Keine strengeren Regeln bitte
Für Geschäftsleute ist es wohl eine Katastrophe, den verkaufsoffenen Sonntag an Markttagen zu kippen. Für die Kämpfer der Arbeitnehmer-Interessen sicher ein Grund, zu frohlocken. Für die Kirchen, die Sonntagsruhe und kommerzfreie Zeit ebenso befürworten, eine Genugtuung. Und für Kunden, die die Gelegenheit zum Bummel nutzen, weil ihnen vielleicht die Zeit unter der Woche dazu fehlt, einfach nur bedauerlich.
Der verkaufsoffene Sonntag hat viele Gesichter. Er ist deshalb auch weder grundsätzlich falsch, noch richtig. Allerdings halten seine Gegner an Idealen fest oder haben Begleitumstände in Erinnerung, die aus längst vergangenen Zeiten stammen. Zeiten etwa, in denen der Sonntag den Kirchgängern und den Familien vorbehalten war. Auch Zeiten, in denen es keine Feiertagsvergütung und keinen Freizeitausgleich für Arbeitende gab. Unsere Gesellschaft hat sich aber in den vergangenen Jahrzehnten immens gewandelt – ob wir das nun gutheißen oder verdammen. Zudem existieren zunehmend Berufszweige, für die Sonntagsdienste ohnehin ganz selbstverständliche Pflicht sind. Es gibt den Sonntag also nicht mehr in der Form wie früher. Aber was heißt schon früher?
Im 19. Jahrhundert hatten Läden in aller Regel zwischen 5 und 23 Uhr geöffnet. Das erste Ladenschlussgesetz im Deutschen Reich stammt von 1900 und beschränkte die Verkaufszeiten auf die Zeit zwischen 5 und 21 Uhr an Werktagen – mit großzügigen Sonderregelungen. Ab 1919 galt dann die Sonntagsruhe und werktags 7 bis 19 Uhr. 1956 wurde in Deutschland das „Gesetz über den Ladenschluss“verabschiedet, das seither nur geringfügig modifiziert wurde, und den Sonntag grundsätzlich für verkaufsfrei erklärt. In Bayern gilt es noch heute.
Die Geschichte lehrt also, dass Verkaufszeiten schon mal wesentlich großzügiger gehandhabt wurden. Ehe man künftig die Schrauben noch fester anzieht, wäre es eine Haltung, die allen gerecht wird, den Istzustand als Kompromiss anzuerkennen: deutlich weniger Spielraum als im 19. Jahrhundert, aber mehr, als das strikte Ziel von Verdi vorsieht.