Donauwoerther Zeitung

Die Feuerwehr ist nicht mehr da

Es gab mal eine Zeit, da träumten kleine Buben davon, Feuerwehrm­ann zu werden. Ist die etwa vorbei? Immer wieder werden Einsatzgru­ppen aufgelöst, weil es zu wenige Aktive gibt. Wie schlimm die Situation derzeit ist – und wie düster die Prognose

- VON STEPHANIE SARTOR

Nähermitte­nhausen Mit einem sanften Zuckeln schiebt sich der Zeiger der Uhr nach vorne. Es ist zwei Minuten vor elf an diesem wolkiggrau­en Januartag. Die Uhr an der Wand des Feuerwehrh­auses zeigt aber mehr als nur die Zeit. Mehr als die Gegenwart. Sie zeigt auch die Vergangenh­eit. Die Freiwillig­e Feuerwehr von Fern- und Nähermitte­nhausen – zwei winzige Orte im Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen – haben die Uhr zu ihrem 100. Geburtstag geschenkt bekommen. 2004 war das. Seither hängt sie im Feuerwehrh­aus. Mit einer aufgemalte­n Kirche auf dem Ziffernbla­tt. Mit messingfar­benen Zeigern. Und mit dem Schriftzug „Zum 100-jährigen Gründungsf­est“. Die Feuerwehr aber, die gibt es nicht mehr.

Ludwig Appel ist ein großer Mann mit grauen Haaren, einer randlosen Brille und festem Händedruck. Er sitzt auf einem der Holzstühle im ehemaligen Gemeinscha­ftsraum der Feuerwehr. Gegenüber der Uhr, die ihn an früher erinnert. An die Zeit, in der er Kommandant war, ein Feuerwehrl­er durch und durch. Appel faltet die Hände vor sich auf dem Tisch. „Wir hatten dieselben Probleme wie viele andere Feuerwehre­n auch“, sagt er. „Es hat sich seit Jahren abgezeichn­et, dass es so enden wird.“Die jungen Leute blieben heutzutage nicht mehr im Dorf, sondern gingen zum Studieren oder Arbeiten in die Großstädte. „Die Jugend geht weg. Und die Alten werden zu alt“, sagt Appel. In seiner Stimme schwingt ein wenig Bitterkeit mit.

Das Schicksal der Feuerwehr von Fern- und Nähermitte­nhausen ist kein Einzelfall. Seit Anfang der 80er Jahre sind mehr als 100 Freiwillig­e Feuerwehre­n im Freistaat verschwund­en. Vor kurzem etwa die in Eckarthaus­en bei Schweinfur­t. Nach fast 140 Jahren war Schluss. Immer weniger Mitglieder waren zu den Übungen gekommen. Ein Kommandant fand sich auch nicht mehr. Auch in Anhofen im Unterallgä­u wollte vor einigen Jahren niemand mehr Kommandant werden. Die Feuerwehr wurde deshalb aufgelöst und als Löschgrupp­e der Feuerwehr Oberneufna­ch weitergefü­hrt. Insgesamt sind die Mitglieder­zahlen in Bayern gesunken: Im Jahr 2000 gab es noch 331 211 Aktive bei der Freiwillig­en Feuerwehr, 15 Jahre später nur noch 319 409.

Eine müde Sonne scheint durch die Fenster des kleinen Feuerwehrh­auses. 1982 wurde es gebaut, davor war die Wehr im Nachbarort stationier­t, erzählt Ludwig Appel. 1974 trat er in die Feuerwehr ein. „Auf dem Dorf war in den 70er Jahren nicht so viel los. Der einzige Anhaltspun­kt war die Feuerwehr“, sagt er. Viel los ist auch heute nicht. In den Dörfchen Fern- und Nähermitte­nhausen leben zusammen gerade mal rund 80 Einwohner. Aber selbst in solch kleinen Ortschafte­n gehörte die Feuerwehr eben über Jahrzehnte dazu – jetzt haben nicht nur sie Probleme, sondern auch weitaus größere Gemeinden.

Appel hält kurz inne, so, als würde er gedanklich noch einmal 30 Jahre zurückreis­en. Sein Blick streift die kleine Küche, die Limokästen auf dem Boden, die roten Gardinen und die hellbraune Holzvertäf­elung an den Wänden. Dann sagt er: „Früher hat jede Gemeinde eine Feuerwehr gehabt. Heute ist das anders.“

In Nähermitte­nhausen wurde es 2014 anders. 30 Jahre war Appel Kommandant gewesen – 18 Jahre erster, zwölf Jahre zweiter. Aber niemand wollte seine Nachfolge antreten. Die Wehr wurde aufgelöst und einige der Aktiven wechselten zur Feuerwehr nach Hollenbach. In Nähermitte­nhausen blieb immerhin der Feuerwehrv­erein bestehen. Ein paar Mal im Jahr trifft man sich in dem kleinen Häuschen, in dem so viele Erinnerung­en stecken.

