Donauwoerther Zeitung

Eine Ölmacht im Griff der Hungerkris­e

Leere Regale und Plünderung­en verschärfe­n die Not. Dennoch könnte der Präsident wiedergewä­hlt werden

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Caracas Die Schlagzeil­en der letzten Tage veranschau­lichen die Dramatik: „Terror in den Straßen – Tote bei Plünderung­en“. „Venezolane­r essen Hundenahru­ng“. „Fünf Venezolane­r bei Flucht nach Curaçao ertrunken“. „Das Drama der leeren Regale“. „Im Tunnel der Hyperinfla­tion“.

Im ganzen Land – einst das reichste Südamerika­s und mit den größten Ölreserven der Welt gesegnet – kommt es seit Jahresbegi­nn verstärkt zu Plünderung­en, da die Lebensmitt­elversorgu­ng immer prekärer wird. Das Militär muss Eingänge zu Supermärkt­en sichern, Tränengas wird eingesetzt. Fast täglich gibt es Tote bei Unruhen wegen der Hungerkris­e. Viele erinnert die Lage an die Wirtschaft­skrise vor dem „Caracazo“1989, als 3000 Menschen bei Aufständen starben.

Die Inflation galoppiert, die Preise für Lebensmitt­el explodiere­n – ebenso die Gewalt und Rechtlosig­keit. Im Internet kursiert ein Video, das ein gutes Dutzend hungriger Männer zeigt, die auf die Weide einer privaten Ranch eindringen, eine Kuh jagen und sie mit Stöcken zu erschlagen versuchen. Der Hunger treibt die Anarchie sichtbar an.

Private Supermärkt­e wurden wegen der weltweit höchsten Inflation, die nach Angaben der Wirtschaft­skommissio­n des entmachtet­en Parlaments 2017 bei über 2600 Prozent lag, zu Preissenku­ngen gezwungen. Sowieso wirft die sozialisti­sche Regierung privaten Unternehme­rn vor, mit Sabotage die Krise zu verschärfe­n. Aber denen fehlen Getreide oder andere Stoffe aus dem Ausland, um noch richtig produziere­n zu können.

Die sozialisti­sche Regierung setzt auf das Prinzip Hoffnung – mehr Erdölförde­rung und steigende Ölpreise. Doch die Abhängigke­it, rund 95 Prozent der Exporteinn­ahmen kommen vom Erdöl, haben die Krise wie ein Brandbesch­leuniger verschärft, denn der Ölpreis fiel jahrelang. Ölminister Manuel Quevedo will die Förderung weiter steigern. „2018 wird das Jahr der Erholung“, hofft er.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Menschen sind verzweifel­t. In den letzten Tagen hat sich die Geldentwer­tung so beschleuni­gt, dass der Monatslohn maximal ein paar Euro wert ist. Obwohl Caracas einem Pulverfass gleicht und das Land wegen der Entwertung des Bolivar kaum noch notwendige Importe bezahlen kann: Ausgerechn­et der Hunger könnte Präsident Nicolás Maduro helfen, die Wiederwahl zu sichern. Es gibt Hinweise, dass die für Ende 2018 geplante Wahl vorgezogen wird.

Um in den Genuss stark subvention­ierter Lebensmitt­elpakete zu kommen (mit Öl, Reis, Thunfisch, Milchpulve­r und Mehl), die es vielerorts irgendwie immer noch gibt, muss man ein „Carnet de la Patria“beantragen – und erklären, die Regierung zu unterstütz­en. Über dieses Carnet wurde bei den Regionalwa­hlen 2017 laut Berichten der Opposition zum Teil kontrollie­rt, ob man auch wirklich den Sozialiste­n die Stimme gibt. Der Schriftste­ller und Maduro-Kritiker Leonardo Padrón nennt es eine „Erlösung vom Hunger gegen Stimmen“.

Zudem will Maduro mit einer Kryptowähr­ung, dem „Petro“, das Land aus den Fängen der Inflation befreien. Er soll mit Ölreserven abgesicher­t sein. Damit soll versucht werden, Einfuhren etwa von Lebensmitt­eln besser bezahlen zu können. Doch Experten halten das Vorhaben für wenig aussichtsr­eich – denn was ist, wenn niemand den „Petro“akzeptiert?

Maduro ist ein politische­r Überlebens­künstler, ein Populist, der es wie einst die Castros in Kuba verstanden hat, den Kampf David gegen Goliath (USA) zu propagiere­n. Die Regierung von Donald Trump hat gegen Maduro und dutzende Gefolgsleu­te Sanktionen verhängt, Konten in den USA eingefrore­n, zudem sehen sie Verbindung­en zum Kokainhand­el.

Maduro zur Hilfe kommt auch die Zerstritte­nheit der Opposition – die keinen rechten Draht zum Heer der Armen gefunden hat. Viele kommen aus der Oberschich­t, die per WhatsApp überteuert­e Essenslief­erungen nach Hause bestellt.

Ex-Planungsmi­nister Ricardo Hausmann, heute Professor in Harvard, bringt als letzten Ausweg eine militärisc­he Interventi­on ins Spiel. Das weiterhin tagende, aber machtlose Parlament solle Maduro des Amtes entheben und eine Übergangsr­egierung benennen – die von den Sozialiste­n nicht anerkennt würde, fordert er. Deshalb müsste man dann das Ausland um militärisc­he Hilfe bitten.

Er fordert einen „Día D para Venezuela“, einen „D-Day“für Venezuela, einen Tag der Interventi­on. Doch fast alle Experten halten das wegen der Größe und Stärke des Militärs für eine schlechte Idee: dem Land drohe dann ein Gemetzel.

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Foto: Roman Camacho, dpa Es gibt nichts zu kaufen und damit auch nichts zu essen: Menschen vor einem Laden in der venezolani­schen Hauptstadt Caracas, dessen Regale wieder einmal leer sind.

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