Atombomben in Deutschland
Die nukleare Bedrohung ist wieder Thema. In der Eifel sind wohl 20 der Superwaffen stationiert. Ein Ortsbesuch
Büchel besteht aus 442 Häusern, in denen 1154 Menschen leben, die 752 Autos fahren. Es gibt drei Gaststätten, eine freiwillige Feuerwehr, eine katholische Kirche und einmal im Jahr ist Kirmes. Der kleine, windige Ort in den Hügeln der Vulkaneifel ist auf den ersten Blick ein Dorf wie jedes andere. Wäre da nicht etwas, das es nirgendwo sonst in Deutschland gibt: Wohl 20 Atombomben, jede für sich mit der vierfachen Sprengkraft der Bombe von Hiroshima. Die Bücheler nennen die tödlichsten Waffen in ganz Deutschland nur spöttisch „die 20 Eier“. Offiziell gibt es sie gar nicht. Jeder weiß aber, dass sie streng bewacht von einer US-Spezialeinheit in Metallbunkern auf dem Fliegerhorst der Bundeswehr lagern, der nur einen Kilometer vom Dorfkern entfernt liegt. Vom Ortsschild kann man die „Tornado“-Kampfjets, die im Ernstfall die Bomben abwerfen sollen, starten und landen sehen.
„Hirnrissig“– der Tanz um die 20 Eier
Die Atombomben gehören ungefähr so lange zu dem Dorf wie Willi Rademacher. Der parteilose Bürgermeister ist 62. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er als Kind in den 60er Jahren zum ersten Mal USSoldaten begegnet ist, die für „Munitionstransporte“auch schon mal die Straßen sperrten. Rademacher hat fast sein ganzes Leben in Büchel verbracht. Neben den Bomben. Angst haben sie ihm nie gemacht. „Das ist hirnrissig, was hier für ein Thema um die 20 Eier gemacht wird“, sagt der ehemalige Bundeswehrsoldat. Viel gefährlicher seien die Gewehre, die Granaten und Raketen, die nach Syrien oder in andere Krisenregionen geschickt würden. „Dort sterben jeden Tag Menschen. Da wird nicht drüber gesprochen.“So wie Willi Rademacher denken viele in Büchel. Der Flugplatz ist mit rund 2000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der Region. Nervig ist allenfalls der Fluglärm, aber auch daran haben sich die Anwohner gewöhnt.
„Ich habe Angst vor einem Unfall“
Wenn man einen Gegner der Bomben finden will, muss man acht Kilometer weiter fahren, nach Leienkaul. Dorthin ist die Apothekerin Elke Koller 1985 aus Norddeutschland gezogen. Von ihrem Haus kann sie nachts die Lichter des dreieinhalb Kilometer entfernten Towers sehen. Lange Zeit hat die heute 74-Jährige nichts von den Bomben gewusst. Als 1995 ein
darüber erschien, war sie geschockt – und begann, Proteste zu organisieren. Gegen die Beteiligung Deutschlands an nuklearen Abenteuern, für eine Welt ohne Atombomben, aber auch für die eigene Sicherheit. „Ich habe Angst vor einem Unfall“, sagt sie. Wenn sie eine Feuerwehrsirene höre, zucke sie zusammen. Außerdem sei der Fliegerhorst potenzielles Angriffsziel, sagt Koller. Sie selbst fühle sich als „Zielscheibe“. 1996 fand die erste Demonstration statt. Koller wurde angefeindet. „Das war am Anfang ganz extrem“, sagt sie. In der Apotheke bekam sie von Kunden zu hören: „Von Ihnen lasse ich mich nicht bedienen, Sie wollen mir ja den Arbeitsplatz wegnehmen.“Auch heute werden auf der „Friedenswiese“vor der Zufahrt zum Fliegerhorst nachts schon mal Protestplakate abgerissen. Persönlich angegriffen wird Koller aber nicht mehr. Allerdings solidarisiert sich auch kaum jemand aus der Gegend mit ihr. „In der evangelischen Kirchengemeinde habe ich zwei, drei Mitstreiter, aber das war es dann auch“, sagt sie. Die Demonstranten, die im Sommer fast täglich vor dem Stützpunkt protestieren, kommen von weiter her.
