Fit für die Fluchtwende
Politiker, Prominente und Wirtschaftsbosse nehmen das Steuer in der Regel nicht selbst in die Hand, sondern vertrauen auf die Dienste eines Chauffeurs. Was der alles können muss, lässt sich im Audi-Cheffahrer-Training erlernen
Regelmäßig tauchen in BoulevardBlättern Fotos auf, die die Queen am Steuer eines alten Land Rover Defenders zeigen. Die ältere Dame hat Spaß daran, selbst ins Steuer zu greifen, und schaukelt gerne über ihren Landsitz Balmoral Castle.
Doch eigentlich ist ihr Platz, wie jener der Bundeskanzlerin, von Prominenten, Wirtschaftsbossen und Geldadel, hinten rechts. Hinter dem Volant nimmt ein Chauffeur Platz – und der ist für mehr zuständig, als seinen Gast von A nach B zu bringen. Wie Cheffahrer ihre Aufgaben bestmöglich meistern können, lernen sie unter anderem von Rob Kunst. Der gebürtige Niederländer war früher im Polizeidienst und lehrt nun zusammen mit Audi professionelle Fahrer nicht nur, wie sie im Ernstfall ihr Fahrzeug sicher beherrschen, sondern auch welche Gefahren sonst im Alltag lauern.
Wilde Verfolgungsfahrten à la James Bond gehören zum Glück nicht zu den üblichen Vorkommnissen. In erster Linie geht es darum, dem Fahrgast die Reise so angenehm wie möglich zu machen. Das heißt: Sanft und vorausschauend fahren, nicht zu hart Bremsen und keine ruppigen Lenkbewegungen.
Passieren kann trotzdem immer was – und damit sind nicht nur ein Hinterhalt von Kidnappern oder gar ein Anschlag gemeint, sondern Situationen, die im Straßenverkehr tagtäglich vorkommen. Zu einem Cheffahrer-Lehrgang gehören deshalb die klassischen FahrtrainingsDisziplinien: Was ist zu tun, wenn man zu schnell in die Kurve fährt und der Wagen untersteuert? Wie fängt man ein ausbrechendes Heck wieder ein? Und wie kann man einem plötzlichen Hindernis möglichst sicher ausweichen?
Gefahren, denen nur richtig begegnen kann, wer sie immer wieder übt. Die meisten Teilnehmer der sind deshalb auch Wiederholungstäter, erzählt Rob Kunst, und viele kommen jedes Jahr, um ihr Wissen aufzufrischen. Und so manch einem Berufsfahrer – und seinem Fahrgast – hat das Gelernte nicht nur einmal bereits das Leben gerettet.
Ein spektakuläres Manöver wie die Fluchtwende hat dagegen noch keiner der sechs Teilnehmer, die an jenem nebligen Morgen auf dem Audi-Trainingsgelände in Neuburg ihr Können auffrischen wollen, in
der Praxis ausführen müssen. Zum Repertoire eines Cheffahrers gehört es trotzdem, denn wenn der Weg nach vorne doch mal versperrt und links und rechts kein Platz zum Wenden ist, hat man nur eine Wahl: Rückwärtsgang einlegen, Vollgas geben und mit einer kräftigen Lenkbewegung das Auto um die eigene Achse drehen. Vorausgesetzt, man hat das spektakuläre Spiel mit der Physik oft genug trainiert.
Üben sollte man aber zum Beispiel auch den Weg durch eine DeChauffeurs-Kurse
monstration: Egal ob sich dem Wagen des Firmenbosses aufgebrachte Mitarbeiter in den Weg stellen oder Gipfel-Gegner, wie beispielsweise beim G20-Treffen in Hamburg, wahllos alles blockieren: Intuitiv halten die meisten Fahrer vor den Demonstranten an. Doch „steht der Wagen einmal, gibt es meistens kein Weiterkommen mehr“, lehrt Rob. Stattdessen rät er, langsam, aber bestimmt die eigene Fahrt fortzusetzen und sich den Weg durch die Masse zu bahnen.
Neben den fahrerischen Fähigkeiten will Rob die Aufmerksamkeit für die Gefahren, die abseits der Straße lauern, schärfen. In Rollenspielen werden allerlei Szenarien geprobt, angefangen mit dem richtigen Einsteigen! Als guter Fahrer bringt man seinen Gast natürlich zum Wagen, hält die Tür auf und verstaut das Gepäck im Kofferraum – und kann dabei viel falsch machen: Lässt man aus Komfortgründen beim Aussteigen den Motor laufen, springt der Niederländer in der Rolle des Bösewichts in Sekundenbruchteilen ins Auto und braust davon. Auch die Türen sollten immer alle verriegelt sein, andernfalls gibt es nach dem Einsteigen eine böse Überraschung, und Rob sitzt mit einem Plastikmesser bewaffnet auf der Rückbank. Im Ernstfall hätten Gast und Fahrer ein Problem.
Wenn der Chauffeur seinem Dienstherrn dann harsch „zurück ins Haus“zubrüllt, sollte der auf jeden Fall Folge leisten. Überhaupt kann es häufiger mal vorkommen, dass Chef und Fahrer die Rollen tauschen. Merkt der Chauffeur, dass ihn jemand verfolgt, wird der nächste Termin zur Nebensache und die Route um eine sogenannte Reinigungsschleife erweitert.
Ein Weg, um potenzielle Gefährder abzuschütteln, ist ein Abstecher über einen Autobahnrastplatz. Spätestens, wenn der Wagen einige Minuten vor dem Rasthaus, im Blickfeld der Videokameras, hält, werden sich die meisten Kriminellen verziehen. Voraussetzung für so ein Manöver ist natürlich, dass der Fahrer die drohende Gefahr erkennt.
Rob appelliert immer wieder an seine Eleven, stets die gesamte Umgebung im Blick – und für alle Situationen einen Plan B auf Lager – zu haben. Wer weiß schon, ob die Polizeikontrolle auf der Landstraße echt ist oder doch eine Falle: „Hält man mit seinem eigenen Auto zu dicht hinter dem Streifenwagen, hat man im Zweifelsfall keine Chance mehr zu fliehen“, erklärt Rob. Der Cheffahrer-Trainer geht mit gutem Beispiel voran. Er stoppt selbst in der Münchner Rushhour immer mit genug Abstand zum Vordermann.