Freibrief zur Vertreibung
Vor 500 Jahren wurde die jüdische Gemeinde aus Donauwörth „ausgeschafft“. Es war kein plötzliches Pogrom, das Ereignis hatte eine leidvolle Vorgeschichte. Einige der Maßnahmen damals weisen Parallelen zur Hitlerzeit auf
Donauwörth Ein offen zu tragendes Zeichen an der Kleidung, dazu Schutzgelder an den Kaiser und irgendwann schließlich das Abdrängen in Gettos. Der Antisemitismus ist beileibe keine Erfindung des 19. und 20. Jahrhunderts. Lange vor den Verbrechen der Nationalsozialisten hatten Juden unter vielfältigen Bedrückungen zu leiden. In Donauwörth ist es vor 500 Jahren gar zur „Austreibung“der Juden aus der Stadt gekommen. Mit hineingespielt hat im Jahr 1518 dabei wohl auch das, was bis heute unter dem Begriff des „Sündenbocks“zu verstehen ist – auf jeden Fall liest sich die Geschichte rund um die Vertreibung der israelitischen Gemeinde aus der Reichsstadt als ein kaum bekanntes und ziemlich dunkles Kapitel der Stadthistorie. Einen Rat, wie man sich der hiesigen Juden entledigen konnte, holte sich der Magistrat der Stadt sogar beim Nachbarn Nördlingen. Die Austreibung vom Juli 1518 beendete die jüdische Gemeindegeschichte für Jahrhunderte.
Als Reichsstadt wähnte sich Schwäbischwerd, wie der Ort einst hieß, nah dran an den Regierenden. Der Stauferkaiser Friedrich II. war sogar mehrmals in Donauwörth – das ist urkundlich gesichert. Jener Kaiser, der sich so nachhaltig für die Dichtung und die Wissenschaft interessierte. Als sicher gilt, dass während der Regentschaft des Staufers zwischen 1212 und 1250 eine Judengemeinde in Donauwörth existierte – es war von einer „area Judea“die Rede. Zu nachweisbaren Bedrückungen gegenüber den Juden in Werd ist es in dieser Episode des Mittelalters offenbar nicht gekommen. Neuere Forschungen gehen mitunter davon aus, das die Juden auch auf Geheiß deutscher Bischöfe in Deutschland angesiedelt worden waren – etwa als Kaufleute mit dem Schwerpunkt für den Fernhandel.
Doch bis zu jenem 23. Juli 1518 war es ein langer Weg. Immer wieder mal tauchen jüdische Namen in alten Verzeichnissen auf, etwa in den Zeugnissen über Abgaben, die an das Benediktinerkloster Heilig Kreuz zu entrichten waren. Für das Jahr 1292 sind zudem die Juden Fruman, Herwod, Judlin, Joseph, Lemlin, Ruplin, Sweningerio und Ysaach im Rechnungsbuch des Bayernherzogs Ludwig II. aufgeführt. Indes ist über das Gemeindeleben der Juden in Donauwörth aus dieser wenig bekannt – wie überhaupt über den Alltag der Menschen damals. Es ist allerdings mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert bis zu 16 jüdische Familien in einem „Judenhaus“auf dem Gelände der „Alten Kanzlei“, dem heutigen Standesamt, lebten. 1495 wurden die Familien in die Ölgasse verwiesen, die seitdem „Judengasse“hieß. In dem von den Juden verlassenen alten Gebäude am Rathaus sind sodann die Armen der Stadt untergebracht worden, schließlich wurde das Haus aber abgebrochen, der Stadtkasten, also der Getreidespeicher, wurde an derselben Stelle errichtet.
Diese Gettoisierung in der „Judengasse“kann durchaus als formeller Auftakt zu einer sich verschärfenden Diskriminierung der Donauwörther Juden betrachtet werden. Die Maßnahmen fallen in eine Zeit, als die Reichspflege Donauwörth nicht mehr an das Herzogtum Bayern verpfändet, sondern zwischen 1482 und 1530 wieder direkt an das Reich angeschlossen war und durch kaiserliche Reichspfleger verwaltet wurde. Ein solcher war der kaiserliche Pronotar Johann Waldner. In seine Amtszeit fällt auch die Anordnung aus dem Jahr 1495, dass die Juden in Donauwörth besondere Ab- zeichen tragen müssen, weil sie angeblich durch ihre scheinbar exquisite Kleidung allzu großes Aufsehen unter den Bürgern erregen würden. So war den Juden auferlegt, dass sie Kapuzen und Ringe aus gelbem Tuch tragen mussten, die sie auf ihre Mäntel nähen mussten. Jüdische Frauen mussten Abzeichen am Schleier tragen.
Es sollte allerdings nicht bei solchen Kleidervorschriften bleiben. Jene Maßnahmen ließen sich als eine Art Vorspiel betrachten, dem weitergehende Bedrückungen folgten.