Die US Flagge weht ganz vorne
Am Eingang des Stützpunkts weht ganz vorne die US-Flagge, dahinter die deutsche – obwohl es ein Flugplatz der Bundeswehr ist. Das sei erst so, seit Donald Trump US-Präsident sei, sagen die Leute von der Friedensbewegung. „America first“auch in Büchel, spotten sie. Auf das Gelände zu kommen, ist für Journalisten nicht so einfach. Selbst wenn man auf das Gelände kommt, ist ein Thema von vorneherein tabu: die „nukleare Teilhabe“Deutschlands. Der abstrakte Begriff aus dem NatoVokabular steht dafür, dass Deutschland sich seit 60 Jahren aktiv am atomaren Schutzschirm des Bündnisses in Europa beteiligt. Weitere US-Atombomben sind in Italien, Belgien, den Niederlanden und der Türkei stationiert. Die deutsche Teilhabe besteht darin, dass nach einem Einsatzbefehl des US-Präsidenten und Bestätigung der Nato-Zentrale die „Tornados“die Bomben einklinken und über dem Ziel abwerfen.
Die Bomben von Büchel heißen B61-4, sind 3,58 Meter lang, sehen aus wie kleine Raketen und haben eine Sprengkraft von bis zu 50 Kilotonnen. Diese Informationen hat man einer Handvoll internationaler Wissenschaftler zu verdanken, die vor allem offene US-Quellen auswerten. Bundeswehr und Bundesregierung schweigen. Nach den Recherchen der Forscher lagern die Bomben unter der Erde in zweistöckigen Metallbehältern mit 30 Zentimeter dicken Deckeln. Es gibt nur wenige Luftaufnahmen von den Bunkern, normalerweise ist der Überflug verboten.
Atomare Bedrohung hoch vier
Lange Zeit galten die Bomben als Relikte des Kalten Krieges, die eigentlich nicht mehr gebraucht werden. In den 80er Jahren waren noch 7000 der weltweit 70000 Atomwaffen in beiden Teilen Deutschlands stationiert. Heute sind nur noch die in Büchel übrig. Seit ein paar Jahren erlebt die nukleare Abschreckung aber wieder eine Renaissance. Die Gefahr eines Atomkriegs wird von Experten so hoch eingeschätzt wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Drei Entwicklungen sind dafür verantwortlich: – Nordkorea treibt sein Atomprogramm unbeeindruckt von internationalem Druck und massiven Drohungen aus den USA voran. 2017 summieren sich die Raketentests auf 19 und die Atomtests auf sechs. – Das Atomabkommen mit dem Iran wankt. 13 Jahre verhandelten die fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland mit Teheran, um eine iranische Atombombe zu verhindern. Jetzt stellt USPräsident Trump die historische Vereinbarung von 2015 infrage. Hält sie, könnte sie ein Vorbild für Nordkorea sein. Zerbricht sie, könnte das eine Kettenreaktion der nuklearen Aufrüstung auslösen. Dann könnte auch Saudi-Arabien bald die Atomwaffen haben.
– Durch die Ukraine-Krise sind die Spannungen zwischen Russland und der Nato massiv gewachsen. Öffentlich wahrgenommen werden vor allem die konventionelle Aufrüstung, zusätzliche Manöver und Truppenstationierungen. Aber auch im nuklearen Bereich tut sich einiges. Die USA und Russland werfen sich gegenseitig vor, gegen das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen zu verstoßen, das am 8. Dezember 30 Jahre alt wurde. Es gilt als Startsignal für die nukleare Abrüstung. Platzt es, könnte das eine neue Aufrüstungsspirale in Gang setzen. – Alle Atommächte investieren in die Modernisierung ihrer Waffen. Alleine die Ausgaben der USA dafür werden für die nächsten zehn Jahre auf 400 Milliarden US-Dollar (336 Milliarden Euro) geschätzt.
Das wahrscheinlichste Szenario
Ohne das Einverständnis der Nato und der USA ist ein Abzug in Büchel nicht vorstellbar. Kleineren Bündnispartnern mit US-Atombomben wie den Niederlanden und Belgien wäre schwer zu vermitteln, warum sie sich weiter am atomaren Schutzschirm beteiligen sollen und Deutschland nicht. Und dass die Nato die nukleare Abschreckung aus ihrem strategischen Konzept streicht, ist angesichts der aktuellen Bedrohungslage kaum denkbar. Wahrscheinlicher erscheint da das Szenario, dass die Atombomben in Büchel in ein paar Jahren durch modernere ersetzt werden. Die Vorbereitungen dafür wurden bereits 2010 von US-Präsident Barack Obama eingeleitet. Die ersten Tests der Nachfolge-Bombe B61-12 sind 2015 erfolgt und im Internet zu besichtigen. Bis Mitte der 20er Jahre könnte der Austausch der US-Atombomben erfolgen, schätzen Experten. Auch Büchel.