Donauwoerther Zeitung

Die neue Liebe zu regionalen Produkten

Die Heimat wird vielen wieder wichtiger. Doch Umweltschü­tzer und Bauern klagen, dass viele Kunden Billig-Lebensmitt­el aus aller Welt kaufen. Warum sich das nun ändert und wie der Handel darauf reagiert

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Alle Macht liegt in den Händen des Verbrauche­rs. Das sagen Bauern, Verbrauche­rschützer und Umweltakti­visten gerne – meistens dann, wenn sie anprangern, dass sich Kunden falsch verhalten. Die Vorwürfe sind vielfältig: Die Konsumente­n kaufen zu billiges Fleisch, zu billige Milch, zu viele Äpfel aus Neuseeland und Kartoffeln aus der Ukraine. Dabei gäbe es doch alles hier. Hier vor der Haustür. Doch den Verbrauche­rn ginge es nur ums Geld. Wenn sie doch bloß die Macht in ihren Händen ergriffen, regional und saisonal einkaufen würden, dann könnte sich so vieles ändern.

Während die Verbände noch lamentiere­n, scheinen die Verbrauche­r schon weiter zu sein. Das sagt zumindest die Statistik. Wolfgang Adelwarth sammelt und analysiert im Auftrag der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung, kurz GfK, Daten darüber, wie die Deutschen einkaufen. Und er sagt: „50 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d sind bereit, mehr Geld auszugeben, wenn sie wissen, dass ein Produkt aus ihrer Region kommt. Und dieser Anteil wächst.“Nur: Was verstehen Menschen unter ihrer Region?

Auch das weiß Adelwarth: „Etwa ein Viertel der Bevölkerun­g definiert Region sehr eng“, sagt er. Nach ihrem Verständni­s liegt die Grenze bei einer Entfernung von etwa 50 Kilometern. 40 Prozent der Bevölkerun­g würden noch Orte im Umkreis von 100 Kilometern zu ihrer Region zählen, sagt der Experte. Der Rest empfindet Produkte, die in Deutschlan­d hergestell­t wurden oder „Nürnberger Bratwürstc­hen“und „Schwarzwäl­der Schinken“heißen, als regional.

Was der Konsumfors­cher allerdings nicht weiß, ist, ob die Kunden auch tatsächlic­h zu regionalen Produkten greifen. „Wir können nur messen, was die Verbrauche­r in Befragunge­n sagen“, sagt er. Doch die GfK hat einen anderen Indikator: die Nachfrage. „Der Absatz von Produkten regionaler Marken wächst“, sagt Adelwarth. „Das deutet darauf hin, dass die Menschen regionale Produkte auch tatsächlic­h kaufen.“

für diese regionalen Marken gibt es viele. So verkauft etwa die Allgäuer Supermarkt­kette Feneberg seit 20 Jahren regionale Bioprodukt­e unter dem Namen „Von Hier“. 600 Erzeuger und Verarbeitu­ngsbetrieb­e im Umkreis von 100 Kilometern um Kempten vertreiben ihre Erzeugniss­e unter diesem Label. Ein anderes Beispiel ist das Netzwerk „Unser Land“. Es stammt ursprüngli­ch aus dem oberbayeri­schen Landkreis Fürstenfel­dbruck, hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1994 aber ausgedehnt. Inzwischen gehören Bauern aus zwölf Landkreise­n zu dem Netzwerk. Darunter sind etwa Augsburg, Aichach-Friedberg und Landsberg am Lech. Produkte aus jedem Landkreis tragen ihren eigenen Markenname­n, etwa „Augsburger Land“oder „Landsberge­r Land“.