Der Reichspfleger Waldner jedoch beging 1502 Selbstmord. König Maximilian I. bestellte sodann den Metallhändler Balthasar Wolff von Wolffsthal zu dessen Nachfolger, der ein Geldgeber des Bayernkönigs war und von seinem Schuldner in den Adelsstand erhoben worden war. In einem Schriftstück, der sogenannten „Juden Polizey“, die Wolffsthal am 29. Juni 1514 nach Regensburg schicken ließ, berichtet er über die Beschränkungen der Juden in Donauwörth: Demnach durften die Juden an hohen christlichen Fest- und Feiertagen ihr Getto nicht mehr verlassen – das galt für Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam, Weihnachten, Neujahr, Dreikönig, an den Marienfesten sowie an den Sonn- und FesttaZeit gen. Wer dagegen verstieß, musste eine Geldstrafe zahlen. Ein Gulden betrug die Buße. Ein Zugeständnis machten ihnen die politisch Verantwortlichen: Ältere und Kinder durften sich Trinkwasser und Lebensmittel bringen lassen.
Doch auch an den Werktagen sollte es offenbar nicht mehr ohne Schikanen gehen: Solange die Kirchenglocken zum Gottesdienst geläutet wurden, mussten die Donauwörther Juden in der ihnen zugewiesenen Gasse bleiben. Ferner durften sich Juden nicht im Stadtbereich aufhalten, solange sich dort hohe Herrschaften aufhielten.
Was weiterhin schwer wog, war die zunehmende wirtschaftliche Beschneidung des Lebens – strikt untersagt war den Juden in Donauwörth fortan, am Markt teilzunehmen oder sich überhaupt in der Reichsstraße oder vor der Stadtwaage sehen zu lassen. 1513 fragten Bürgermeister und Rat beim Nachbarn Nördlingen nach, wie es dort gelungen sei, das „Ausschaffungsmandat“sowie das Privileg des „immerwährenden Fernhaltens“der Juden zu erhalten.
Die Rechtsgrundlage für die Umsetzung der Austreibung ist ein „Juden-Ausschaffungsprivileg“für Donauwörth von Kaiser Maximilian I., das am 5. November 1517 in Wien ausgestellt wurde. Am 23. Juli 1518 wies die Reichsstadt Donauwörth die Juden aus, schon am Folgetag wurde die Synagoge abgerissen. Wo die Synagoge ihren Standort hatte, liegt im Dunkeln – die Geschichte der Juden in Donauwörth ist eben auch eine Geschichte darüber, wie wenig zum Teil heute über das Leben früher bekannt ist. Im Vorfeld der kaiserlichen Erlaubnis zur Vertreibung hatten sich andere Städte jenes „Privileg“gekauft, darunter neben Nürnberg und Ulm auch Nördlingen im Jahr 1506.
In dem kaiserlichen Schreiben wird den Juden vorgeworfen, Bürger durch Pfand- oder andere Finanzgeschäfte um ihr Geld gebracht zu haben und „daraus manig leichtvertigkait auch diebstahl und ander ybeltat entstannden“sei. Sodann sollten die Juden nicht mehr „zu Swebischwerde“wohnen. Eine Rückkehr sei darüber hinaus ausgeschlossen.
Die Häuser der Juden als auch die Synagoge wurden dem Rat der Stadt verkauft, das Geld an den kaiserlichen Reichspfleger gezahlt und von diesem quittiert. Es existieren in diesem Zusammenhang Quittungen über 500 sowie über 400 Gulden, die sprichwörtlich als „Judengelt“bezeichnet wurden. Kurzfristig machte der Kaiser kräftig Geschäft mit der Austreibung, er kassierte sozusagen doppelt: zum einen mit der zu vergütenden Ausstellung des „Ausschaffungsprivilegs“, zum anderen mit dem Verkauf der Immobilien an den Donauwörther Rat. Freilich konnte man die Juden vor Ort nicht mehr finanziell „beschweren“– das musste nun andernorts geschehen.
Wohin die Donauwörther Juden gingen, ist bis heute nicht zweifelsfrei zu klären. Es könnte sein, dass sie sich in der Markgrafschaft Burgau (Kreis Günzburg) oder in Hürben (heute zu Krumbach) niederließen. Diverse Ansiedlungszeugnisse legen das zumindest nahe. Nicht abwegig wäre auch eine Übersiedlung nach Böhmen – Bedrückungen fanden regional unterschiedlich statt. Die Austreibung, Vertreibung oder Ausschaffung – wie immer man den Zwang zum Wegzug nennen mag: das Ereignis von 1518 hatte weitreichende Folgen. Auf Dauer kam es zu keiner jüdischen Gemeindegründung mehr. Nur noch vereinzelt wohnten Juden in der Stadt, etwa im ausgehenden 19. sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dann folgte ein weiteres, bekannteres tragisches Kapitel.