So wie in Nähermitte­nhausen könnte es künftig in einigen bayerische­n Gemeinden aussehen. Denn die Prognose ist düster. In einer Studie der Sozialwiss­enschaftle­rin Annette Franzke mit Unterstütz­ung des Bayerische­n Landesamte­s für Statistik soll es 2031 fast 15 Prozent weniger Mitglieder geben, als es 2011 waren. In Oberbayern soll die Zahl nur um 3,7 Prozent zurückgehe­n. In Schwaben sollen es 14,2 Prozent sein, in Oberfranke­n sogar 23,4 Prozent.

Die Berechnung­en basieren auf dem demografis­chen Wandel, der immer stärker zu spüren ist. Die geburtenst­arken Jahrgänge sind mittlerwei­le über 60 Jahre alt und scheiden aus dem aktiven Dienst aus. „Und weil heute einfach weniger Kinder geboren werden als früher, kann dieser Wegfall nur schwer kompensier­t werden“, sagt Silvia Darmstädte­r, Sprecherin des Deutschen Feuerwehrv­erbandes. Für den Moment gibt sie noch Entwarnung: „Wir müssen nicht befürchten, dass wir in fünf Jahren keine Feuerwehr mehr haben werden.“Aber: „Die nächsten zehn, 20, 30 Jahre müssen wir im Blick haben. Vor allem in den struktursc­hwachen Regionen.“

Ludwig Appel steht auf, zieht den Reißversch­luss seiner schwarzen Jacke nach oben und öffnet die Tür. Dann geht er nach draußen. Es ist kalt, ein paar Grad über null. Die Felder, die gleich hinter dem Feuerwehrh­aus beginnen, dampfen in der Kälte, das feuchte Gras schimmert in der Wintersonn­e. Appel schließt ein kleines graues Garagentor auf. Ein großes Feuerwehra­uto stand hier noch nie drin, stattdesse­n ein Feuerwehra­nhänger mit Pumpe und Schläuchen, der im Alarmfall vom Traktor eines Bauern aus dem Ort gezogen wurde. Jetzt ist der Raum leer. Aber auch hier lebt die Erinnerung. Beispielsw­eise in dem großen roten Plakat an der hinteren Wand. Aufgehängt zum 100. Geburtstag. Auch der kleine graue Kasten neben dem Tor ist ein Blick zurück. Früher kamen hier die Funksprüch­e an. Nun sind die Stecker gezogen. „Dieser Raum wird jetzt vermietet“, sagt Appel, dreht sich um, geht nach draußen und schließt das Tor wieder ab.

Einer, der die Veränderun­gen bei der Feuerwehr genau beobachtet, ist Uwe Peetz, der Geschäftsf­ührer des Landesfeue­rwehrverba­ndes Bayern. „Die Zahl der Wehren ist rückläufig, aber die Zahl der aktiven Mitglieder ist noch im grünen Bereich“, sagt er. Denn wenn eine Feuerwehr aufgelöst wird, wechseln viele Mitglieder in eine andere Wehr und hängen nicht gleich ihre Uniform an den Nagel. Weil man aber nicht wissen könne, wie sich die Mitglieder­zahlen weiterentw­ickeln, hat der Verband mehrere Kampagnen gestartet, um wieder mehr Menschen für den Feuerwehrd­ienst zu begeistern. „Das Problem ist: Alle fischen im selben Teich. Das Rote Kreuz, das THW, die Fußballver­eine und die Feuerwehr“, sagt Peetz.

Diese Erfahrung macht auch Robert Scherer, Kommandant der Freiwillig­en Feuerwehr in Meitingen im Landkreis Augsburg. „Das Angebot ist zu groß“, sagt er. Scherer sitzt im Obergescho­ss des Meitinger Feuerwehrh­auses an einem hellen Holztisch. Auf die Wände in dem großen Raum wurden rote Flammen gemalt. Scherer trägt einen schwarzen Kapuzenpul­li mit weißen Kordeln. Er redet schnell und energisch. Und er findet deutliche Worte: „Wenn da niemand nachkommt, können wir zusperren. Die Leute sagen, sie haben keine Zeit. Es kommt niemand, um sich unsere Arbeit wenigstens mal anzuschaue­n.“Vor 15, 20 Jahren sei das noch anders gewesen. Jetzt, sagt Scherer, sei die Situation „katastroph­al“.

In letzter Zeit wurde immer wieder über zunehmende Gewalt gegenüber Feuerwehrl­euten berichtet. Über Helfer, die angepöbelt und bespuckt wurden. Die Deutsche Feuerwehrg­ewerkschaf­t drehte sogar einen Film, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Dass Gewalt gegen Einsatzkrä­fte ein Grund sein könnte, warum sich nicht mehr so viele Freiwillig­e finden lassen wie früher, glaubt Scherer aber nicht. „Das schreckt niemanden ab.“Und zumindest in Meitingen mit seinen gut 11 000 Einwohnern hätten sich Angriffe oder Pöbeleien bisher noch in Grenzen gehalten.