Vor 60 Jahren sei die Herkunft eines Lebensmitt­els nichts gewesen, worüber man sich Gedanken gemacht habe, sagt Marianne Wagner, Pressespre­cherin des Netzwerks. „Aber einfach weil es völlig normal war, dass man regionale Dinge ein- kauft.“Mit der Globalisie­rung hätte sich das geändert. Es gab Dinge aus der ganzen Welt und die Kunden griffen zu. Erst nach und nach hätten sie sich Gedanken darüber gemacht, was ihre Kaufentsch­eidung bedeutet. „Wenn ich regional konsumiere, kann ich mitbestimm­en, wie meine Umgebung aussieht“, sagt Wagner, die seit 18 Jahren für die Initiative arbeitet. „Das heißt, wenn ich jeden Tag an einer Streuobstw­iese vorbeiradl­e, kann ich sagen: Ich möchte die erhalten und kaufe deshalb bei diesem Bauern ein.“Aus ihrer Erfahrung weiß Wagner: „Die Verbrauche­r sind schlau. Sie können bewerten, welBeispie­le Regionale Ernährung

Wer sich regional ernährt, muss eines bedenken: Es gibt nicht immer al les. Regionale Ernährung heißt auch saisonale Ernährung. Wer sich nach der Jahreszeit richtet und in der Nachbarsch­aft einkauft, spart CO2 ein. Ein Beispiel: Ein Kilo Kopf salat, das im Freiland aufwächst, setzt 0,19 Kilogramm CO2 frei. Im beheizten Gewächshau­s sind es 4,5 Kilo. Dazu kommen die kürzeren Transportw­ege. In Deutschlan­d entstehen 20 Prozent des Gases durch die Ernährung. (hhc) che Einflüsse die Globalisie­rung hat und welche der regionale Konsum.“

Warum sich jemand für Obst und Gemüse aus der Nachbarsch­aft entscheide­t, ist unterschie­dlich, sagt Adelwarth. Für 24 Prozent der Haushalte spiele der Umweltgeda­nke eine Rolle. Sie wollen lange Transporte vermeiden und die Vielfalt in der eigenen Region erhalten. In der Konsumfors­chung heißt diese Gruppe Lohas – eine Abkürzung, die sich aus den Anfangsbuc­hstaben von Lifestyle of Health and Sustainabi­lity zusammense­tzt. Diesen Menschen geht es um ihre Gesundheit und um Nachhaltig­keit. Für 27 Prozent der Haushalte stehe bei ihrer Entscheidu­ng die Heimatverb­undenheit im Vordergrun­d. Adelwarth nennt sie scherzhaft „Hirschhorn­knopf-Fraktion“. Ihnen geht es um ihre Identität, um ihre Wurzeln. „Die drücken sie nicht nur aus, indem sie Dialekt sprechen, sondern auch, indem sie Produkte aus der Umgebung kaufen.“

Für den Lebensmitt­eleinzelha­ndel ergibt sich aus diesen beiden Gruppen eine interessan­te Ausgangsla­ge: Wenn er Produkte als regional bewirbt, spricht er gleich zwei Zielgruppe­n an – und über die Hälfte der deutschen Haushalte. Das haben Supermarkt­ketten und Discounter erkannt. Für Discounter sei es zwar schwerer, nur regionale Produkte zu verkaufen, da sie deshalb so günstig seien, weil sie von Lieferante­n große Mengen abnehmen. Aber Lidl zum Beispiel hat eine eigene regionale Marke. Die großen Vollsortim­ent-Märkte wie Edeka und Rewe bieten ebenfalls regionale Produkte an. Rewe etwa hat 2012 die Eigenmarke „Rewe regional“eingeführt. Der Grund: „Rewe bedient damit das gestiegene Kundenbedü­rfnis“, heißt es von dem Unternehme­n. Und man könne sich so von Mitbewerbe­rn abheben. Das zeigt: Alle Macht liegt eben doch in den Händen der Verbrauche­r.

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Foto: Uli Deck, dpa Viele Menschen, die regionale Produkte kaufen, tun das, weil ihnen die Umwelt am Herzen liegt. Doch nicht nur das ist ein Be weggrund für sie, zu Obst und Gemüse aus der Region zu greifen.

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