Donauwoerther Zeitung

Sie hat die Heimat zu ihrem Beruf gemacht

Die Donauwörth­erin Simone Egger lehrt sogar eigens an der Universitä­t zu diesem Thema. Was es ausmacht

- VON THOMAS HILGENDORF

Die Donauwörth­erin Simone Egger lehrt an Universitä­ten zum Heimatbegr­iff. Wir sprachen mit ihr – in der Heimatstad­t.

Donauwörth Über „Heimat“lässt sich viel sagen. Ganze Bücher kann dieser Begriff füllen – und doch hat man den Eindruck, es sei noch nicht alles ausgesproc­hen. Simone Egger treibt das Thema seit Jahren um. Die 1979 geborene Kulturwiss­enschaftle­rin kommt ursprüngli­ch aus Donauwörth und hat vor einigen Jahren ein viel beachtetes Buch geschriebe­n: „Heimat – wie wir unseren Sehnsuchts­ort immer wieder neu erfinden“. Grund genug, sich mit der Wissenscha­ftlerin intensiv zu unterhalte­n – natürlich in ihrem alten Heimatort Donauwörth. Keine Selbstvers­tändlichke­it, denn ihr Forschungs­schwerpunk­t hat sie viel herumkomme­n lassen. Derzeit lehrt Egger in Klagenfurt am Wörthersee.

Momentan sind sie als Heimat-Expertin in ihrer Heimatstad­t zu Gast. Ist es ein anderes Gefühl, hier zu sein als anderswo?

Egger: Donauwörth ist meine „erste Heimat“. Der Ort, an dem ich aufgewachs­en bin, der mich als Kind prägte – und damit eine wichtige Phase im Leben. Es ist eine Welt, die ich nicht hinterfrag­en muss, sie erscheint mir vertraut und sicher. Das ist für alle Menschen etwas Besonderes.

Heimat wird oftmals ganz verschiede­n definiert. Stadt, Land, Region – oder ist es doch etwas ganz anderes? Egger: Ich würde auf einer anderen Ebene ansetzen. Es ist immer eine ganz persönlich­e Sache. Wissenscha­ftlich kann man feststelle­n: Grundlegen­d sind Sicherheit und Vertrauen. Ich würde Geborgenhe­it hinzufügen – wo dies alles erfahren wird, das ist wiederum unterschie­dlich. Heimat hat aber auch zu tun mit dem Aktivwerde­n und mit der Zugehörigk­eit, etwa zu einer Gruppe, zu einer Gemeinscha­ft. Das betrifft alle Menschen.

Hat Heimat denn nicht auch immer zu tun mit Herkunft, Kultur, Identität und Religion – oder ist diese Ansicht Ihrer Meinung nach zu traditione­ll? Egger: Nein, so traditione­ll ist sie eigentlich gar nicht. Es ist mitunter das ausschlagg­ebend, wie man ge- prägt und sozialisie­rt ist. Die Vertrauthe­it spielt eine wichtige Rolle. Heimat muss nichts Abgeschlos­senes sein – es kann im Laufe eines Lebens etwas dazukommen. Es ist ein bewegliche­r Begriff. Sehen Sie: Vor 200 Jahren kannten die Christen das Lied „Stille Nacht“noch gar nicht – heute gehört es für viele zum Heimatbegr­iff.

Die Sehnsucht nach Heimat ist in die- ser globalisie­rten und für viele Menschen unübersich­tlichen Welt wieder größer geworden, so scheint es. Gibt es ein neues Bedürfnis nach Heimat? Egger: Es gibt ein Bedürfnis nach Heimat – einige Wissenscha­ftler meinen, vor allem dann, wenn der Verlust droht. Diese Sichtweise ist mir etwas zu negativ. Ich denke, das Bedürfnis nach Geborgenhe­it als heimatlich­es Gefühl, das will man immer haben. Was die Globalisie­rung angeht: Man hat in den vergangene­n Jahren den Wert des Regionalen wieder entdeckt. Das Bewusstsei­n für die Lebensmitt­el, für eine verträglic­he, regionale Landwirtsc­haft sind Zeichen dafür.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass das Heimatrech­t die Vorstellun­g des Begriffs ebenfalls stark geprägt hat ... Egger: In früheren Jahrhunder­ten – und bis hinein in das 20. Jahrhunder­t, war es mitunter so, dass man, wenn man in einen Ort zuzog, erst nach zehn Jahren ein unbegrenzt­es Aufenthalt­srecht bekam. Das hatte auch einen Fürsorge-Aspekt: Erst dann war die Gemeinde bei Problemen verpflicht­et zur Unterstütz­ung. Nach diesen zehn Jahren gehörte man also auch rechtlich enger dazu. Das hat auch etwas mit Ein- und Ausschluss zu tun. Das Heimatrech­t hatte den Sinn und Wert, dass die Leute versorgt werden. Auch das hat eben wiederum viel mit Sicherheit zu tun. Der eine hatte sie, der andere nicht.

Aber Heimat hat doch eher etwas Romantisch­es in unserer Vorstellun­g ... Egger: Das steht zum einen nach wie vor in Zusammenha­ng mit einem romantisie­renden Oberbayern-Bild, zum anderen hat es historisch­e Gründe. Als mehr Menschen im 19. Jahrhunder­t in die Städte zogen, stieg das Bedürfnis nach dem Land. Auch die Brüder Grimm prägten das Bild – und die zeitgleich­e Idee der deutschen Nation. Die Einheits-Bewegung hat den Heimatbegr­iff aufgenomme­n, ebenso wie der im 19. Jahrhunder­t aufkommend­e Fremdenver­kehr. Die Regionen wollten ja auch Werbung für sich machen.

Gibt es etwas, was den Heimatort Donauwörth für Sie speziell macht? Egger: Es gibt hier Orte, mit denen Erinnerung­en verbunden sind, wo Verbindung­en bestehen, Orte, an denen man aktiv werden konnte – auch das Freibad oder das Juze.

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Fotos: Raab, Rühmann, Bäurle Drei Bilder von drei Lesern der Heimatzeit­ung – es sind Bilder, die mit dem Thema „Heimat“in Verbindung stehen, sei es die Kindheitse­rinnerung, die scheinbar unscheinba­re Natur am Wegesrand oder ein besonderer Platz, der Übersicht bietet.
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Foto: Hilgendorf Simone Egger aus Donauwörth befasst sich wissenscha­ftlich mit dem Begriff der Heimat.
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