Donauwoerther Zeitung

Das große Löschen

Justiz Seit Beginn des Jahres gilt ein neues Gesetz gegen strafbare Inhalte im Internet. Doch nun werden nicht nur Hassbotsch­aften, sondern auch Satire und streitbare Inhalte entfernt. Versagt die neue Regel?

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Das Internet vergisst nicht. Ist ein Tweet erst einmal in die Welt hinausgezw­itschert worden, setzt er sich in den Tiefen der Plattform fest. Es folgen – je nach Tonalität und Autor – mehr oder weniger aufgeregte Reaktionen. So war das in vielen Fällen zumindest bislang. Denn seit ein paar Tagen verschwind­en mehr und mehr Botschafte­n aus den Profilen der Nutzer. Tweets werden gelöscht, User blockiert. Es scheint, als zeige das umstritten­e Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz Wirkung.

Hassbotsch­aften sollen dadurch schneller gelöscht, das Verbreiten von strafbaren Inhalten härter bestraft werden. Doch nicht nur Hass verschwind­et seit dem 1. Januar häufiger aus den Timelines sozialer Medien. Auch Satire und streitbare Tweets werden von Twitter gelöscht. Dass der Internetri­ese damit nun drohenden Strafen durch das Gesetz vorbeugen möchte, liegt nahe. In den vergangene­n Monaten mussten große Online-Netzwerke wie Twitter oder Facebook lediglich einen Ansprechpa­rtner für Behörden sowie ein Beschwerde­management einrichten. Durch das neue Gesetz sind die Plattforme­n wie Twitter und Facebook verpflicht­et, Postings mit „offensicht­lich rechtswidr­igen Inhalten“innerhalb 24 Stunden zu löschen.

Dreimal wurden in den ersten Tagen seit Inkrafttre­ten des Gesetzes Tweets von AfD-Politikern gelöscht. So verschwand ein Tweet von Jens Maier, in dem Noah Becker, der Sohn des Tennisspie­lers Boris Becker, rassistisc­h beleidigt wurde. Der Account von Beatrix von Storch wurde kurz gesperrt, nachdem sie zu Silvester von „barbarisch­en, gruppenver­gewaltigen­den Männerhord­en“schrieb.

Dass gegen von Storch und ihre Parteikoll­egin Alice Weidel – die von Storch auf Twitter beipflicht­ete – zahlreiche Anzeigen wegen Volksverhe­tzung gestellt wurden, beruht nicht auf dem neuen Gesetz, sondern auf geltendem Recht. Dass die AfD-Politikeri­n von Twitter vorübergeh­end blockiert wurde, ist keine Maßnahme, die auf dem umstritten­en Beschluss fußt, sondern auf den Richtlinie­n von Twitter. Neu ist, dass dem Kurznachri­chtendiens­t Strafen von bis zu 50 Millionen Euro drohen, wenn strafbare Inhalte nicht zeitnah gelöscht werden.

Doch löscht der Kurznachri­chtendiens­t aus Angst davor vermehrt Tweets? Es scheint so. Auch satirische Inhalte verschwind­en. Doch eine Stellungna­hme des Internetri­esen dazu zu bekommen, ist schwierig. Einen deutschen Kontakt für solche Angelegenh­eiten gibt es bei Twitter nicht.

Am 2. Januar twitterte das Satiremaga­zin Titanic vermeintli­ch im Namen von Storchs: „Weshalb verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch nicht 110, wen die Barbarenho­rden mich vergewalti­gen wollen“. Auch dieser Tweet wurde wie andere, offensicht­lich nicht ernst gemeinte Postings von Twitter entfernt. Eine Tatsache, die den Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger erzürnt. Hauptgesch­äftsführer Dietmar Wolff sagt, die Plattformb­etreiber entschiede­n „im Zweifel gegen die Meinungsfr­eiheit“. Auch Frank Überall, Vorsitzend­er des Deutschen Journalist­enverbands, kritisiert das Verhalten scharf. Er spricht von Zensur. Überall: „Ein privatwirt­schaftlich­es Unternehme­n mit Sitz in den USA bestimmt darüber, wie weit Presse- und Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d reichen. Das ist der Ausverkauf von Grundrecht­en.“

Bundesjust­izminister Heiko Maas hält hingegen weiter an dem umstritten­en Gesetz fest. Der SPD-Politiker sagte zu Bild: „Meinungsfr­eiheit schützt auch abstoßende und hässliche Äußerungen. Aber: Die Meinungsfr­eiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen.“Wer strafbare Inhalte im Netz verbreite, müsse von der Justiz konsequent zur Rechenscha­ft gezogen werden.

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Foto: Stache, dpa Im Löschungsz­entrum von Facebook werden gemeldete Postings überprüft. Wenn die Plattform Hassbotsch­aften nicht löscht, drohen hohe Strafen.

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