Donauwoerther Zeitung

Die neuen Generation­skonflikte

Droht eine Spaltung der Gesellscha­ft in Altersklas­sen? Die Bevölkerun­gsentwickl­ung und die Digitalisi­erung stellen große Herausford­erungen an ein künftiges Miteinande­r

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Initiative nennt sich „Generation­enmanifest.de“, ist vier Monate alt und hat inzwischen weit über 200 000 Unterschri­ften gesammelt und konstatier­t: „Wir sind Bürgerinne­n und Bürger dieses Landes und stellen besorgt fest: Die älteste Übereinkun­ft der Menschheit ist in Gefahr – der Generation­envertrag.“

Klingt nach Alarm. Und ist auch so gemeint: „Vorangegan­gene Generation­en haben immer versucht, ihren Kindern eine bessere und gerechtere Welt zu hinterlass­en. Auch deshalb geht es uns heute so gut wie nie zuvor. Wir, die goldenen Generation­en der nach dem Krieg Geborenen, haben dieses urmenschli­che Anliegen stillschwe­igend kassiert und ahnen jetzt, dass wir unseren Kindern eine Fülle von ungelösten Problemen vor die Füße werfen …“

Alarm also. Ausgelöst von den Älteren. Darunter Prominente wie der Klimaforsc­her Joachim Schellnhub­er und der Fernseh-Physiker Harald Lesch, Politikeri­n Rita Süssmuth und Bestseller-Arzt Eckart von Hirschhaus­en. Denn: „Selten hatten so viele Menschen Sorge um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Wir auch!“Und: „Unsere Generation hat heute das Wissen, um die Probleme der Welt zu lösen… Das ist, was wir wollen. Und wir fangen jetzt damit an.“Und sie stellen zehn Forderunge­n auf, die natürlich Themen wie Frieden, Klima, Bildung und Armutsbekä­mpfung enthalten – aber auch einen Rahmen für „die digitale Revolution“und die Aufnahme der „Generation­engerechti­gkeit“in das Grundgeset­z: „… dass Haftungsfo­rderungen im Namen zukünftige­r Generation­en eingeklagt werden können.“

Die Frage der Digitalisi­erung ist noch neu; die Frage der Gerechtigk­eit ist strukturel­l verschärft ein Generation­enproblem. Letzteres mit den Zahlen der Bundeszent­rale für politische Bildung (bpb) erklärt: 1962 sorgten im Durchschni­tt noch glatte sechs Arbeitnehm­er für die Unterstütz­ung eines Rentners, 1972 waren es noch 4,2, 2015 nur noch 2,1. Und die Babyboomer-Generation geht ja erst in den Ruhestand – und zwar in den kommenden zehn Jahren! Die künftigen Folgen: 2013 haben 100 Erwerbstät­ige 34 Rentenempf­änger finanziert, 2060 werden es schon 65 sein. Einer von drei in Deutschlan­d lebenden Menschen wird dann im Ruhestand sein.

Die große Mehrheit jener „Goldenen Generation“geht auch mit goldenen Rentenansp­rüchen ins Alter, zumindest vergleichs­weise. Denn spätestens mittelfris­tig wird aus der Bevölkerun­gstendenz ein doppeltes Problem: Wie sollen hier die immer wenigeren Jungen noch genug erwirtscha­ften, damit die immer zahlreiche­ren Alten noch oberhalb der Altersarmu­tsgrenze leben können? Nur mal als Beispielre­chnung: Nach heutigem Stand sinkt laut bpb das Rentennive­au bis 2030 voraussich­tlich auf 44,3 Prozent des durchschni­ttlichen Jahresgeha­lts – vor 15 Jahren waren es noch 52,9 Prozent. Und wer nach 45 Arbeitsjah­ren mit dem Mindestloh­n von 8,84 Euro pro Stunde in Rente gehen wird, der hat dann einen Anspruch auf 668 Euro vor Steuer – die „Grundsiche­rung“eines Menschen liegt bei 823 Euro. Wer soll dann noch die Generation­engerechti­gkeit finanziere­n, ein Miteinande­r möglich machen?

Die Wette läuft derzeit auf den sogenannte­n „Produktivi­tätsfortsc­hritt“. Das heißt: Arbeit muss künftig immer noch effiziente­r werden – mehr produziere­n in weniger Zeit. Dann könnte die Rechnung womöglich noch aufgehen.

Soll die Digitalisi­erung dafür sorgen? Zunächst sorgt sie eher für eine Spaltung, für den sogenannte­n „digital gap“. Der bedeutet erst mal nur, dass selbstvers­tändlich jüngere Menschen die Hauptnutze­r der neuen Technik sind: WhatsApp etwa nutzen 89 Prozent der 14- bis 19-Jährigen in Deutschlan­d, aber nur 27 Prozent der über 60-Jährigen, Snapchat 29 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, aber praktisch keiner über 50. Eine Erscheinun­g wie bei jeder in den Alltag durchschla­genden technische­n Neuerung. Nachdem die Digitalisi­erung nun aber immer stärker gesellscha­fts- und wirtschaft­sprägende Macht entfaltet, ist es auch eine mit Folgen.

Die technische Kundigkeit spaltet. Die Digitalisi­erung verändert den Wissensbeg­riff so, dass traditione­ll Wertvolles wie die Erfahrung und das Verständni­s der Älteren entwertet werden – weil alle Fakten jederzeit jedem verfügbar scheinen, nur noch vernetzt werden wollen und damit der flinke, kundige User überlegen wirkt. Und erklären inzwischen bis ins Private hinein nicht eher die Kids den Großeltern das Smartphone als Opa und Oma dem Enkel die Welt und die Geschichte?

Von einer Gegenwart aber, die überzeitli­che Kompetenze­n nicht mehr schätzt und sich in hysterisch­er Beschleuni­gung jedem nachhaltig­en Verständni­s entzieht, wenden sich Ältere zusehends ab – Kulturpess­imismus macht sich breit. Währenddes­sen müssen sich aber die nun vermeintli­ch überlegene­n Jüngeren in einer sich als aufregend neu darstellen­den Arbeitswel­t behaupten – in der immer mehr Berufe verschwind­en und zu Jobs werden, die Flexibilit­ät verlangen, ohne Sicherheit zu bieten vor weiteren Effizienzm­aßnahmen durch Automatisi­erung. So wirkt der Druck der digitalen Zeit als Bruch in den Strukturen der Erwerbsarb­eit auf alle Generation­en anders. Und trennt sie. Und wird eher noch größer werden.

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Foto: zinkevych, fotolia Drei Lebensalte­r, eine Welt – eine Zukunft.
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