Das Ende eines Traums: Richard Freitag stürzt in Innsbruck
Nach seinem Sturz in Innsbruck ist der Traum vom Gesamtsieg ausgeträumt. Noch ist nicht sicher, ob der 26-Jährige beim Abschluss-Springen am Samstag in Bischofshofen antreten kann. Kamil Stoch gewinnt erneut
Innsbruck Da liegt Richard Freitag. Im Schnee. Auf dem Rücken. Und rührt sich für einige Augenblicke nicht. Schrecksekunden. Auf dem Flugweg – bizarrerweise mit Blick auf die Basilika Wilten und den Friedhof – hatten sich die Skienden bei der Landung gekreuzt, es reißt ihm vor 16 300 Zuschauern das rechte Bein weg. Freitag stürzt. Kleiner Fehler, große Auswirkung oder: Das abrupte Ende seiner Träume vom Tournee-Gewinn. Ausgerechnet an jener Stätte, wo er vor drei Jahren als Sieger vom Podest winkt.
Die Hüfte schmerzt. So stark, dass der 26-Jährige nach der Untersuchung von Teamarzt Marc Dorfmüller ins Krankenhaus nach Innsbruck kommt. Nach den ersten Untersuchungen gibt Dorfmüller leichte Entwarnung. „Aktuell ist es okay, er kann noch nicht richtig belasten. Wir warten die Entwicklung ab. Ritschi ist ein harter Kämpfer mit einer sehr guten Athletik. Wenn er eine Chance hat, wird er es auf jeden Fall probieren, in Bischofshofen zu springen.“Dort findet am Samstag das abschließende Springen der Tournee statt (16.50 Uhr, ARD und Eurosport).
Das Finale am Bergisel lief ohne Richard Freitag. Notgedrungen. „Schade, dass dieser großartige Sportler nicht belohnt wird“, sagt Bundestrainer Werner Schuster. Den dritten Streich des Polen Kamil Stoch (130/128,5 Meter) registriert er, auch Platz drei von Andreas Wellinger mit Flügen auf 133 und 126 Meter hinter dem Norweger Daniel André Tande. Hier die Freude über Wellingers Topsprung. Dort die Sorgen um Freitag, der 30. wird und in der Gesamtwertung auf Rang 21 abrutscht. „Wir hoffen, dass er nicht längerfristig ausfällt“, sagt Schuster.
In der Stimme des Sportlichen Leiters Horst Hüttel liegt Bitterkeit. Er kritisiert die Wettkampfführung, die ob der Bedingungen mit Wind, diffusem Licht und starkem Regen generell zu viel Anlauf zugelassen habe. Schon im Vorfeld baten die Polen und die Deutschen die Jury um eine defensivere Strategie, um die Lage nicht unnötig zu verschärfen. Der Gesundheit der Athleten zuliebe. Vergebens.
Die Vorwürfe richten sich explizit an Geir Steinar Löng, den Technischen Delegierten des Ski-Weltverbandes FIS. Pikanter Hintergrund: Auch beim Weltcup der Frauen in Hinterzarten Mitte Dezember, bei dem sich Svenja Würth einen Kreuzbandriss zuzog, leitete der Norweger das Springen. „Bei diesen Bedingungen muss man nicht über Hillsize springen“, sagt Horst Hüttel. Schuster weist darauf hin, dass auch die Landung von Kamil Stoch „auf des Messers Schneide ist. Aber er hat einen Vorteil, weil er auch im hohen Weitenbereich einen kompletten Telemark setzen kann.“Werner Schuster selbst hätte die Möglichkeit gehabt, Freitag eine Luke weiter nach unten zu schicken und so die Anfahrtsgeschwindigkeit zu drosseln. Er tat es nicht. Seine Erklärung: „Ich konnte nicht, ich wollte ihm die Chance nicht nehmen.“Stefan Horngacher macht es zwei Minuten später – und sein Schützling Kamil Stoch landet bei 130 Metern.
Der 30-Jährige, im Vorjahr selbst in Innsbruck gestürzt, sagt: „Es tut mir wahnsinnig leid, was Richard passiert ist. Aber das ist unser Sport. Situationen wie diese passieren nun mal.“Dem Polen ist die Titelverteidigung nur noch im Falle eines Sturzes in Bischofshofen zu nehmen.
In der Addition liegt er vor dem Finale nun 64,5 Punkte oder rund 35 Meter vor Andreas Wellinger. Zu viel. Zumal der 22-Jährige dem Konkurrenten nicht wünscht, was seinem Kumpel widerfahren ist.
Für ihn zählt nach der Tagesbestweite von 133 Metern anderes. „Es war extrem cool für mich, ich hätte nur gerne einen Telemark gesetzt. Aber vielleicht ist es gar nicht so blöd, dass es nicht geklappt hat.“Seine guten Wünsche gelten Freitag. In der Hoffnung, dass es nicht zur Duplizität der Ereignisse kommt. Freitags Vater Holger ist 1985 in Innsbruck gestürzt, kam nach Operationen nicht mehr in die Spur und beendete seine Karriere. Werner Schuster hatte schon zu Beginn der Tournee geahnt, dass es turbulent wird. Nun meint er: „Es ist eine persönliche Tragik. Aber wir müssen in Ruhe weitergehen und dürfen uns nicht eingraben.“