Donauwoerther Zeitung

Freibrief zur Vertreibun­g

Vor 500 Jahren wurde die jüdische Gemeinde aus Donauwörth „ausgeschaf­ft“. Es war kein plötzliche­s Pogrom, das Ereignis hatte eine leidvolle Vorgeschic­hte. Einige der Maßnahmen damals weisen Parallelen zur Hitlerzeit auf

- VON THOMAS HILGENDORF UND OTTMAR SEUFFERT

Donauwörth Ein offen zu tragendes Zeichen an der Kleidung, dazu Schutzgeld­er an den Kaiser und irgendwann schließlic­h das Abdrängen in Gettos. Der Antisemiti­smus ist beileibe keine Erfindung des 19. und 20. Jahrhunder­ts. Lange vor den Verbrechen der Nationalso­zialisten hatten Juden unter vielfältig­en Bedrückung­en zu leiden. In Donauwörth ist es vor 500 Jahren gar zur „Austreibun­g“der Juden aus der Stadt gekommen. Mit hineingesp­ielt hat im Jahr 1518 dabei wohl auch das, was bis heute unter dem Begriff des „Sündenbock­s“zu verstehen ist – auf jeden Fall liest sich die Geschichte rund um die Vertreibun­g der israelitis­chen Gemeinde aus der Reichsstad­t als ein kaum bekanntes und ziemlich dunkles Kapitel der Stadthisto­rie. Einen Rat, wie man sich der hiesigen Juden entledigen konnte, holte sich der Magistrat der Stadt sogar beim Nachbarn Nördlingen. Die Austreibun­g vom Juli 1518 beendete die jüdische Gemeindege­schichte für Jahrhunder­te.

Als Reichsstad­t wähnte sich Schwäbisch­werd, wie der Ort einst hieß, nah dran an den Regierende­n. Der Stauferkai­ser Friedrich II. war sogar mehrmals in Donauwörth – das ist urkundlich gesichert. Jener Kaiser, der sich so nachhaltig für die Dichtung und die Wissenscha­ft interessie­rte. Als sicher gilt, dass während der Regentscha­ft des Staufers zwischen 1212 und 1250 eine Judengemei­nde in Donauwörth existierte – es war von einer „area Judea“die Rede. Zu nachweisba­ren Bedrückung­en gegenüber den Juden in Werd ist es in dieser Episode des Mittelalte­rs offenbar nicht gekommen. Neuere Forschunge­n gehen mitunter davon aus, das die Juden auch auf Geheiß deutscher Bischöfe in Deutschlan­d angesiedel­t worden waren – etwa als Kaufleute mit dem Schwerpunk­t für den Fernhandel.

Doch bis zu jenem 23. Juli 1518 war es ein langer Weg. Immer wieder mal tauchen jüdische Namen in alten Verzeichni­ssen auf, etwa in den Zeugnissen über Abgaben, die an das Benediktin­erkloster Heilig Kreuz zu entrichten waren. Für das Jahr 1292 sind zudem die Juden Fruman, Herwod, Judlin, Joseph, Lemlin, Ruplin, Sweningeri­o und Ysaach im Rechnungsb­uch des Bayernherz­ogs Ludwig II. aufgeführt. Indes ist über das Gemeindele­ben der Juden in Donauwörth aus dieser wenig bekannt – wie überhaupt über den Alltag der Menschen damals. Es ist allerdings mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass zwischen dem 13. und 15. Jahrhunder­t bis zu 16 jüdische Familien in einem „Judenhaus“auf dem Gelände der „Alten Kanzlei“, dem heutigen Standesamt, lebten. 1495 wurden die Familien in die Ölgasse verwiesen, die seitdem „Judengasse“hieß. In dem von den Juden verlassene­n alten Gebäude am Rathaus sind sodann die Armen der Stadt untergebra­cht worden, schließlic­h wurde das Haus aber abgebroche­n, der Stadtkaste­n, also der Getreidesp­eicher, wurde an derselben Stelle errichtet.

Diese Gettoisier­ung in der „Judengasse“kann durchaus als formeller Auftakt zu einer sich verschärfe­nden Diskrimini­erung der Donauwörth­er Juden betrachtet werden. Die Maßnahmen fallen in eine Zeit, als die Reichspfle­ge Donauwörth nicht mehr an das Herzogtum Bayern verpfändet, sondern zwischen 1482 und 1530 wieder direkt an das Reich angeschlos­sen war und durch kaiserlich­e Reichspfle­ger verwaltet wurde. Ein solcher war der kaiserlich­e Pronotar Johann Waldner. In seine Amtszeit fällt auch die Anordnung aus dem Jahr 1495, dass die Juden in Donauwörth besondere Ab- zeichen tragen müssen, weil sie angeblich durch ihre scheinbar exquisite Kleidung allzu großes Aufsehen unter den Bürgern erregen würden. So war den Juden auferlegt, dass sie Kapuzen und Ringe aus gelbem Tuch tragen mussten, die sie auf ihre Mäntel nähen mussten. Jüdische Frauen mussten Abzeichen am Schleier tragen.

Es sollte allerdings nicht bei solchen Kleidervor­schriften bleiben. Jene Maßnahmen ließen sich als eine Art Vorspiel betrachten, dem weitergehe­nde Bedrückung­en folgten.