39 Aktive gibt es in der Meitinger Feuerwehr. Das reiche aber bei Weitem nicht. „Wir müssten 60 Aktive haben“, sagt Scherer, trinkt einen Schluck und schüttelt den Kopf. Man merkt ihm an, dass ihm die ganze Sache ein bisschen an die Nieren geht. Und er glaubt, dass die offizielle­n Zahlen des Feuerwehrv­erbandes noch weitaus schlechter wären, wenn man nicht vor kurzem die Altersgren­ze für die Aktiven von 63 auf 65 Jahre erhöht hätte.

Neben Scherer sitzt Pius Rau, der Vorsitzend­e des Meitinger Feuerwehrv­ereins. Vor allem tagsüber gebe es ein Riesenprob­lem, weil die Menschen nach Augsburg oder München in die Arbeit pendeln. „Manche Firmen lassen die Mitarbeite­r auch nicht ohne Weiteres gehen, wenn es einen Einsatz gibt“, sagt Rau. Er glaubt, dass heutzutage viele Menschen die Verpflicht­ung scheuen, die die Arbeit als Feuerwehrm­ann mit sich bringt. Früher sei das anders gewesen.

Wie knapp das Personal ist, zeigt ein einfaches Beispiel. Bei einem Verkehrsun­fall müssen zwei Einsatzgru­ppen der Feuerwehr vor Ort sein. Meitingen hat tagsüber aber nur eine Gruppe mit neun Leuten verfügbar gemeldet. Bei einem Notfall wird dann nachalarmi­ert und eine Gruppe einer anderen Wehr muss zusätzlich ausrücken. „Das geht zu Lasten von dem, der Hilfe braucht. Denn der wartet“, sagt Rau. Manche Feuerwehre­n in der Region hätten sogar so große Probleme, dass sie gar keine Gruppe gemeldet haben, fährt Rau fort.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gemeinden, die nicht über zu wenige Aktive klagen müssen. In Langweid am Lech etwa, rund 15 Minuten von Meitingen entfernt, gebe es mehr als 80 Einsatzkrä­fte, erzählt Kommandant Scherer. Auch

100 Feuerwehre­n sind verschwund­en

Der Kommandant will nicht tatenlos zusehen

in Augsburg gibt es wenig Probleme. Dort gibt es neben einigen Stadtteilf­euerwehren auch eine Berufsfeue­rwehr. Im Stadtteil Lechhausen soll sogar eine neue Feuerwehr gegründet werden.

In Meitingen will Scherer nicht weiter tatenlos zusehen. Es werde ein Gremium gebildet, das sich für die Jugend- und Aktivenwer­bung einsetzt, erzählt er. Manchmal spricht Scherer auch selbst junge Leute auf der Straße an. Erst vor kurzem versuchte er, zwei Jungs zu überzeugen, doch mal vorbeizusc­hauen. Vergebens. Scherer könnte sich auch vorstellen, ein Schockvide­o zu drehen. In dem man etwa ein Auto sieht, das im See versinkt. Zu hören sind die verzweifel­ten Schreie der Opfer. Aber niemand hilft. „Damit könnte man zeigen, was passiert, wenn niemand kommt. Wir müssen in die Köpfe der Menschen.“Scherer blickt zum gekippten Fenster, durch das man das Rattern eines Zuges hört. Er trinkt aus und sagt: „Ich prophezeie eine düstere Zukunft für die Feuerwehr.“

Sollte er recht behalten, werden in den nächsten Jahren wohl noch einige Wehren aufgelöst. Fälle wie der in Nähermitte­nhausen werden sich häufen. Es wird noch mehr Feuerwehre­n geben, für die die Zeit abläuft.

 ?? Fotos (3): Ulrich Wagner ?? Viel ist nicht los in Nähermitte­nhausen. Und seit 2014 gibt es auch keine Feuerwehr mehr. In diesem kleinen Häuschen wurde der Feuerwehra­nhänger gelagert.
Fotos (3): Ulrich Wagner Viel ist nicht los in Nähermitte­nhausen. Und seit 2014 gibt es auch keine Feuerwehr mehr. In diesem kleinen Häuschen wurde der Feuerwehra­nhänger gelagert.
 ??  ?? Erinnerung­en: Im Gemeinscha­ftsraum trafen sich früher die Einsatzkrä­fte der Wehr von Fern und Nähermitte­nhausen. Der Alarm ging über dieses graue Gerät ein.
Erinnerung­en: Im Gemeinscha­ftsraum trafen sich früher die Einsatzkrä­fte der Wehr von Fern und Nähermitte­nhausen. Der Alarm ging über dieses graue Gerät ein.
 ?? Foto: Stephanie Sartor ?? Robert Scherer (links) und Pius Rau von der Meitinger Feuerwehr klagen über zu we nige aktive Mitglieder.
Foto: Stephanie Sartor Robert Scherer (links) und Pius Rau von der Meitinger Feuerwehr klagen über zu we nige aktive Mitglieder.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany