Donauwoerther Zeitung

Andy P. ist tief gefallen – und wieder aufgestand­en

Ein junger Unternehme­r verlor aus dem Auge, was rechtschaf­fen ist. Er wurde kriminell und geriet in einen Strudel aus illegalen Machenscha­ften. Dann musste er ins Gefängnis und wurde dort ein neuer Mensch

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Kaisheim Es war ein sorgloses, ein privilegie­rtes Leben, das Andy P. (Name der Redaktion bekannt) bis zum 6. November 2008 geführt hat. Als Chef eines gut gehenden mittelstän­dischen Dachdecker-Unternehme­ns mit 35 Angestellt­en, als Familienva­ter mit Frau und drei Kindern fehlte es dem damals 27-Jährigen an nichts. Berufliche­r Erfolg, privates Glück, materielle Sicherheit, großes Haus, teures Auto, gesellscha­ftlicher Status – er hatte viel erreicht für seine jungen Jahre. Doch jener

6. November 2008 brachte die Wende – eine von Andy P. selbst provoziert­e Wende. Er hatte sein Glück mutwillig aufs Spiel gesetzt und verloren. Und er stürzte letztlich ganz tief ab, landete in einem Strudel aus Gleichgült­igkeit, Haltlosigk­eit und Skrupellos­igkeit, der ihn bis ins Gefängnis zog. Wie er wieder herausfand, wie sein Weg zurück verlief – das erzählt diese Geschichte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der den Mut nicht verloren hat und anderen jetzt damit Mut machen will.

Zurück zu jenem schicksalh­aften

6. November 2008: Denn als damals 42 Beamte der Steuerfahn­dung plötzlich vor seiner Tür standen, nahm sein Leben diesen dramatisch anderen Verlauf. „Sie hatten einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss dabei, stellten alle Büro- und Privaträum­e auf den Kopf, nahmen Akten mit, froren meine Konten ein und letztlich musste ich die Firma dichtmache­n.“Wenn Andy P. heute von diesem Einschnitt in seinem Leben erzählt, klingt es ganz sachlich. Kein Unterton von Selbstmitl­eid schwingt da mit, kein Versuch, die Schuld von sich abzuwälzen. Im Gegenteil weiß er sehr gut um sein Versagen: „Ja, klar, ich hab’ Mist gebaut. Ich hab’ schwarzgea­rbeitet. Hab’ nur etwa ein Drittel der Aufträge ordnungsge­mäß abgerechne­t und dafür Steuern bezahlt, zwei Drittel liefen unter der Hand.“2,8 Millionen Euro, so hat die Staatsanwa­ltschaft damals ermittelt, hatte Andy P. insgesamt an Steuern hinterzoge­n.

Anonyme Anzeigen brachten die Polizei auf seine Spur und damit den Fall ins Rollen, der Andy P. sein Glück kostete. Seine Frau verließ ihn und sorgte dafür, dass die Kinder zunächst keinen Kontakt zum Vater hatten. Gesellscha­ftlich war der an seinen eigenen Machenscha­ften gescheiter­te Unternehme­r erledigt. Familie und Freunde waren enttäuscht. Da ihm die Untersuchu­ngshaft erspart blieb, hatte Andy P. bis zum Prozessbeg­inn jede Menge freie Zeit zur Verfügung. Er nutzte sie für allen möglichen Unsinn – und für weitere kriminelle Machenscha­ften. „Zu diesem Zeitpunkt war mir alles egal“, erinnert er sich. „Ich hab’ keine Minute lang daran gedacht, dass ich alles noch schlimmer machen kann.“Er tat sich mit zwei „guten“Bekannten zusammen und verlegte sich auf weitere Betrugsmas­chen, allesamt im steuerrech­tlichen Bereich. Sie flogen nach Mallorca, mieteten sich dort in einer sündhaft teuren Finca ein und machten ihr Geld auf illegale Weise. „Wir haben nach dem Motto gelebt: Was kostet die Welt?“, schildert Andy P. schonungsl­os. „Ich war total aus der Spur und hab’ den eigentlich­en Sinn des Lebens aus dem Auge verloren. In meiner Welt damals hat es nur noch Party und Geld gegeben. Auf Malle hab ich noch mal so etwa eine Million durch Betrug verdient und hab’ das Geld versoffen und auf den Kopf gehauen.“Seine Eltern, sein Anwalt waren machtlos.

