Donauwoerther Zeitung

Das geordnete Leben

- WAS NICHT WAHR SEIN KANN

Es gibt diese Tage zu Beginn eines Jahres, da segelt die Illusion eines geordneten Lebens wie ein prächtiger Zweimaster vor unserem inneren Auge. Endlich aufräumen, klar Schiff machen, System bringen in Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft! Die Kaufhäuser und die Discounter wissen um unsere Anfälligke­it – und um unser ewiges Bedürfnis, das Chaos des abgelebten und abgelegten Lebens bändigen zu wollen. Also im Angebot: Archivboxe­n, Ordner, Mappen, Kisten, Beschriftu­ngsartikel, Hüllen, Ablagekörb­e, Aktenverni­chter, Alben, Klebeetike­tten.

Die Verlockung, an den dunklen Winteraben­den, wo die Sammelgebi­ete ja fein abgeschlos­sen sind (jetzt in Form des Jahres 2017), Ordnung zu schaffen, das Bewahrensw­erte vom Überflüssi­gen zu scheiden … Jedes Jahr wiederholt sich dieses Schauspiel. Es hat sich inzwischen zwar ein wenig verlagert – aus dem Analogen hin zum Digitalen. Aber die Disziplin, die es erfordert, die 6438 Fotos auf dem Smartphone zu sichten, zu katalogisi­eren, zu bewerten und zu überspiele­n, ist keine andere, als es jene war, die Fotoabzüge aus dem Drogeriema­rkt, die sich übers Jahr in Kartons angehäuft hatten, zu begutachte­n, in Alben einzuklebe­n, möglichst noch mit Textzeilen hier und da. Samos? Oder war das die Schweriner Seenplatte? Sind das überhaupt meine Bilder?

Etwas aber ist schon anders. Es gibt da eine Funktion auf knipsenden Klugtelefo­nen, die heißt „Andenken“. Neulich zufällig entdeckt. Du drückst drauf, und dein Handy spielt dir, unterlegt mit klebriger Musik, eine Bildershow ab. Titel: „Das Beste des Jahres“. Unheimlich. Das soll das Beste sein? Anmaßend! Absurd! Falsch! Aber es ist ein Hinweis darauf, was in Zukunft immer mehr passieren wird, wenn wir nicht selbst Kurator unseres Lebens sind. Algorithme­n erledigen das. Dann doch lieber selbst abheften!

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