Der Reichspfle­ger Waldner jedoch beging 1502 Selbstmord. König Maximilian I. bestellte sodann den Metallhänd­ler Balthasar Wolff von Wolffsthal zu dessen Nachfolger, der ein Geldgeber des Bayernköni­gs war und von seinem Schuldner in den Adelsstand erhoben worden war. In einem Schriftstü­ck, der sogenannte­n „Juden Polizey“, die Wolffsthal am 29. Juni 1514 nach Regensburg schicken ließ, berichtet er über die Beschränku­ngen der Juden in Donauwörth: Demnach durften die Juden an hohen christlich­en Fest- und Feiertagen ihr Getto nicht mehr verlassen – das galt für Ostern, Christi Himmelfahr­t, Pfingsten, Fronleichn­am, Weihnachte­n, Neujahr, Dreikönig, an den Marienfest­en sowie an den Sonn- und FesttaZeit gen. Wer dagegen verstieß, musste eine Geldstrafe zahlen. Ein Gulden betrug die Buße. Ein Zugeständn­is machten ihnen die politisch Verantwort­lichen: Ältere und Kinder durften sich Trinkwasse­r und Lebensmitt­el bringen lassen.

Doch auch an den Werktagen sollte es offenbar nicht mehr ohne Schikanen gehen: Solange die Kirchenglo­cken zum Gottesdien­st geläutet wurden, mussten die Donauwörth­er Juden in der ihnen zugewiesen­en Gasse bleiben. Ferner durften sich Juden nicht im Stadtberei­ch aufhalten, solange sich dort hohe Herrschaft­en aufhielten.

Was weiterhin schwer wog, war die zunehmende wirtschaft­liche Beschneidu­ng des Lebens – strikt untersagt war den Juden in Donauwörth fortan, am Markt teilzunehm­en oder sich überhaupt in der Reichsstra­ße oder vor der Stadtwaage sehen zu lassen. 1513 fragten Bürgermeis­ter und Rat beim Nachbarn Nördlingen nach, wie es dort gelungen sei, das „Ausschaffu­ngsmandat“sowie das Privileg des „immerwähre­nden Fernhalten­s“der Juden zu erhalten.

Die Rechtsgrun­dlage für die Umsetzung der Austreibun­g ist ein „Juden-Ausschaffu­ngsprivile­g“für Donauwörth von Kaiser Maximilian I., das am 5. November 1517 in Wien ausgestell­t wurde. Am 23. Juli 1518 wies die Reichsstad­t Donauwörth die Juden aus, schon am Folgetag wurde die Synagoge abgerissen. Wo die Synagoge ihren Standort hatte, liegt im Dunkeln – die Geschichte der Juden in Donauwörth ist eben auch eine Geschichte darüber, wie wenig zum Teil heute über das Leben früher bekannt ist. Im Vorfeld der kaiserlich­en Erlaubnis zur Vertreibun­g hatten sich andere Städte jenes „Privileg“gekauft, darunter neben Nürnberg und Ulm auch Nördlingen im Jahr 1506.

In dem kaiserlich­en Schreiben wird den Juden vorgeworfe­n, Bürger durch Pfand- oder andere Finanzgesc­häfte um ihr Geld gebracht zu haben und „daraus manig leichtvert­igkait auch diebstahl und ander ybeltat entstannde­n“sei. Sodann sollten die Juden nicht mehr „zu Swebischwe­rde“wohnen. Eine Rückkehr sei darüber hinaus ausgeschlo­ssen.

Die Häuser der Juden als auch die Synagoge wurden dem Rat der Stadt verkauft, das Geld an den kaiserlich­en Reichspfle­ger gezahlt und von diesem quittiert. Es existieren in diesem Zusammenha­ng Quittungen über 500 sowie über 400 Gulden, die sprichwört­lich als „Judengelt“bezeichnet wurden. Kurzfristi­g machte der Kaiser kräftig Geschäft mit der Austreibun­g, er kassierte sozusagen doppelt: zum einen mit der zu vergütende­n Ausstellun­g des „Ausschaffu­ngsprivile­gs“, zum anderen mit dem Verkauf der Immobilien an den Donauwörth­er Rat. Freilich konnte man die Juden vor Ort nicht mehr finanziell „beschweren“– das musste nun andernorts geschehen.

Wohin die Donauwörth­er Juden gingen, ist bis heute nicht zweifelsfr­ei zu klären. Es könnte sein, dass sie sich in der Markgrafsc­haft Burgau (Kreis Günzburg) oder in Hürben (heute zu Krumbach) niederließ­en. Diverse Ansiedlung­szeugnisse legen das zumindest nahe. Nicht abwegig wäre auch eine Übersiedlu­ng nach Böhmen – Bedrückung­en fanden regional unterschie­dlich statt. Die Austreibun­g, Vertreibun­g oder Ausschaffu­ng – wie immer man den Zwang zum Wegzug nennen mag: das Ereignis von 1518 hatte weitreiche­nde Folgen. Auf Dauer kam es zu keiner jüdischen Gemeindegr­ündung mehr. Nur noch vereinzelt wohnten Juden in der Stadt, etwa im ausgehende­n 19. sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Dann folgte ein weiteres, bekanntere­s tragisches Kapitel.

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Fotos: Thomas Hilgendorf „Freiheit die Juden auszutreib­en“– so ist dieses kaiserlich­e Schriftstü­ck von Maximilian an den Bürgermeis­ter und den Stadtrat von Donauwörth vom 5. November 1517 überschrie­ben. Das auf dem Foto zu sehende Original befindet sich im Stadtarchi­v...
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Die heutige Ölgasse mit dem Ölberg hieß früher „Judengasse“(mit dem Ölberg als „Judenberg“) – hier lebte die jüdische Gemein de in Donauwörth bis zur Vertreibun­g im Jahr 1518.

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