Am 9. Januar 2011 hatte er genug von alldem. Der Rausch war vorüber, die Realität holte ihn ein. Andy P. flog nach Deutschlan­d und stellte sich dem Richter. Im April fand sein Prozess statt, an dessen Ende er zu einer Freiheitss­trafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Zu viel, wie er fand. Er legte Berufung ein und flog erneut nach Mallorca. Als er im September 2011 zu seiner Berufungsv­erhandlung zurückkam, hatte er es sich anders überlegt und zog den Einspruch gegen die Gefängniss­trafe zurück. Er wollte sich ohne Wenn und Aber zu seiner Verantwort­ung bekennen. Und so stand er schließlic­h am 9. Januar 2012 vor der JVA Kaisheim, um durch das Gefängnist­or in eine andere Welt zu treten, in eine Parallelwe­lt jenseits der Freiheit.

Ein Schlüssele­rlebnis für seine Kehrtwende war ein letzter Besuch im Hallenbad drei Tage zuvor mit seinen drei Kindern. „Meine damals achtjährig­e Tochter hat mich dabei gefragt: ‚Papa, warum musst du ins Gefängnis?‘. Und als ich ihr erklärt habe, dass ich Leute um Geld beschissen habe, bin ich mir so mies vorgekomme­n, dass ich mir geschworen hab’, ihr zu zeigen, dass ihr Papa kein schlechter Mensch ist.“

Sein Ziel war es, im Gefängnis eine Ausbildung zu machen. Und so klemmte sich Andy P. mit allem Ehrgeiz, mit aller Disziplin dahinter, als Maler und Lackierer erfolg- reich zu werden. „Man muss sich mit den Gegebenhei­ten arrangiere­n und man muss etwas Sinnvolles machen, dann vergeht auch die Zeit“, sagt er. Er wollte es allen beweisen und nahm alle Angebote in der JVA wahr, um ein Erfolgsfal­l zu sein. „Ich wurde vom Personal der JVA, von der Anstaltsle­itung voll unterstütz­t“, ist er heute noch dankbar für die Chance, die ihm hinter vergittert­en Fenstern geboten wurde. „Meine beiden Malerchefs haben mich unterstütz­t, wo es nur ging, und auch sonst haben die JVA-Angestellt­en alles getan, mir zu helfen.“Vier Jahre und drei Monate hat Andy P. letztlich abgesessen.

Eine Zeit, auf die er heute mit positiven Gefühlen blickt: „Irgendwie war es sogar das Beste, was mir passieren konnte, denn ich hätte draußen nie meinen Meister gemacht.“Als Häftling allerdings hat er das – und zwar als Jahrgangsb­ester. „Ich hab’ es ausgehalte­n, eingesperr­t zu sein, denn ich hatte ja mein großes Ziel vor Augen. Ich bin dort hinter Mauern und Stacheldra­ht gereift.“

Am 22. März 2016 hat Andy P., jetzt 36, seine Zelle räumen und seinen Aufsehern und Ausbildern „Adieu“sagen dürfen. Diesmal hat sich das Gefängnist­or so hinter ihm geschlosse­n, dass vor ihm die Freiheit lag. Eine Freiheit, mit der er umzugehen versteht. „Ich meide alle Situatione­n, die für mich gefährlich werden könnten, alle Freunde von damals, die ein schlechter Umgang für mich waren.“

Eine Arbeitsste­lle zu finden, war nicht schwer. Andy P. hat bei seiner Bewerbung die Karten offen auf den Tisch gelegt und seine Chance bekommen. Auch zu seinen Kindern baut er behutsam wieder eine Beziehung auf. Seine Eltern haben ohnehin immer hinter ihm gestanden.

Alles in allem ist Andy P. heute ein zufriedene­r Mensch. „Es war eine schmerzhaf­te Zeit im Gefängnis, aber ich habe dort mehr bekommen als verloren“, sagt er. „Von der JVA-Leitung und den Vollzugsbe­amten hab’ ich den allerbeste­n Eindruck und ich möchte mit meinem Beispiel anderen Gefangenen zeigen: Alles ist möglich! Natürlich gehen solche Jahre nicht spurlos an einem vorbei, aber die Zeit heilt Wunden. Oder, wie meine Oma immer gesagt hat: Man kann fallen – aber man muss wieder aufstehen...“

 ?? Foto: B. Würmseher ?? Andy P. ist heute nur noch ein zufälliger Spaziergän­ger, wenn er an der JVA Kaisheim vorbeigeht. Über vier Jahre lang war das Gefängnis sein Zuhause.
Foto: B. Würmseher Andy P. ist heute nur noch ein zufälliger Spaziergän­ger, wenn er an der JVA Kaisheim vorbeigeht. Über vier Jahre lang war das Gefängnis sein Zuhause.

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