herausgeber (Robert Galitz und Kurt Kreiler) keine Tondokumente überliefert. Katia Mann erzählt, dass ihr Gatte in der Familie ihrer Mutter manchmal spöttisch der „leberleidende Rittmeister“genannt wurde, weil er „so blässlich und schmal“gewesen sei. Wenn das Familienoberhaupt einmal vermeintlich ironisch über den Mann-Familienclan bemerkte, „wir sind schon eine erlauchte Versammlung, aber einen Knacks hat jeder“, dann mag er selbst auch einen gewichtigen Anteil daran gehabt haben, wenn man etwa die Erzählungen über die zeitweise „bedrückende Atmosphäre“im Elternhaus von Golo Mann hört. „Gespielt hat er nicht mit uns“, sagte der spätere Historiker über seinen Vater und die Kindheit. „Er war in sich versunken, ich war ungern mit ihm alleine…“
Die Ehefrau und Mutter sei für den Schriftsteller „völlig unentbehrlich“gewesen. Die Tochter Erika wiederum war für den Literaturnobelpreisträger, der nur mühsam die englische Sprache erlernte, im amerikanischen Exil unentbehrlich. Sie half bei Übersetzungen und begleitete ihren Vater auf seinen zahlreichen Vortragsreisen, bei denen er die Amerikaner von der Notwendigkeit des Krieges gegen Hitler-Deutschland überzeugen wollte. „Der Krieg gegen Japan leuchtete ihnen ein“, erinnerte sich Erika Mann, „der gegen NaziDeutschland weniger, das war besonders bei den Leuten auf dem Land so, in den kleinen, verlorenen Städten des Mittleren Westens.“Es sei schwierig gewesen, ihnen zu erklären, „was Hitlers Eroberungszüge letztendlich für die Welt bedeuten können“.
Sein letztes Lebensjahr sei für Thomas Mann sein „Erntejahr“gewesen, meinte Erika Mann. „Es brachte für ihn endlich, jedenfalls weitgehend, ein Ende der Anfeindungen, die Versöhnung mit Deutschland und sogar die überfällige Versöhnung mit der Vaterstadt Lübeck, die ihm ja gram gewesen war schon wegen der ,Buddenbrooks‘“, meint die Tochter. Oder, um im übertragenen Sinne mit Tucholsky zu sprechen, „halb Lübeck saß auf dem Sofa und war beleidigt“.
»Der Kreis des Zauberers. Thomas Mann und Familie. Gesammelte Ton und Filmdokumente. Hörverlag, 17 CDs, 1 DVD